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Wirtschaft: Bundesbank soll Stellen schaffen

DIW nimmt Währungshüter in die Pflicht / Expansive Geldpolitik verlangt Berlin (mo).Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eindringlich an die Bundesbank appelliert, ihren geldpolitischen Spielraum weiter auszunutzen.

DIW nimmt Währungshüter in die Pflicht / Expansive Geldpolitik verlangt Berlin (mo).Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eindringlich an die Bundesbank appelliert, ihren geldpolitischen Spielraum weiter auszunutzen.Die Bundesbank, so DIW-Konjunkturexperte Heiner Flassbeck, müsse endlich auch Bereitschaft zur Übernahme beschäftigungspolitischer Verantwortung erkennen lassen; so, wie die Tarifpolitiker stabilitätspolitische Verantwortung übernähmen.In Japan oder den USA hätten sich die Notenbanken zu einem entsprechenden Kurs mit Erfolg durchringen können.DIW-Präsident Lutz Hoffmann bezeichnete die Zielsetzung der Bundesbank als asymmetrisch und verwies darauf, daß der Bundesrepublik jede Erfahrung mit Deflation fehle.Dieses Land besitze nur Inflationserfahrung, betonte er.Eine Spirale sinkender Preise, wirtschaftlicher Stagnation bzw.wirtschaftlichem Rückgang und kontinuierlichem Abbau von Arbeitsplätzen sei aber mindestens konjunkturell und volkswirtschaftlich ebenso schädlich wie eine stete Preisentwertung bei Überhitzung der Wirtschaft. Durch eine expansive Geldpolitik, das heißt noch niedrigere Zinsen und eine großzügigere Versorgung des Marktes mit Geld, könnte die Finanzpolitik entlastet werden, was wiederum zu einer Belebung der Investitionstätigkeit und zu einer Entlastung auf dem Arbeitsmarkt führen könne.Andernfalls sei mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen zu rechnen.Die einseitige Ausrichtung der Unternehmen auf die Kostenseite lasse jedenfalls keine Lösung des Beschäftigungsproblems erkennen, erklärte Hoffmann.Die wiederholt in Aussicht gestellte Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende sei nichts weiter als ein rein politisches Ziel.In Wirklichkeit blieben die Arbeitslosenzahlen dauerhaft hoch.Das Institut rechnet mit über 4,1 Millionen Arbeitslosen in diesem Jahr und womöglich 4,5 Millionen im kommenden Jahr.Allein im Ostteil der Republik wird für 1997 mit einer Arbeitslosenquote von 16,4 Prozent - nach 15,6 Prozent im Vorjahr - gerechnet. Um eine dauerhafte Entlastung am Arbeitsmarkt bewerkstelligen zu können, benötige man Wachstumsraten, wie sie - in der Folge der deutschen Einheit - 1989 und 1991 mit 4,9 respektive 5,2 Prozent zu einem Abbau der Arbeitslosenzahlen um jeweils 200.000 beigetragen habe, erklärte Flassbeck.Die Hochrechnungen des DIW aber lassen keine solche Trendwende erkennen.Im Gegenteil: Die Erwartungen für 1997 wurden nach der Vorlage des letzten Herbstgutachtens weiter nach unten geschraubt.Das Wachstum in den neuen Ländern soll dieses Jahr nur noch ein Prozent erreichen und damit sei das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.In den alten Ländern wird mit einem Wachstum von zwei Prozent gerechnet. Den restriktiven Kurs der Finanzpoltik bezeichneten die Ökonomen des DIW unisono als kontraproduktiv.Im Grunde könnten nur höhere Haushaltsdefizite in der gegenwärtigen Situation zu einem Aufschwung mit entsprechenden Beschäftigungswirkungen führen.Auch seien höhere Infrastrukturausgaben von bis zu 20 Mrd.DM nötig.Die Bonner Finanzpolitik, so Dieter Vesper, der für Finanzpolitik zuständige Fachmann beim DIW, habe sich in eine Sackgasse manövriert.Sparen im labilen Umfeld sei nicht sinnvoll.Nicht einmal das selbst gesetzte Ziele, die Einhaltung des Defizitkriteriums von drei Prozent, werde eingehalten.Mit 137 Mrd.DM erreichte das Staatsdefizit 1996, laut Vesper, 3,9 Prozent des nominellen Bruttoinlandproduktes; in diesem Jahr sei mit einem Abbau auf 125 Mrd.DM zu rechnen, was einer Quote von 3,4 Prozent entspreche.Im Maastrichter Vertrag ist die Einhaltung einer dreiprozentigen Quote vorgeschrieben.Mit Blick auf die Lage in den ostdeutschen Ländern empfiehlt Vesper, den Solidaritätszuschlag abzubauen ohne die Transfersleistungen für die neuen Länder zu reduzieren. KOMMENTAR

Inflation? Deflation! VON MARTINA OHM

Mit ihrer Kritik am Kurs der Deutschen Bundesbank betreten die Ökonomen vom DIW kein Neuland.Seit Jahren pflegt man in Berlin vielmehr die distanzierte Auseinandersetzung mit der deutschen Geldpolitik.Wohlwissend, daß im wesentlichen drei Parteien - Finanzpolitiker, Tarifpartner und Währungshüter - über die Lage am Arbeitsmarkt maßgeblich mitentscheiden, gehen die Berliner Wirtschaftler aber inzwischen in die Offensive.Nach dem inflations- und beschäftigungsfreundlichen Kompromißabschluß der Metaller und dem festgefahrenen Kurs der Finanzpolitik bleibt offenbar keine andere Blickrichtung als die zur Deutschen Bundesbank mehr frei.Das mag insofern überraschen, da die explizite Forderung nach einer Art Beschäftigungspolitik, wie sie die deutschen Währungshüter von Stund an nach Gusto der Berliner betreiben soll, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt.Auch die Unterstützung der Wirtschaftspolitik kann nicht zwangsläufig mit aktiver Beschäftigungspolitik gleichgesetzt werden.Die Arbeitslosenzahlen aber, die unkontrolliert ins Uferlose zu driften scheinen, und der Aufbau Ost der ohne Gegensteuerung mittlerweile zum Abschwung degeneriert, rechtfertigen allerdings jeden noch so unkonventionell anmutenden Vorschlag.Die Arbeitslosigkeit ist nicht länger zu bezahlen.Und doch steigt die Zahl der Arbeitslosen von Jahr zu Jahr.Was läge also näher als mit Herbert Giersch die Aufmerksamkeit auf ein Phänomen zu lenken, das den meisten im Lande bisher schlichtweg entgangen zu sein scheint: Jeder redet von Inflation, in Wahrheit sind die deflationärer Gefahrenmomenten in unserer Wirtschaft kaum zu übersehen.

MARTINA OHM

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