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Wirtschaft: Bund verfehlt Ziel bei Behindertenförderung

Marke von 50 000 neuen Jobs für Behinderte kaum zu erreichen / Regierung muss Pflichtquote heraufsetzen

Berlin (brö). Die Bundesregierung wird ihr Ziel, bis zum Oktober 50 000 neue Stellen für schwer behinderte Arbeitnehmer zu schaffen, vermutlich nicht erreichen. Diese Einschätzung äußerten führende Sozialverbände am Montag im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Deshalb drohen Arbeitgebern, die nicht genügend Schwerbehinderte beschäftigen, ab 2003 höhere Strafen. Der Sozialverband Deutschland warf Bund, Ländern und Gemeinden vor, zu wenige Behinderte zu beschäftigen und sich nicht genug um die Integration dieser Gruppe zu kümmern.

Die Bundesregierung hatte im Sommer 2000 das Ziel ausgegeben, binnen zweier Jahre die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten um 50 000 zu senken. Bis Ende August haben Unternehmen und Verwaltungen aber nur 36 500 zusätzliche Leute eingestellt. Dass angesichts der Krise auf dem Arbeitsmarkt bis Ende Oktober noch 13 500 neue Jobs für Schwerbehinderte entstehen, hält Hans-Jürgen Leutloff, Chef der Abteilung Sozialpolitik beim Sozialverband Deutschland (SoVD), für „unwahrscheinlich“. Zudem seien die Zahlen über die Arbeitslosigkeit Behinderter mit Vorsicht zu genießen. „Viele Behinderte sind arbeitsunfähig geworden oder in Rente gegangen, deshalb tauchen sie in der Beschäftigungsstatistik nicht mehr auf“, kritisierte er. Die Bundesregierung indes ist zuversichtlich, ihr Ziel von 50 000 neuen Behinderten-Jobs noch zu erreichen. „Es ist zu früh, eine Bilanz zu ziehen. Bis Oktober werden die fehlenden Stellen sicher noch geschaffen“, sagte eine Sprecherin von Arbeitsminister Walter Riester (SPD). Zudem seien zuletzt trotz der angespannten Arbeitsmarkt-Lage für Behinderte immer mehr Stellen entstanden.

Die Integration stockt

Erreicht die rot-grüne Koalition ihr Ziel nicht, könnten die Arbeitskosten weiter anstiegen. Um mehr Behinderte in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hatte die Regierung zum Jahresanfang 2001 die Pflichtquote für die Beschäftigung Behinderter von sechs auf fünf Prozent gesenkt. Im Gegenzug sollte die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter bis zum Oktober um 50 000 sinken. Wird dieses Ziel verfehlt, soll die Pflichtquote wieder auf sechs Prozent angehoben werden.

Bislang gab es auf dem Arbeitsmarkt stets zu wenig Stellen für Behinderte. Statistisch gesehen waren im Jahr 2000 in der Privatwirtschaft nur 3,3 von 100 Beschäftigten behindert, in den öffentlichen Verwaltungen lag die Quote bei 5,2. Unternehmen, die die Quote nicht erfüllen, müssen nach dem neuen Gesetz Strafen zahlen: Wer nur auf drei bis fünf Prozent Behinderte in der Belegschaft kommt, muss 105 Euro pro fehlender Stelle und Monat zahlen, bei bis zu drei Prozent sind es 180 Euro. Arbeiten weniger als zwei Prozent Schwerbehinderte im Betrieb, sind 260 Euro fällig. Für kleine und mittlere Unternehmen gelten Sonderregelungen.

Gegen eine erneute Anhebung der Pflichtquote regt sich indes Widerstand. Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage sei eine solche Maßnahme „absurd“, erklärte Bernhard Schwarzkopf, Arbeitsmarkt-Experte beim Arbeitgeberverband BDA. „Das würde die Lohnnebenkosten noch weiter erhöhen“, sagte er. Schuld an der schlechten Job-Bilanz für Behinderte hätten nicht die Betriebe. Vielmehr verhindere die starke Regulierung bei der Beschäftigung Behinderter die Schaffung von Stellen für diese Gruppe.

Auch die Sozialverbände lehnen eine Anhebung der Quote ab. Sie fürchten, dass sich die Beschäftigungslage Behinderter dadurch nicht bessert. „Dann werden die Arbeitgeber neue Stellen abblocken“, fürchtet Walter Hirrlinger, Präsident des Sozialverbandes VdK. „Minister Riester sollte lieber anpeilen, bis Oktober 2003 noch einmal 50 000 neue Behinderten-Stellen zu schaffen. Das würde den benachteiligten Menschen viel stärker nutzen“, sagte Hirrlinger. Denn bislang seien nur die leicht zu vermittelnden Behinderten in den Arbeitsmarkt integriert worden. Nun müssten aber auch Menschen mit einer schwereren Behinderung eine Chance bekommen. Erst wenn die Zahl von insgesamt 100 000 neuen Stellen im Oktober nächsten Jahres nicht erreicht werde, solle die Pflichtquote erhöht werden, verlangte Hirrlinger.

Schuld am zu langsamen Abbau der Arbeitslosigkeit von Behinderten haben nach Ansicht der Sozialverbände vor allem die öffentlichen Arbeitgeber. „Wegen der knappen Kassen fahren Länder und Gemeinden einen harten Sparkurs. Das darf aber nicht auf Kosten benachteiligter Menschen gehen“, verlangte Hans-Jürgen Leutloff vom Sozialverband Deutschland im Gespräch mit dieser Zeitung. VdK-Präsident Hirrlinger sagte, hier müsse auch die Bundesregierung mehr Druck ausüben, ebenso die Landesregierungen. „Das gilt auch für öffentlich-rechtliche Körperschaften, etwa gesetzliche Krankenkassen“, betonte Hirrlinger.

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