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Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank: "Ich verstehe heute den politischen Betrieb besser."

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Bundesbank-Präsident: "Wir müssen klare Kante zeigen"

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann über deutsche Defizite, die Risiken der Schuldenkrise und die Rolle der Notenbank.

Herr Weidmann, das neue Jahr beginnt. Liegt das Schlimmste der Krise vor uns oder hinter uns?

2010 und 2011 waren in Deutschland wachstumsstarke Jahre. Im Moment sehen wir eine Wachstumsdelle, rechnen aber damit, dass es im Verlauf des Jahres 2012 wieder bergauf geht. Allerdings ist diese Prognose mit hoher Unsicherheit behaftet, denn die Krise im Euro-Raum ist keinesfalls überwunden.

Andere ziehen den Vergleich zu den 30er Jahren. Ist das übertrieben?

Ich werde hier nicht in den populären Wettbewerb einsteigen, sich in Horrorszenarien und Schwarzmalerei zu überbieten. Um klar zu sehen, muss man unterscheiden: Die realwirtschaftliche Lage in Deutschland ist relativ günstig. Die Unternehmen sind wettbewerbsfähig, die Arbeitslosigkeit ist auf historisch niedrigem Niveau, die Löhne steigen und die Verbraucherstimmung ist gut. Aber die andere Seite ist: Die Finanzmärkte sind von erheblichen Unsicherheiten geprägt. In vielen Ländern des Euro-Raums dämpft dies spürbar die konjunkturelle Entwicklung. Die Lage ist dort wesentlich fragiler als in Deutschland. Entscheidend ist nun, dass die Politik die Ursachen der Staatsschuldenkrise mit glaubwürdigen Schritten angeht.

Aber es wird Jahre und Jahrzehnte dauern, bis Reformen greifen - und das Vertrauen fehlt heute.

Das Vertrauen muss in der Tat Schritt für Schritt wieder erarbeitet werden. Zuallererst sind die Regierungen in den betroffenen Ländern gefordert. Die Haushaltsdefizite sinken ja zum Teil bereits deutlich. Wenn Italien im Sommer mit dem Haushalt für 2013 tatsächlich die verlässliche Perspektive eines annähernden Haushaltsausgleichs geschaffen hat, werden wir in absehbarer Zeit einiges erreicht haben. Das gleiche gilt auch für Spanien, wenn der Defizitabbau wie vereinbart vorangekommen ist. In den Ländern, die derzeit im Fokus stehen, müssen Strukturreformen eingeleitet und umgesetzt werden.

Wie sind Sie mit der Krisenlösung auf der europäischen Ebene zufrieden?

Die aktuelle Unsicherheit ist sicherlich auch dadurch entstanden, dass nicht klar war, wohin die Währungsunion steuert. Haushaltsrisiken einzelner Länder wurden vergemeinschaftet und damit auf andere Länder abgewälzt. Durch die Aussicht auf immer umfassendere Hilfen weitgehend ohne Zinsaufschläge wurden die Anreize zur Haushaltskonsolidierung geschwächt. Deshalb war es wichtig, dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen Anfang Dezember vereinbart haben, den Stabilitätsrahmen der Währungsunion wieder zu stärken.

Aber reicht das aus?

Es ist sicherlich irreführend, bei dem in Aussicht gestellten Rahmen von einer Fiskalunion zu sprechen, denn die nationale Haushaltssouveränität bleibt im Kern erhalten. Aber es wurde ein härteres fiskalisches Regelwerk in Aussicht gestellt. Das kann einen hilfreichen Beitrag leisten, die aktuelle Krise zu überwinden.

Wenn der Vertrag im März vorliegt, ist also alles gut?

Die Verabredungen müssen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch umgesetzt werden und zwar in jedem einzelnen Mitgliedsland. Wir hatten schon bisher Regeln, die aber regelmäßig gedehnt und gebrochen wurden. Das muss sich ändern. Es wird darauf ankommen, wie die neuen Verabredungen mit Leben erfüllt werden.

Was groß ist Ihre Hoffnung, dass die Regeln diesmal eingehalten werden?

