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Wird gesucht: Flugbegleiterin bei Air Berlin.

© promo

Casting bei Air Berlin: Etwas Englisch, etwas Geografie

Zu Besuch bei einem Casting von Air Berlin: Wie die schwer angeschlagene Airline 500 neue Flugbegleiter sucht - und an wenigen Tagen findet.

Hätte sie doch bloß die Wollmütze nicht aufgesetzt! Die Haare der anderen Frauen sind glatt und glänzend, ihre ganz strubbelig. Anna C. kramt in ihrer Tasche. Ohne zu finden, was sie sucht. Die Bürste hat sie wohl zu Hause vergessen. Sie fährt sich mit den Fingern durch die braunen Locken, streicht hastig darüber. Als würde sie mit ihren 47 Jahren nicht schon genug auffallen.

Es ist kalt an diesem Morgen. Vier Grad unter Null. Trotzdem kommen die Frauen in dünnen Strumpfhosen und Pumps in den ersten Stock des RIU Plaza Hotels in Schöneberg. Sie sind für ein Casting hier. Der Organisator: Air Berlin. Der Wunsch: Flugbegleiterin werden.

Eine Mitarbeiterin drückt jedem, der ab neun Uhr kommt, einen Bogen zum Ausfüllen in die Hand: Name, Schulbildung, Berufserfahrungen. Die einzigen Kriterien, die stimmen müssen: Mindestalter 18 Jahre, Mindestgröße 1,60 Meter, recht gute Sehstärke, keine sichtbaren Tattoos oder Piercings, die Fähigkeit, zu schwimmen.

Die ersten geben ihren unterschriebenen Bogen ab, zeigen Ausweis oder Reisepass, setzen sich auf einen der schwarzen Plastikstühle – und warten.

Niemand kommt in den Tagungsraum und begrüßt die Frauen und Männer. Die Airline stellt sich lediglich mit einer Powerpoint-Präsentation vor. Von den Bewerbern sagt auch keiner ein Wort. Das einzige Geräusch ist das Zischen einer Wasserflasche, die ein Teilnehmer öffnet.

Etwas Englisch und Geografie

„Bewerbernummer Fünf?“ Eine junge Frau, Anfang 20, steht auf und folgt einem Mitarbeiter von Air Berlin. Weitere Frauen und Männer kommen zum Casting. Bögen werden verteilt und ausgefüllt. Nach einer halben Stunde kommt Bewerbernummer Fünf wieder, lächelnd, mit einer weißen Mappe in der Hand. Darin ihr Zertifikat. „War ganz einfach“, sagt sie.

Im ersten Teil, einem Interview auf Englisch, sollte Mona L. der Jury von ihren Hobbys erzählen und eine technische Ansage laut vorlesen. Beim Allgemeinwissenstest sollte sie den aktuellen Bundespräsidenten und die schwedische Hauptstadt nennen – und aus einer Auswahl von Antworten sagen, wo der Meridian liegt, was der höchste Berg Europas ist und welche Länder am Atlantik liegen. Die sechste Frage fällt ihr nicht mehr ein. Vier Antworten mussten richtig sein. Danach folgte das persönliche Gespräch mit Führungskräften und Personalern der Fluggesellschaft.

Seit November sucht Air Berlin mehr als 500 Stewards und Stewardessen. Einige Bewerber waren zunächst skeptisch. Was hatten sie die vergangenen Monate nicht alles gehört über die hohen Verluste der Fluggesellschaft, die Pläne zur Zerschlagung. Die Flotte der zweitgrößten Airline Deutschlands könnte um rund die Hälfte auf 75 Flugzeuge schrumpfen. Bis zu 1200 Arbeitsplätze sollen wegfallen. Wie passt das zur Einstellung von 500 Flugbegleitern? „Wir brauchen Personal, weil wir das Langstreckennetz in die USA ausbauen“, erklärt die Unternehmenssprecherin. „Und die Entlassungen beziehen sich auf das Bodenpersonal.“

Das Casting-Format ist neu

Erstmals wählt Air Berlin für das Bewerbungsverfahren Castings. Früher folgte nach der schriftlichen Bewerbung ein Assessment-Center. „Mit dem neuen Format erreichen wir aber viel mehr Leute und das Prozedere dauert kürzer“, sagt eine Sprecherin. „Und gerade die Jüngeren sind doch mit Castings groß geworden. Es passt in unsere Zeit.“ Lufthansa hatte damit im vergangen Sommer begonnen.

