zum Hauptinhalt
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv).

© Thilo Rückeis

Chef der Verbraucherzentralen: „Wir wollen die Internetgiganten zähmen“

Klaus Müller, Deutschlands oberster Verbraucherschützer, spricht über unfaire Klauseln bei Instagram und die Opfer der Diesel-Krise.

Herr Müller, spielt Verbraucherschutz für Wähler keine Rolle?
Für viele Verbraucherinnen und Verbraucher hat die Frage, wie sicher sie sich fühlen, im letzten Wahlkampf eine große Rolle gespielt. Die Politik ist aber weitgehend nur um das Thema der inneren Sicherheit gekreist. Sie wäre besser beraten gewesen, den Blick zu weiten und zu schauen, wo sich die Menschen darüber hinaus noch unsicher fühlen.

Was meinen Sie?
Es gibt noch viele weitere Bereiche, in denen sich Verbraucher verunsichert fühlen, von der Lebensmittelsicherheit über die Altersvorsorge bis hin zu der Frage, wie sicher ich im Internet unterwegs bin.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat in der vergangenen Legislaturperiode zahlreiche Verbraucherschutzgesetze auf den Weg gebracht. Gebracht hat ihm das aber nichts. Geht es den Menschen zu gut?
Wenn Sie mit VW-Kunden sprechen, die Fahrverbote befürchten und den Wertverlust ihres Autos vor Augen haben, sehen die das sicher anders. Oder Menschen, die im Sommer ihren Kühlschrank durchforstet haben, um Eier mit Fipronil auszusortieren. Oder die Passagiere von Air Berlin, deren bezahlte Flüge gestrichen worden sind. Ich glaube, die Alltagserfahrung als Verbraucher ist für die Menschen maßgeblich. Hinzu kommt: Wähler am politischen Rand fühlen sich weit weniger gut geschützt als Wähler der Mitte. Das wissen wir aus repräsentativen Umfragen. Die Politik sollte deshalb nicht über den Wahlerfolg der AfD klagen, sondern überlegen, wie man den Alltag der Menschen sicherer, kostengünstiger und einfacher gestalten kann. Da erwarten wir von einer Jamaika-Koalition einiges.

Was genau?
Es gibt vier Messlatten für die künftige Bundesregierung. Die Niedrigzinsphase entwertet die private Altersvorsorge. Die Riester-Rente ist zu teuer, die private Altersvorsorge muss effizienter und einfacher werden. Zweitens: Die Energiewende ist für Verbraucher, aber auch für Handwerker und Einzelhändler zu teuer. Jamaika muss etwas für den Klimaschutz tun, aber die Kosten müssen fairer verteilt werden. Drittens: Wir bewegen uns in der digitalen Welt, Algorithmen werden darüber entscheiden, welche Produkte und Preise mir angeboten werden oder wie sich ein autonom fahrendes Autos verhält. Das Problem: Die Algorithmen werden anders als Bremsen oder Aufzüge nicht unabhängig kontrolliert. Und Punkt vier: Wir sind auf dem Weg in eine Amerikanisierung des deutschen Rechtssystems, wie der VW-Skandal zeigt. Hochkompetente US-Kanzleien arbeiten mit Prozessfinanzierern zusammen und vertreten Verbraucher gegen satte Provisionen. Aber eine Antwort auf den rechtlichen Umgang mit Fällen, in denen unzählige Menschen geschädigt wurden, hat die deutsche Politik bislang nicht gegeben. Die nächste Bundesregierung sollte an die Vorarbeiten der alten Regierung anknüpfen und die Musterfeststellungsklage auf den Weg bringen.

Hat Verkehrsminister Alexander Dobrindt die VW-Kunden im Stich gelassen?
Er stand zu lange auf der falschen Seite, nämlich auf der Seite der Autohersteller. Die Kontrollen und das Recht waren zu lasch. Die Industrie hat sämtliche Lücken ausgenutzt, bis hin zur Verbrauchertäuschung. Der nächste Bundesverkehrsminister muss auf der Seite der Autofahrer stehen.

Was heißt das: Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Industrie?
Für den Einzelnen wäre ein Fahrverbot unverhältnismäßig. Die nächste Bundesregierung muss die Autoindustrie verpflichten, Hardware-Nachrüstungen durchzuführen und die Kosten zu übernehmen. Die Bundesregierung muss zudem mehr Geld in den öffentlichen Personenverkehr stecken, um Fahrverbote zu verhindern. Und sie muss den Druck auf Volkswagen erhöhen, auch über das Jahr 2017 hinaus, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Damit könnten Kunden in Ruhe abwarten, bis der Bundesgerichtshof über die strittigen Fragen entscheidet. Sollte VW alles richtig gemacht haben, könnte sich das Unternehmen doch darauf einlassen.