Ich glaube, es ist allen Beteiligten klar, dass sich eine solche Krise, wie wir sie derzeit erleben, nicht wiederholen darf. Verabredet ist, dass die Regeln in den einzelnen Ländern Verfassungsrang erhalten und die Sanktionen früher als bisher und automatisch greifen. Wenn das so kommt, bleibt künftig weniger Raum für politische Willkür. Durch die Verhandlungsspielräume früherer Zeiten konnten die Regeln aufgeweicht werden. Wenn Sünder über Sünder urteilen, muss keiner wirklich Sanktionen fürchten.

Welche institutionellen Schwächen sollte die Euro-Zone angehen?

Nochmals: Es ist keine Fiskalunion beschlossen worden, denn für Eingriffsrechte in die nationale Haushaltsautonomie finden sich offensichtlich keine Mehrheiten. Eine spürbare Ausweitung der Gemeinschaftshaftung ist damit nicht vereinbar. Insofern ist bei der Umsetzung der verabredeten Maßnahmen darauf zu achten, dass die Eigenanreize für solide Staatsfinanzen erhalten bleiben. Nur so kann das notwendige Vertrauen entstehen. Ich kann deshalb nur davor warnen, Hilfskredite ohne spürbare Zinsaufschläge zu vergeben, denn höhere Finanzierungskosten wirken disziplinierend.

Wäre der Weg in die Fiskalunion der klügere gewesen?

Als Notenbank maßen wir es uns nicht an, solche politischen Entscheidungen zu treffen. Eine stabilitätsorientierte Währungsunion kann man auf verschiedenen Wegen erreichen. Gemeinschaftliche Haftung setzt aber Eingriffsrechte voraus.

Nicht nur das Vertrauen in die Euro-Staaten ist erschüttert, sondern auch die Banken untereinander vertrauen sich nicht mehr und parken Rekordsummen bei der EZB. Wie lässt sich das ändern?

Die Banken im Euro-Raum haben zum Teil in erheblichem Umfang Staatsanleihen in ihren Büchern, und nicht zuletzt das hat Zweifel an der Widerstandsfähigkeit einzelner Finanzinstitute entstehen lassen. Wenn es gelingt, die Staatsschuldenkrise zu bewältigen, entschärft das die Probleme bei den Banken. Gleichzeitig können erhöhte Eigenkapitalvorgaben zur Solidität der Banken beitragen.

Diese Vorgaben drohen aber, die Kreditklemme zu verschärfen, weil die Banken ihr Geschäft zurückfahren.

Das ist nicht zwangsläufig so. Wir sollten die Kreditklemme nicht herbeireden. Die Banken können beispielsweise auch ihre Gewinne einbehalten statt sie an die Aktionäre auszuschütten, oder Aktien ausgeben. Auch so können sie ihr Eigenkapital stärken. Ich will aber gar nicht bestreiten, dass einige Banken ihre Bilanzen verkürzen werden. Auch vor diesem Hintergrund hat der EZB-Rat beschlossen, umfangreiche Liquidität zur Verfügung zu stellen.

Das billige Geld, das die EZB in den Markt pumpt, wird dann über Nacht dort wieder geparkt. Verpuffen diese Maßnahmen nicht völlig?

Nein, dass bei ausgeprägter Unsicherheit Mittel vermehrt zur Notenbank zurückfließen, sollte eigentlich niemanden überraschen. Die Botschaft ist aber: Die Liquiditätsversorgung des Bankensystems wird durch das Euro-System abgesichert.

Ist die Liquidität nicht vielleicht sogar zu groß?

Wir sind in einer Phase der Vollzuteilung. Das heißt, jede Bank erhält bis auf weiteres so viel Liquidität, wie sie braucht - natürlich vorausgesetzt, dass sie adäquate Sicherheiten stellt. Perspektivisch sind damit Risiken verbunden, die wir im Auge behalten müssen.

Nämlich?

