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Der CDU-Politiker Carsten Linnemann setzt auf einen internationalen Emissionshandel.

© Michael Kappeler/dpa

CDU-Mittelstandschef im Interview: „Dem Klima ist egal, ob in Deutschland oder Bangladesch die Luft verpestet wird“

Carsten Linnemann erklärt, was seiner Meinung nach wirklich den Klimawandel aufhält – und was auch ein Konservativer an Fridays for Future gut finden kann.

Carsten Linnemann ist Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Wirtschaft, Mittelstand und Tourismus.

Herr Linnemann, der Kohleausstieg ist beschlossen, der Ausbau der Erneuerbaren stockt. Müssen wir zurückkehren zur Atomkraft?
Nein, dafür gibt es keine gesellschaftliche Akzeptanz. Wir sind gerade dabei, ein Paket zu schnüren für den Ausbau der Windkraft an Land, auf See und bei der Photovoltaik.

Der Wirtschaftsflügel der Union kämpft für harte Abstandsregeln. So werden keine neuen Windräder gebaut.
Ich sehe die Abstandsregeln als Chance, das Thema zu befrieden. Wenn wir die 1000 Meter im Baugesetzbuch festschreiben, wird das Thema in den nächsten Jahren nicht mehr angefasst. Es gibt Verwaltungsgerichtsbeschlüsse in den Bundesländern, die die 1000 Meter bestätigen. Entscheidend für den Ausbau der Windkraft ist aber ohnehin, dass die Verfahren beschleunigt werden. Teilweise laufen mehrere Verfahren hintereinander, die jahrelange Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen.

Das hieße auch beschnittene Einspruchsmöglichkeiten für Bürger.
Die Bürger können nach wie vor bei Vorhaben mitreden, aber es gibt dafür eine klare Frist.

Was halten Sie vom deutschen Kohleausstieg?
Ich persönlich hätte es vorgezogen, wenn man den Europäischen Emissionshandel seine Wirkung getan lassen hätte. Es hätte die Kohlekommission dann so nicht gebraucht, der Kohleausstieg wäre von sich aus eingetreten. Jetzt regeln wir den Ausstieg gesetzlich und das ist teuer.

40 Milliarden Euro bekommen allein die vom Strukturwandel betroffenen Regionen.
Ich hoffe, dass das Geld nicht einfach ohne Konzept ausgegeben wird, sondern dass man sich in den Regionen mal was traut – wie etwa die Umsetzung von Reallaboren als Testräume für Innovationen. Ich bin auch für die Einrichtung eines Sondervermögens, damit das Geld für den Strukturwandel klar zuzuordnen ist und nicht aus dem allgemeinen Haushalt kommt. Die Leverkusener Brücke darf nicht weniger wichtig werden als das Bahnprojekt in der Lausitz.

Der Windbauer Enercon musste gerade 3000 Mitarbeiter entlassen. Die haben keinen Cent gesehen. Die Kohlekumpel bekommen nun Entschädigung vom Steuerzahler. Ist das fair?
Das ist nicht vergleichbar. Enercon hat jahrelang von unserer Politik profitiert und zwar von Subventionen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Die PV-Unternehmen wurden subventioniert und sind trotzdem in die Insolvenz gegangen. Als Politiker muss ich mir natürlich die Frage stellen, ob es richtig ist, dass wir über das EEG 20 Jahre lang eine feste Vergütung garantieren. Innovationen bleiben dann häufig auf der Strecke. Wir hätten besser eine Anschubfinanzierung aufsetzen müssen. Das EEG muss jetzt dringend auslaufen.

Wie hätte die Anschubfinanzierung denn konkret den PV-Unternehmern geholfen?
Dann hätte die Solarindustrie gewusst, dass die Förderungspolitik sie nicht auf Dauer schützt. Es war ein Konsens, dass wir die Energiewende machen, aber wir wollten immer Versorgungssicherheit und bezahlbare Strompreise gewährleisten. Beides steht jetzt auf der Kippe. Wir laufen Gefahr, vom Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen abhängig zu werden.

Wie wollen Sie das Ziel erreichen, bis 2030 65 Prozent der Stromversorgung durch erneuerbare Energien zu decken?
Mir wären vor allem zwei Punkte wichtig, die in der Debatte häufig unter gehen: Wir müssen erstens viel technologieoffener werden. Bei der Autodebatte reden wir fast nur noch über Batterien und Elektro, und zu wenig über die alternativen Antriebe wie Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe. Und ich setze zweitens auf den sektorübergreifenden Emissionshandel. Der kann europaweit starten, um dann möglichst schnell global ausgeweitet zu werden.

Wie hilft dieser dabei, das Erneuerbaren-Ziel in Deutschland zu erreichen?
Er hilft, weltweit Innovationen auf den Weg zu bringen. Klimaschutz ist doch eine internationale Aufgabe. Dem Klima ist es egal, ob in Deutschland ein dreckiges Auto die Luft verpestet oder in Bangladesch ein dreckiges Kraftwerk, und deswegen müssen wir ziemlich schnell in den internationalen Bereich rein.