Sofie L. war drei Jahre alt, als die erste Popstars-Staffel lief, fünf, als „Deutschland sucht den Superstar“ erstmals ausgestrahlt wurde, und neun, als Heidi Klum anfing, „Germany’s next Topmodel“ zu suchen. Jetzt ist sie 20 und ärgert sich gerade über eine Laufmasche. Seit zwei Jahren jobbt sie in der Gastronomie. Für 450 Euro im Monat. „Das kann man aber nicht sein Leben lang machen“, sagt sie. „Ich mag aber den Service-Bereich, deswegen versuche ich hier mein Glück.“ Sofie L. wird genommen. Sie zieht sich ihre Jacke an und tauscht die hohen Absätze gegen weiße Chucks, bevor sie geht.

Bislang sind 600 Frauen und Männer zu den Castings in Landshut, München und Berlin bekommen. Die Erfolgsquote soll bei 60 Prozent liegen. Woran es meistens scheitere, sei die englische Sprache, sagt die Sprecherin. An diesem Mittwochmorgen in Schöneberg scheint es, als würde jeder genommen. „Man muss schon sehr dämlich sein, wenn nicht“, sagt ein junger Mann, dunkle Haare, weißes Hemd, schwarze Weste. Die Frau neben ihm hat ihre blonden Haare zu einem Dutt hoch gesteckt, trägt ein Kostüm und ein geknotetes Seidentuch um den Hals. Manche der Bewerber sehen aus, als seien sie schon längst Flugbegleiter.

Ein Jahr lang? Das wäre ok!

Sarah K. hat sich ihren marineblauen Bleistiftrock extra für das Casting gekauft. Sie hat gerade ihren mittleren Schulabschluss gemacht und möchte sich ein Jahr Zeit nehmen, um zu überlegen, was sie werden möchte. Ihre Mutter war erst skeptisch, weil sie die schlechten Nachrichten rund um Air Berlin kannte. Doch solange Sarah sich nur orientieren möchte und in ein, zwei Jahren eine Ausbildung beginnt, ist das für ihre Mutter in Ordnung. Immerhin bekommt Sarah nach der achtwöchigen Schulung 1500 Euro netto im Monat. Vielleicht möchte das Mädchen später eine Ausbildung zur Tourismuskauffrau machen. Dann wird sie nur fast die Hälfte verdienen.

Gleich ist Anna C. dran. Sie ist nervös, zwischen all den jungen Frauen, die gerade von der Schule kommen und sich noch nicht festlegen wollen. So wie die junge Frau neben ihr, die sechs Jahre im Ausland studiert und gearbeitet hat, aber noch nicht jeden Tag am Computer sitzen will. Anna C. schaut sie an. „Ich hab mich gar nicht aufgebrezelt“ sagt sie. „Hohe Schuhe hab ich auch nicht an. Ich bin doch schon so groß.“ Bewerbernummer 17? Anna C. steht auf.

Es dauert etwas länger als zuvor bis sie zurückkommt. Erst sei es gut gewesen, erzählt sie, aber dann habe die Jury nach ihrem Alter gefragt. Ob sie sich vorstellen könne, fast nur mit Jüngeren in den Zwanzigern zu arbeiten. Sie hätten andere Lebenserfahrungen, andere Gesprächsthemen. Das mache ihr nichts aus, habe Anna gesagt. Sie freue sich, überhaupt wieder Kollegen zu haben. Immerhin hat sie die letzten Jahre als freiberufliche Künstlerin arbeitet, war jeden Tag allein im Atelier. „Das macht ganz schön einsam“, sagt sie, und zieht die weiße Mappe aus ihrer Tasche. Auch Anna hat den Job.

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