Wenn die Kreditnachfrage wieder anzieht, könnte eine zu umfassende Liquidität Inflationsdruck erzeugen - dafür sehen wir aber derzeit keine Anzeichen. Wenn sich aus der großzügigen Liquiditätsbereitstellung Risiken für die Preisstabilität ergeben, wird das Eurosystem handeln.

Die Fonds, die Schirme, die Hebel, die Liquiditätsspritzen werden immer größer, aber die Krise nicht kleiner. Wie kommt das?

Immer neue, immer kompliziertere Instrumente, immer größere Summen schaffen offensichtlich kein Mehr an Sicherheit. Sie zeigen aber finanzielle Grenzen auf und gefährden auch die politische Akzeptanz der Rettungsmaßnahmen. Wenn Sie getroffene Entscheidungen im Wochenrhythmus in Frage stellen und die große Linie, in der sich die Entwicklung vollzieht, nicht mehr erkennbar ist, entsteht kein Vertrauen. Jetzt müssen die beschlossenen Schritte und Reformen umgesetzt werden.

Die Bundesbank soll 45 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds überweisen, damit dieser überschuldete Staaten stützt. Sie wollen, dass der Bundestag diese Entscheidung mitträgt und nicht nur zur Kenntnis nimmt. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Die Bundesbank wird auch in Zukunft ihren Beitrag zu einer angemessenen Finanzausstattung des IWF leisten. Was die 45 Milliarden Euro angeht, hat der Vorstand der Bundesbank bestimmte Voraussetzungen formuliert. Damit wollen wir zum einen verhindern, dass durch die IWF-Mittelaufstockung das Verbot der direkten Staatsfinanzierung durch die Notenbanken umgangen wird. Zum anderen können die zusätzlichen Mittel für den IWF aber auch die Risiken für den vom Bundestag beschlossenen Rettungsschirm und damit die Steuerzahler erhöhen. Es ist daher wichtig, dass sich der Bundestag darüber im Klaren ist.

Der Bundestag kommt Ihrer Bedingung bisher nicht nach.

Zunächst muss es einen Antrag des IWF geben, dann müssen alle Punkte erfüllt sein. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit der Bundesregierung und dem Bundestag einen Weg finden, die Voraussetzungen unseres Vorstandsbeschlusses zu erfüllen.

Sie kommen aus dem Kanzleramt. Wie kommt es, dass ausgerechnet Sie auf Distanz zur Politik gehen?

Ich bin aus der Bundesbank ins Kanzleramt gekommen und bin jetzt wieder in die Bundesbank zurückgekehrt. Ich suche keinen Abstand, sondern ich habe hier eine klar umrissene Aufgabe, nämlich für stabiles Geld zu sorgen, und die will ich erfüllen.

Die Opposition spendet Ihnen Beifall, zum Beispiel für die Bedingungen, über die wir gerade gesprochen haben.

Es geht hier nicht um Beifall von der einen oder der anderen Seite. Wir in der Bundesbank müssen unser Mandat erfüllen und dazu gehört es, dass wir uns für eine glaubwürdige Geldpolitik einsetzen. Dafür ist auch eine klare Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik wichtig. Notenbanken können ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie sich nicht vor den Karren der Haushaltspolitik spannen lassen.

Sehen Sie sich als Mann der Prinzipien und Vertreter der reinen Lehre?

Das ist doch nicht die Frage. Die EU-Verträge haben der unabhängigen europäischen Geldpolitik ein oberstes Ziel gegeben, nämlich die Inflation zu bekämpfen. Die Finanzierung von Staaten durch das Anwerfen der Notenpresse ist verboten. Es geht hier nicht um Prinzipienreiterei, sondern um die Legitimation unseres Handelns in einer demokratischen Grundordnung, die auf der Einhaltung der Gesetze und Verträge gründet. Auch das ist es doch, was Europa ausmacht. Ich sehe zudem nicht, wie man eine Vertrauenskrise dadurch überwindet, dass man die bestehende Rechtsordnung ignoriert.

Manche Kollegen im EZB-Rat sehen einen größeren Ermessensspielraum als Sie.

EZB-Präsident Mario Draghi betont auf jeder Pressekonferenz, dass auch er hier eine klare rote Linie sieht.