Und wenn nicht? Was bedeutet das für die Kunden?
Millionen VW-Kunden könnten zum Ende dieses Jahres Gewährleistungsansprüche aus dem Diesel-Skandal verlieren. Ende 2018 könnten dann auch deliktsrechtliche Ansprüche verjähren, also etwa Ansprüche, die durch vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung entstanden sind. Diese Unsicherheit treibt tausende Menschen in die Hände der Anwälte und vor Gericht. Das ist für die Gerichte eine enorme Belastung. Deshalb freuen wir uns, dass auch die Justizminister in den Bundesländern für die Musterfeststellungsklage plädieren, die ein kostengünstiges Instrument für solche Fälle wäre.

Für VW-Kunden käme sie aber zu spät.
Möglicherweise ja. Klarheit hätten die Betroffenen nur, wenn VW den Verzicht auf die Einrede der Verjährung erneuert.

Früher waren Banken die Lieblingsfeinde der Verbraucherschützer, jetzt sind viele Kreditinstitute angeschlagen. Wer sind Ihre neuen starken Gegenspieler: die Autoindustrie, die Internetkonzerne?
Der Streit um Verbraucherrechte im Internet wird immer wichtiger. Den Online-Markt dominieren US-Großkonzerne. Wir Verbraucherschützer haben uns diese Internetgiganten systematisch vorgenommen, um sie dazu zu bringen, sich an deutsches Recht zu halten – notfalls vor Gericht. Wir haben schon erfolgreich gegen Facebook geklagt und haben uns jetzt die Facebook-Tochter Instagram genauer angeschaut. Instagram ist ja vor allem unter jungen Menschen sehr beliebt. In Deutschland nutzen 15 Millionen Menschen diese App.

Was stört Sie an der Foto-App?
Instagram hat sich von seinen zumeist jugendlichen Nutzern viel zu weitreichende Rechte einräumen lassen. Ich glaube nicht, dass irgendein User wusste, was im Kleingedruckten steht.

Was steht da Schlimmes?
Die User haben zugestimmt, dass Streitigkeiten vor US-Schiedsgerichten ausgefochten werden, dass kalifornisches Verbraucherrecht gilt, dass sie Instagram kostenlos weitreichende Nutzungsrechte an ihren Bildern und Filmen einräumen und Instagram mit dem Material werben darf. Instagram hätte zudem aus eigenem Ermessen Fotos, Videos oder gleich das ganze Nutzerprofil sperren können. Für junge Menschen, die über das Medium kommunizieren, eine Katastrophe. Und das Unternehmen hätte personenbezogene Daten der Nutzer an Werbepartner weitergeben dürfen. Wir haben insgesamt 18 Klauseln abgemahnt, und Instagram hat in vollem Umfang eine Unterlassungserklärung abgegeben.

Das heißt: Instagram hat nachgegeben.
Ja. Das Unternehmen hat jetzt bis Jahresende Zeit, seine Geschäftsbedingungen zu überarbeiten. Danach schauen wir uns die natürlich wieder an.

Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen beim Besuch der Tagesspiegel-Redaktion im Oktober 2017.
Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen beim Besuch der Tagesspiegel-Redaktion im Oktober 2017.

© Thilo Rückeis

Hat Sie das Einlenken überrascht?
Durchaus. Facebook hat ja bisher anders reagiert und es auf Klagen ankommen lassen.

Die US-Internetkonzerne werden von vielen Stellen in die Zange genommen: von der EU-Kommission, dem Bundeskartellamt und Ihnen. Vielleicht zeigt die Einkesselung jetzt Wirkung.
Es ist wie bei Gullivers Reisen. Da haben ja auch viele Akteure gemeinsam versucht, den Riesen zu bändigen. Beim Vorgehen gegen Google, Facebook und Co. ist das so ähnlich. Die US-Konzerne sollen sich an dieselben Regeln halten müssen wie europäische Unternehmen auch. Langsam merken die Konzerne, dass wir das ernst meinen.

Im nächsten Jahr tritt die europäische Datenschutzgrundverordnung in Kraft. Was ändert sich dadurch?
Wer in Europa Geschäfte machen will, muss sich an europäisches Recht halten. Wer das nicht tut, muss mit Sanktionen rechnen. Ein großer Fortschritt.

Soll der Verbraucherschutz im Bundesjustizministerium bleiben?
Wenn ich mir ansehe, was auf dem Aufgabenzettel der nächsten Regierung steht, dann sind die Einführung der Musterfeststellungsklage und die digitalen Verbraucherrechte von größter Wichtigkeit. Die Kombination aus Justiz und Verbraucherschutz verspricht die größte Schlagkraft.

Zur Person: Klaus Müller (46) hat 2014 Gerd Billen nach dessen Wechsel auf den Staatssekretärsposten im Bundesjustizministerium als Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) abgelöst. Der VZBV ist das politische Sprachrohr der Verbraucherszene, Klaus Müller oberster Verbraucherschützer. Vor seinem Wechsel zum Verbraucherschutz hatte der Volkswirt bei den Grünen und in der Landespolitik Karriere gemacht. Müller saß für die Grünen im Bundestag und war finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. 2000 wechselte er als Umwelt- und Landwirtschaftsminister nach Kiel. Nach dem Ende von Heide Simonis ging Müller als Chef zur Verbraucherzentrale NRW, danach zum VZBV.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false