Wenn wir als Deutsche mithelfen, den Europäischen Emissionshandel sektorübergreifend zu etablieren und diesen mit dem Emissionshandelssystem anderer Länder zu verbinden, dann haben wir fürs Klima richtig was geschafft. Ich hoffe, dass Frau Merkel das in der deutschen Ratspräsidentschaft zu einem ihrer Themen macht. Daneben bauen wir in Deutschland massiv Windkraft offshore aus, schaffen mehr Planungssicherheit für den Ausbau von Windkraft an Land und werden den PV-Deckel aufheben.

Ein Emissionshandel, der alle Sektoren umfasst, soll erst 2030 kommen, so steht es im Klimapaket. Für die Ausweitung hätte es einen einstimmigen Beschluss des EU-Rates gebraucht.
Ich würde die Ausweitung des Emissionshandels am liebsten schon in diesem Jahr auf den Weg bringen. Ein Gutachten von uns zeigt, dass das ohne eine Änderung der entsprechenden Verordnung und damit ohne Beschluss des EU-Rates geht. Wie werden Klimapolitik nicht allein in Deutschland schaffen und auch nicht in Europa.

Europa deckt gerade mal neun Prozent des weltweiten CO2-Ausstoß ab. Es bedarf einer weltweiten Anstrengung. Und auch ich unterstreiche, dass Klima eines der herausragenden Themen ist, aber ich halte da nichts von Panik. Wer Panik hat, verschließt sich vor Möglichkeiten.
Wo Sie das mit der Panik sagen, dann können Sie wahrscheinlich auch mit der Fridays for Future-Bewegung nicht viel anfangen, oder?
An Fridays for Future schätze ich, dass sie für das Thema weltweit sensibilisieren. So hat die Bewegung geholfen, Klimaschutz als internationales Thema zu sehen. Klimawandel ist ein weltweites Problem, das nur weltweit gelöst werden kann.

Sie schätzen also die Bewegung an sich, aber teilen nicht deren Forderungen…
Nein, denn Fridays for Future fordern zum Beispiel, dass wir in Deutschland sofort mit der Kohle Schluss machen. Wenn wir den Weg gehen, dann wird es in Deutschland immer weniger Industrie geben und wir müssten massiv aus dem Ausland Kohle- und Atomstrom importieren. Was wäre dann gewonnen? Mit anderen Worten: Es wäre doch niemandem geholfen, wenn von heute auf morgen unsere Kohlekraftwerke schließen, die freiwerdenden Zertifikate dann im Ausland genutzt werden und wir Kohlestrom aus Polen brauchen.

Welche Sorgen hat der deutsche Mittelstand mit Blick auf die Klimapolitik?
Ich habe mich kürzlich mit Unternehmern aus den Bereichen Keramik und Textil getroffen. Sie haben alle große Sorgen mit Blick auf das neue Emissionshandelsgesetz, durch das ein CO2-Preis in den Sektoren Verkehr und Wärme eingeführt wird.

Der Hauptkostenpunkt für die Unternehmen ist die Prozesswärme und die läuft vor allem über Gas, dessen Verbrauch teurer wird. Es bringt ihnen also nichts, wenn die Bundesregierung den steigenden Strompreis über das EEG entlasten will. Wenn für sie kein Ausgleich gefunden wird, werden sich viele Unternehmen die Frage stellen, ob sie Produktionskapazitäten ins Ausland verlagern müssen.

Die Drohung der Abwanderung liegt ja immer schnell auf dem Tisch. Zudem sind auch im neuen Emissionshandel Regeln zur Entlastung der Unternehmen vorgesehen.
Ich würde das Risiko der Abwanderung keinesfalls unterschätzen.

Die Unternehmen, die heute schon dem Europäischen Emissionshandel unterliegen, sind strikt gegen eine schnelle Ausweitung des Systems. Sie müssten die Emissionsminderungen in erster Linie erbringen.
In dem Moment, in dem es nur einen CO2-Preis für alle Branchen gibt, würde die Tonne CO2 stets dort reduziert, wo es am wenigstens kostet. Am Anfang mag das noch stärker der Kraftwerks- und Industriesektor sein. Aber in Erwartung steigender Preise würden auch im Verkehr- und Wärmebereich schnell Innovationen auf den Weg gebracht.

Wie schauen Sie auf die nächste Legislaturperiode? Möglicherweise müssen Sie sich in einer schwarz-grünen Bundesregierung arrangieren.
Mit den Grünen sehe ich je nach Bereich einige Schnittmengen. Bei der Renten- und Sozialpolitik haben wir mehr Schnittmengen als derzeit mit der SPD. Beim Klima können wir über das Instrument des Emissionshandels zusammenfinden. Wo die Grünen und die Union sehr weit auseinanderliegen, ist die Frage, ob man Verhaltensänderungen des Einzelnen über Verbote oder Anreize, über Ordnungsrecht oder Marktwirtschaft erreichen will.

Gibt es etwas, was Sie sich beim Klima von den Grünen abschauen könnten?
Die Grünen sind beim Thema Klima ziemlich geschlossen, die haben ein Konzept und verfolgen das, auch wenn es nicht immer stimmig ist. Wir müssen dem Konzept der Grünen ein stimmiges Konzept entgegenstellen und zeigen, dass wir ebenso geschlossen sind.

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