Trotzdem entsteht der Eindruck, dass Sie oft genug isoliert sind.

Wir diskutieren im EZB-Rat in einer sehr komplexen Lage über den richtigen Weg. Natürlich sind wir nicht immer alle 100-prozentig einer Meinung. Aber unser gemeinsames Ziel ist die Bewahrung der Preisstabilität.

Ist das vielleicht eine sehr deutsche Haltung, wie sie auch Ihr Vorgänger Axel Weber und der ebenfalls zurückgetretene EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark vertreten haben und wie sie auch dessen designierter Nachfolger Jörg Asmussen vertritt?

Eine Institution wie die Bundesbank und die Erfahrungen, die wir in Deutschland gemacht haben, prägen natürlich die Sichtweise von deutschen Vertretern im EZB-Rat. Deutschland ist mit dieser Stabilitätskultur in der Vergangenheit bestens gefahren, und sie ist aus gutem Grund Vorbild für das Euro-System geworden.

In der EZB haben kleine Euro-Staaten genauso viel zu sagen wie große. Ist das angesichts der Krise noch angemessen?

Die Mitglieder des EZB-Rats haben nicht die Aufgabe, nationale Interessen zu vertreten, sondern die Geldwertstabilität für den gesamten Euro-Raum zu sichern.

Sie sehen also keinen Verbesserungsbedarf?

Ich arbeite innerhalb des bestehenden institutionellen und rechtlichen Rahmens.

Wollen Sie nicht gestalten und die Institution fortentwickeln?

Ich bin nicht der Gesetzgeber. Aber natürlich bleiben wir als Institution auch nicht stehen. Das Euro-System hat sich in der Krise immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen und entwickelt sich im Rahmen seines Mandats weiter.

Was haben Sie aus Ihren Berliner Jahren mitgenommen?

Ich verstehe heute den politischen Betrieb besser und habe durchaus auch Respekt gewonnen vor der Verantwortung, die dort getragen wird. Insgesamt bestärkt mich meine Erfahrung aber in der klaren Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Geld- und Fiskalpolitik und in der klaren Kommunikation dieser Trennung. Es wäre für die Politik kurzfristig viel einfacher, die Notenbank stärker einzuspannen. Der notwendige Druck auf die Politik wird nur aufrecht erhalten, wenn sich die EZB auf die Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags beschränkt und nicht für die Fiskalpolitik in die Bresche springt. Wir müssen deutlich machen, wo unsere gesetzlichen, aber auch unsere tatsächlichen Grenzen liegen. Wir müssen klare Kante zeigen.

Aber die EZB springt doch in die Bresche.

In einer Vertrauenskrise, die aus Zweifeln an der Tragfähigkeit der Staatshaushalte entstanden ist, kann eine Notenbank nur sehr begrenzt helfen. Das Euro-System kann allenfalls eine Brückenfunktion wahrnehmen. Es sollte sein Mandat dabei aber nicht überdehnen. Grundsätzlich kann die Krise nur mit den Mitteln der Fiskalpolitik gelöst werden.

Ist es nicht ein zentrales Problem, dass Notenbanker langfristig denken und Politiker kurzfristig, nämlich bis zum nächsten Wahltermin?

Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Politik an ihre langfristige Verantwortlichkeit erinnern. Denn sonst führt dieses Argument zwangsläufig dazu, dass die Notenbank kurzfristig ihre Regeln brechen soll, um Erleichterung zu schaffen. So wie es zurzeit von Manchen gefordert wird. Das erinnert mich gelegentlich an einen Alkoholiker, der verspricht, ab morgen nüchtern zu bleiben, aber heute noch ein letztes Mal nach der Schnapsflasche verlangt.

Der Alkoholiker kann nicht anders.

Um dem zu begegnen wurden die Notenbanken unabhängig gemacht und Fiskalregeln verfassungsrechtlich verankert. Wir dürfen als Notenbank keine Anreize geben, die Probleme nicht an der Wurzel anzugehen.

Sie plädieren für kalten Entzug. Das ist schmerzhaft.

