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Wirtschaft: Brüssel will Berlin-Hilfen beschneiden

CDU/SPD-Koalition und Wirtschaft planen gemeinsame Protestaktion gegen Reform der EU-Strukturförderung BERLIN/BRÜSSEL (hjk/tog).Die Wirtschaftsförderung für Berlin steht auf der Kippe.

CDU/SPD-Koalition und Wirtschaft planen gemeinsame Protestaktion gegen Reform der EU-Strukturförderung BERLIN/BRÜSSEL (hjk/tog).Die Wirtschaftsförderung für Berlin steht auf der Kippe.Bundesregierung und EU-Kommission streiten darüber, wie es ab dem Jahr 2000 mit den EU-Strukturhilfen weitergehen soll.Verliert der Ost-Teil der Stadt den Ziel 1-Status, worauf in Brüssel alles hindeutet, dann werden die Möglichkeiten zur Wirtschaftsförderung massiv eingeschränkt.Senat, Abgeordnetenhaus und Berliner Wirtschaft planen eine gemeinsame Aktion gegen die Brüsseler Pläne.Bundeswirtschaftsminister Rexrodt will helfen. Die deutsche EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies, die in Brüssel für die europäische Regionalpolitik zuständig ist, muß keine prophetischen Gaben besitzen, um zu ahnen, daß Berlin am 18.März laut aufstöhnen wird.An diesem Tag will die EU-Kommission auf Vorschlag der früheren ÖTV-Chefin die neuen Regeln für die EU-Strukturpolitik beschließen.Und vieles deutet darauf hin, daß Ost-Berlin zu denen gehören soll, die nach der Reform der Regionalpolitik Federn lassen müssen. Bisher gehört Ost-Berlin wie alle neuen Bundesländer zu den strukturschwächsten Regionen Europas, über die der Staat und die Europäische Union am großzügigsten das Füllhorn der öffentlichen Strukturhilfen ausschütten.Im Brüsseler Jargon werden diese Regionen als "Ziel-1-Gebiete" klassifiziert - Regionen mit wirtschaftlichem Rückstand, deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt.Doch Ost-Berlin wurde dieses begehrte Schwäche-Siegel, das den Brüsseler Subventionssegen auf sich zieht, nach dem Fall der Mauer praktisch außer der Reihe verliehen: "Ziel-1-Region" können nämlich normalerweise nur Gebiete werden, die eine ganz bestimmte Mindestgröße haben.Ost-Berlin erfüllt dieses Kriterium aber nicht, es ist als eigenständige Region zu klein. Die Brüsseler Regionalpolitiker ließen nach der Vereinigung aber eine Ausnahme gelten: Aus historischen Gründen - die Teilung Deutschlands - und um die Anpassung an den Westen zu erleichtern, bekam der Osten der Stadt einen Sonderstatus als Ziel-1-Gebiet. Doch diese Sonderregelung läuft Ende 1999 aus.Eine Fortsetzung des Berliner Förderungs-Privilegs scheint in Brüssel nicht mehr durchsetzbar.In der Umgebung der deutschen EU-Kommissarin macht man sich darüber keine Illusionen.Nach mehr als neun Jahren deutsche Einheit fordern die Partner eine schrittweise Rückkehr zur Normalität - in diesem Fall: zur Einhaltung der gemeinsamen Regeln, die für alle gelten.Schließlich leiden nicht nur die Ost-Berliner unter Strukturschwächen, sondern auch viele andere Regionen in Europa, deren Wirtschaft zum Teil noch weit größere Rückstände aufholen muß. Für Berlin aber bedeutet das Ende der Sonderrolle: Ost-Berlin und West-Berlin werden vom Jahr 2000 an als eine gemeinsame Region betrachtet.Da aber der Westen eine hohes Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet, kommt Gesamt-Berlin über die Schwelle von 75 Prozent des EU-Durchschnitts und fällt somit aus der höchsten Förderstufe heraus. Das Umland jedoch, alle neuen Bundesländer, werden den höchsten Förderstatus weiter behalten.Mehr noch: Sie sind vermutlich die Nutznießer der Reform der EU-Regionalpolitik.Die EU-Mittel sollen nämlich, so der erklärte Wille der Reformer, stärker auf die Ziel-1-Gebiete konzentriert werden.Zwei Drittel der Strukturfondsmittel sollen in diese Regionen fließen.Nach der - von allen gut geheißenen - Devise "mehr Konzentration, mehr Effektivität" werden die vorhandenen (knappen) Mittel nicht mehr, wie Kritiker bisher moniert haben, mit der Gießkanne verteilt, sondern auf die Ärmsten verteilt.Für die neuen Bundesländer ist das durchaus erfreulich: Ihr Brüsseler Fördertopf wird größer.Berlin aber ist der Verlierer der Reform. Das heißt aber keineswegs, daß Berlin vom Jahr 2000 an von der Hilfe aus Brüssel und Bonn gänzlich abgeschnitten wäre.Zunächst einmal sieht die Brüsseler Reform vor, daß die Regionen, die aus der höchsten Förderstufe fallen, nach dem 1.Januar 2000 sich in einer großzügigen Übergangszeit von sechs Jahren auf die neue Situation einstellen können.Die Anpassung an die härtere Beihilfengangart erfolgt also abgefedert und schrittweise.Außerdem bleibt natürlich das ganze Instrumentarium der nationalen Strukturpolitik erhalten - vom Ausbau der Infrastruktur über die Beihilfen für kleine und mittlere Unternehmen und über Beschäftigungsmaßnahmen bis zur gezielten Förderung von Forschung und Entwicklung. Selbst Brüsseler Gelder werden weiter nach Berlin fließen: Als Ziel-2-Gebiet, in dem die Brüsseler Zuschußintensität allerdings etwas geringer ist, werden nämlich künftig Gebiete bezeichnet, in denen sich "ein wirtschaftlicher Wandel vollzieht".Auch "Problemgebiete in Städten" gehören in diese Förderstufe.Beide Kennzeichnungen dürften für Ost-Berlin zutreffen. Trotzdem herrscht in Berlin in Sachen EU-Förderung inzwischen Alarmstufe eins.Hinter den Kulissen basteln die Koalitionsfraktionen CDU und SPD, Senat und Berliner Wirtschaft an einem gemeinsamen Resolution, mit der in Bonn und Brüssel die Dramatik der Lage klargemacht werden soll.Berlin pocht dabei auf die Sonderrolle und die besonderen Probleme der Stadt nach der Wiedervereinigung.Es geht nicht nur um die Erhaltung der EU-Fördermittel, sondern um die Sicherung des gesamten Wirtschaftsförderkonzepts der Stadt, das auf der EU-Einstufung basiert.Davon hängt auch die Höhe der Investitionszulage und der Lohnkostenzuschüsse ab. In den letzten Jahren hat die EU die Überwindung der Teilungsfolgen Berlins kräftig unterstützt.Von 1989 bis 1993 flossen 612 Mill.DM in die Stadt, von 1994 bis 1999 werden es aus heutiger etwa 2,2 Mrd.DM sein.

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