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Wirtschaft: Brüssel kämpft mit stumpfen Waffen

Die deutsche Haushaltspolitik gefährdet 2004 den Stabilitätspakt zum dritten Mal – ohne dramatische Folgen

Als EU-Währungskommissar Pedro Solbes in der vergangenen Woche Hans Eichel persönlich in Berlin besuchte, um die Einhaltung des Stabilitätspaktes anzumahnen, war Hans Eichel noch willig. „Der Pakt ist durch das Vorziehen der Steuerreform nicht gefährdet“, sagte Eichel. Und: „Wir werden weiter sparen.“ Jetzt, wo der Kommissar wieder ins ferne Brüssel abgereist ist, sieht die Sache schon wieder anders aus. Es sei mit einem deutlichen Anstieg der Nettokreditaufnahme zu rechnen, sagte Eichel der „Welt am Sonntag“. Die Einhaltung des Stabilitätspaktes macht Eichel jetzt einzig und allein vom Wachstum abhängig. Die Deutsche Bundesbank hält Eichels Wachstumsprognose von zwei Prozent im kommenden Jahr jedoch für „viel zu optimistisch“.

Brüssel macht der deutschen Regierung kaum Angst – und wird sie nicht daran hindern, 2004 den Stabilitätspakt (siehe Lexikon) zum dritten Mal in Folge nicht einzuhalten und die Neuverschuldung über die Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandproduktes zu heben. In der Tat haben die Hüter des Paktes in der europäischen Hauptstadt wenig in der Hand. Denn die so häufig in den Schlagzeilen angekündigten „Milliardenstrafen“ sind in weiter Ferne. „Die Strafen sind eine sehr stumpfe Waffe“, sagt der belgische Experte für Fragen der Währungsunion, Paul de Grauwe. „Es ist unwahrscheinlich, dass jemals ein Staat zahlen muss“.

Auch der Sprecher von Kommissar Solbes betont: Sollte sich wirklich abzeichnen, dass Deutschland wieder die Drei-Prozent-Grenze überschreitet, dann sei der nächste Schritt keine Strafe, sondern dann werde die Kommission zunächst „noch genauere Empfehlungen“ geben, was Deutschland zu tun habe. Erst wenn die größte Volkswirtschaft der EU erneut nicht gehorche, könnte es zu Geldstrafen kommen: 0,2 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes darf die Kommission vorschlagen, das sind im deutschen Fall immerhin zwischen vier und zehn Milliarden Mark.

Aber die müssen erst mal als Kaution für zwei Jahre hinterlegt werden – also werden nur die Zinsen für eine Anleihe fällig. Dann hat der Haushaltssünder zwei weitere Jahre Zeit, um sich zu bessern, bevor er wirklich zahlen muss.

Dazu kommt, dass die Kommission lediglich die Empfehlungen abgibt, auf dessen Grundlage die EU-Finanzminister entscheiden. Eine Strafe gegen Deutschland müssten Eichels Kollegen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen. Da auch Frankreich zu den Ungehorsamen gehört, ist es unwahrscheinlich, dass sich alle gegen die zwei Großen verbünden – das wäre „politisch undenkbar“, sagt de Grauwe. „Es wird niemals nach einer Kampfabstimmung im Rat eine Strafe verhängt werden“, sagt auch Daniel Gros, Chef des Centre for European Policy Studies in Brüssel. „Der Pakt soll abschreckend wirken wie eine Atombombe – dass im Ernstfall eine Strafe wirklich verhängt wird, davon ist nicht auszugehen“.

Der Effekt ist zweifelhaft: Deutschland wird in diesem Jahr wohl wieder sündigen: Hans Eichel hat sich den Freiraum dafür bereits geschaffen. In seinem Haushaltsentwurf hat er schon mal „rein technisch“ eine höhere Kreditaufnahme verbucht – um sieben Milliarden Euro, genauso viel, wie das Vorziehen der Steuerreform Bund, Länder und Gemeinden ungefähr an Steuerausfällen kostet. Sicher ist sicher – denn ob genügend Subventionsabbau durchzusetzen ist und die Privatisierungen bei den derzeitigen schwachen Kursen der Telekom- und Postaktien genügend Geld in die Kasse bringen, ist unsicher.

Aber auch wenn die Bundesregierung 2004 den Pakt wieder verletzt – langfristig wird sie sich daran halten, ist sich Daniel Gros sicher. „Der politische Druck im Ministerrat wird steigen.“ Die kleinen Länder, die sich schon lange an die Regeln halten, akzeptierten es irgendwann nicht mehr, dass die Großen undiszipliniert sind. Den Pakt vollkommen zu missachten, würde gegen den Maastrichter Vertrag verstoßen, und das könne sich dauerhaft kein Mitgliedstaat leisten. Selbst die Franzosen würden bald wieder auf einen disziplinierten Haushaltskurs umschwenken, prophezeit Gros.

Den Pakt zu dehnen, sei ökonomisch sinnvoll. Auch die Kommission sah das bisher nicht so streng. Die Frage ist allerdings, ob die wiederholte Missachtung der Regeln die Glaubwürdigkeit des Paktes nicht jetzt schon dauerhaft schädigt. Führende Ökonomen wie Wolfgang Wiegard haben den Untergang des Paktes bereits beschworen. Und auch Pedro Solbes scheint mir seiner Geduld am Ende: „Gibt es die Drei-Prozent-Grenze nicht mehr, dann ist der Stabilitätspakt tot“, sagte er in Berlin.

Flora Wisdorff

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