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Doppelt getroffen. Nach dem Einsturz der wichtigen Autobahnbrücke im August richteten in den vergangenen Tagen heftige Stürme große Schäden im Hafen der italienischen Stadt Genua an.

© dpa

Brückeneinsturz und Unwetter: Zwei Schickssalschläge bringen die Wirtschaft Genuas an den Abgrund

Erst kam der Brückeneinsturz, dann das Unwetter. Jetzt leidet die norditalienische Stadt an den Folgen - und zahlt für die Versäumnisse aus besseren Tagen.

Schon wieder hat es Genua getroffen. Die schweren Stürme der vergangenen Tage haben Schäden von mehreren hundert Millionen Euro angerichtet. Im Hafen von Savona, der Teil der „Ports of Genoa“ ist, sind durch einen Kurzschluss infolge des Unwetters fast tausend Autos, meist Maseratis, in Flammen aufgegangen. „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, sagt Antonella Rossi, Sprecherin des Genueser Hafens, trotzig.

Die Stadt steht unter keinem guten Stern. Am 14. August stürzte die Genueser Autobahnbrücke ein und riss 43 Menschen in den Tod. Seitdem ist die Stadt geteilt. Die Autobahn über das tief eingeschnittene Tal des Polcevera war die zentrale Verbindung zwischen dem Osten und dem Westen Genuas, zwischen Italien und Frankreich, und sie hat auch die riesigen Hafenanlagen miteinander verbunden. „Die Brücke war quasi unsere Aorta“, sagt Paolo Emilio Signorini, Präsident des Genueser Hafens Ports of Genoa. „Genua ist geteilt wie einst Berlin“, meint er.

„Das historische Zentrum und ein Teil des Hafens sind im Osten und das ökonomische Herz im Westen“, fügt er hinzu. Über die Brücke rollten nicht nur jedes Jahr 28 Millionen Autos und Lastwagen, sondern auch täglich 4000 Transporte von und in den Hafen sowie zwischen den verschiedenen Terminals. „Im August ist unser Container-Umschlag um 16 Prozent zurückgegangen, aber seit Ende September läuft es etwas besser. Wir sind jetzt in einer Grauzone und wissen noch nicht, wie es weitergeht“, sagt Signorini.

Weil die Brücke fehlt, bilden sich lange Staus

Er hat sein Büro im Palazzo San Giorgio, einem schönen alten Gebäude aus dem Mittelalter, das früher eine der ältesten Banken der Welt beherbergte. Hier, im alten Hafen, hat Stararchitekt Renzo Piano, ein Sohn der Stadt, in den 90er Jahren ein Ausgehviertel mit Restaurants, Cafés, einem riesigen Aquarium und anderen Attraktionen geschaffen.

Im Flusstal liegen noch immer Brückentrümmer. Eine gerade frei gegebene Straße verläuft mitten durch diese „zona rossa“. Alle Wohnhäuser, Geschäfte und Fabriken hier wurden nach dem Unglück geräumt. Unter den Folgen der Katastrophe leiden aber auch der große Obst- und Gemüsemarkt, Ikea, Metro oder der Heimwerkermarkt Leroy Merlin sowie viele Mittelständler im Tal. Sie beklagen massive Umsatzverluste. Die Zufahrt ist nun sehr kompliziert. Nicht nur zu Stoßzeiten stehen Autos und Lastwagen, die sich jetzt durch das Zentrum quälen müssen, im Stau. Auf 300 Millionen Euro schätzt Leopoldo Da Passano vom Industrieverband Confindustria den Schaden, der der lokalen Wirtschaft entstanden ist.

Genua war im Mittelalter eine Weltmacht. Die Stadtrepublik verfügte über Kolonien sogar in der neuen Welt, war ein Zentrum der Finanzwelt und finanzierte die Expeditionen des spanischen Königshauses. Prachtvolle Palazzi und die riesige Altstadt zeugen von dieser Zeit. Monotone Wohnblocks an den Hängen der Seealpen stehen für den Boom der 50er und 60er-Jahre. Mit dem Niedergang der Schwerindustrie ging es bergab. Betriebe wurden geschlossen. Die Stadt verlor ein Viertel ihrer einst 800 000 Einwohner, vor allem jüngere. Seit Jahren herrscht Stillstand. Die Eisenbahnverbindungen durch die Seealpen nach Mailand und Turin stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die maroden Autobahnen winden sich in engen Kurven durch die Seealpen.