Ja. Aber mitunter notwendig, wenn man wieder auf einen mittel- und langfristig nachhaltigen Pfad kommen will.

Glauben Sie wirklich daran, dass sich alle Euro-Mitglieder bis hin zu Griechenland auf eine strikte Schuldenbremse einlassen?

Griechenland hat sich wie alle anderen dazu verpflichtet, eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang einzuführen. Jetzt kommt es auf die konkrete Umsetzung an. Die Beschlüsse der Währungsgemeinschaft dürfen im Vollzug nicht verwässert werden, wie es in der Vergangenheit allzu oft der Fall war. Hinzu kommt aber, dass von Griechenland keine Wende über Nacht erwartet wird. Die anderen Euro-Staaten kaufen Griechenland ein Jahrzehnt Zeit. Wichtig ist: Es hat sich in ganz Europa die Einsicht durchgesetzt, dass solide Staatsfinanzen und nachhaltiges Wachstum entscheidend sind.

Auch Deutschland hat mehr als zwei Billionen Euro Schulden.

Deutschland kommt als Stabilitätsanker der Währungsunion eine ganz besondere Verantwortung zu. Unser Land hat mit der Schuldenbremse ein sehr positives Beispiel gesetzt. Deutschland darf aber in seinen Bemühungen nicht nachlassen. Im alten Jahr wurde in einem günstigen konjunkturellen Umfeld das Defizit deutlich abgebaut, das ist erfreulich. Aber wir müssen jetzt auch zügig einen strukturell ausgeglichenen Haushalt erreichen. Die Konsolidierungspause der Bundesregierung im neuen Jahr ist vor dem zugrunde gelegten Wachstumsszenario nicht überzeugend. Eine der Lehren aus der Krise ist, dass man Konsolidierung möglichst nicht auf die lange Bank schieben sollte.

Sie wollen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble keine neuen Kredite aufnimmt?

Es geht darum, dass zügig ein struktureller Haushaltsausgleich erreicht wird. Hier sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen.

Sparen ist das eine - aber ist nicht Wachstum viel wichtiger?

Ich glaube es zeigt sich derzeit mehr als deutlich, dass der Verzicht auf solide Staatsfinanzen eben nicht wachstumsförderlich ist. Im Übrigen setzen die Reformpakete in den einzelnen Ländern nicht nur auf Einsparungen, sondern zu einem ganz wesentlichen Teil darauf, die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum zu stärken. Diese Länder müssen wieder wirtschaftliche Perspektiven entwickeln.

Sie meinen, man muss in manchen Ländern nicht ganz so strikt sparen, damit mehr Wachstum erzeugt wird?

Das sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Langfristiges Wachstum lässt sich beispielsweise durchaus steigern, wenn die Menschen Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte wiedergewinnen, eine ineffiziente Staatsverwaltung reformiert wird oder Betriebe privatisiert werden. Dauerhaftes Wachstum muss aus der Privatwirtschaft kommen. Über Staatsausgaben kann man allenfalls einen kurzfristigen Stimulus geben - aber auch nur dann, wenn dadurch das Vertrauen in solide Staatsfinanzen nicht verloren geht.

Das Gespräch führte Moritz Döbler

Jens Weidmann (43) ist seit Mai 2011 Präsident der Deutschen Bundesbank. Als Nachfolger von Axel Weber, der im Februar 2011 überraschend seinen Rückzug erklärt hatte, trat der promovierte Volkswirt sein Amt als bisher jüngster Chef der Notenbank an. Weidmanns Doktorarbeit trägt den Titel: „Geldpolitik und europäische Währungsintegration“. Zweitgutachter seiner 1998 veröffentlichten Dissertation war Axel Weber. Weidmann ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Vor seinem Wechsel zur Bundesbank war Weidmann der wichtigste wirtschafts- und finanzpolitische Berater der Bundesregierung. 2006 machte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Parteilosen zum Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung im Kanzleramt. Ende 2009 wurde er zusätzlich Merkels persönlicher Beauftragter für die Vorbereitung der G8- und G20-Gipfel.

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