Zehn Milliarden Euro Umsatz hängen an dem Hafen

Das wirtschaftliche Herz der Stadt war und ist der Hafen. Er hatte sich zuletzt positiv entwickelt. „Der gesamte Güterumschlag war 2017 um acht Prozent auf 69 Millionen Tonnen gewachsen und nahm 2018, bis zum Brückeneinsturz, um 2,6 Prozent zu“, berichtet Signorini, der den Jahresumsatz des Hafens mit „mehr als fünf Milliarden Euro“ angibt. Nimmt man alles Weitere dazu, was damit verbunden ist, Gastronomie und Hotels, Versicherungen und Banken, Transportdienstleistungen und Zulieferer, seien es sogar zehn Milliarden Euro. „Es besteht die Gefahr, dass unser Umsatz in diesem Jahr um zehn Prozent sinkt, wir also 500 Millionen Euro an Umsatz verlieren“, rechnet Signorini vor.

Genuas Hafen steht für ein Viertel der Wirtschaftsleistung der Stadt, sagt De Passano und für 10 000 direkt sowie 30 000 bis 40 000 indirekt Beschäftigte. Nach dem Brückeneinsturz wurde viel Zeit verspielt, weil sich die Regierung in Rom, statt schnell anzupacken, lieber mit dem Brücken- beziehungsweise Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia stritt, den sie enteignen will, obwohl die Schuldfrage gar nicht geklärt ist.

Allein die Unwetter der vergangenen Tage verursachten in Genua Schäden in Millionenhöhe.
Allein die Unwetter der vergangenen Tage verursachten in Genua Schäden in Millionenhöhe.

© AFP

Erst mehr als sechs Wochen nach dem Unglück wurde der Genueser Bürgermeister Marco Bucci zum Sonderkommissar mit weitreichenden Befugnissen ernannt. Und erst in diesen Tagen gibt es ein fertiges Dekret, das Sondermaßnahmen für die Opfer und die Unternehmen enthält. Bucci hofft, dass die neue Brücke spätestens 2019 steht. Das ist mehr als unsicher.

Wenn es nicht schnell geht, besteht die Gefahr, dass andere Häfen Genua die Kunden abjagen. „Es ist sehr dringlich, schnell Projekte zu realisieren“, sagt Signorini. Das werde nicht viel kosten und sei auch nicht schwierig, helfe dem Hafen aber sehr. Es geht um die Anbindung des Areals an das Straßen-, Autobahn- und Eisenbahnnetz sowie temporär beschleunigte Genehmigungsverfahren für dringende Investitionen. Signorini betont: „Genua ist der Hafen Italiens.“

Es gibt keinen Plan B

Seit Jahren blockiert die populistische Regierungspartei „5 Stelle“ den Bau einer Autobahn-Entlastungsspange im Hinterland namens Gronda (Regenrinne). „Hätten wir die Gronda schon jetzt, wären die Schäden nicht so groß gewesen. Es ist sehr gefährlich, keinen Plan B zu haben“, sagt Signorini. „Das haben wir im Fall der 2017 unterbrochenen Schienenstrecke im Rheintal bei Rastatt gesehen.“

Auch der schon weit fortgeschrittene Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Mailand, den die „5 Stelle“ ebenfalls verhindern will, würde Entlastung bringen und die Anbindung an den Norden verbessern. „Genua könnte ein großer Hafen nicht nur für die Lombardei, das Piemont und das Veneto werden, sondern auch für die Schweiz und Süddeutschland“, hofft der Hafen-Präsident.

Doch ohne leistungsfähige Verbindungen ans Mittelmeer lohnt sich womöglich sogar für Norditalien eher der Transport an die großen Nordseehäfen wie Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg. Stürbe auch noch der Hafen, wäre der Niedergang der italienischen Stadt besiegelt. Für Signorini ist das kein Thema: „Wir denken über große Investitionsprojekte im Hafen wie einen neuen Damm nach. Das würde etwa eine Milliarde Euro kosten“, schätzt er. Er hofft, dass jetzt erst einmal die Aorta der Stadt geflickt wird.

Gerhard Bläske

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