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„Ein neuer Hochofen wird in Europa wohl nicht mehr gebaut“, meint Stahlmanager Eder.

© Kai-Uwe Heinrich

Chef des Weltstahlverbands Wolfgang Eder im Interview: „Wir können uns das Stahlgeschäft nicht mehr leisten“

Wolfgang Eder leitet den Weltstahlverband und den österreichischen Stahlhersteller Voestalpine. Er warnt im Tagesspiegel-Interview: Europa verliert große Teile der Produktion.

Herr Eder, das „Wirtschaftsblatt“ hat Sie in Österreich als „Manager des Jahres“ ausgezeichnet, Glückwunsch!

Na ja, das macht keinen besseren Menschen aus einem. Ich sehe das auch eher als Auszeichnung für das Unternehmen und die Mannschaft. In einem Unternehmen können Sie allein gar nichts bewegen. Sie brauchen die richtigen Leute und eine Vertrauenskultur. Der Umgang miteinander muss stimmen.

Haben Sie eine ähnliche Mitbestimmungskultur wie wir in Deutschland?

Nein, das hat nichts mit gesetzlicher Mitbestimmung zu tun. Das ist eine Kultur, die aus dem Unternehmen heraus entstanden ist.

Als Voestalpine ein Staatskonzern war?

Ganz bestimmt nicht. Ich bin 1978 in das Unternehmen gekommen, damals war Voestalpine das Flaggschiff der österreichischen Staatsindustrie. Ende 1985 waren wir de facto pleite, denn der Staat wollte und konnte uns nicht mehr finanzieren. Niemand hat geglaubt, dass das passieren kann, denn ein Staatskonzern geht ja nicht pleite.

Warum dann doch?

Es gab zu dieser Zeit im Unternehmen eine ganz eigenartige Hybris – so nach dem Motto „was soll uns schon passieren“ – durch den vermeintlichen Schutz der Politik, die sich auch permanent eingemischt hat. Der damalige Generaldirektor fuhr einmal im Quartal zum Bundeskanzler, im Wesentlichen, um dort Weisungen entgegenzunehmen, deren wichtigste war, kein Mitarbeiter wird abgebaut. Man musste damals, um die Verluste in einer Reihe von Sparten auszugleichen, in profitable, aber hochriskante Geschäftsfelder wie Wehrtechnik und Ölhandel investieren. Das ging nicht gut, die Verluste sind explodiert.

Und dann?

Fast zehn Jahre ging es durch ein Tal der Tränen, wir haben in Summe etwa 30 000 Arbeitsplätze verloren. Allein in Linz sind wir binnen weniger Jahre von 30 000 auf 15 000 Arbeitsplätze gesunken. Das Ganze hat natürlich zu einem Läuterungsprozess geführt. Die Politik wollte mit einem Bankrotteur ohnehin nichts mehr zu tun haben und 1993 kam glücklicherweise der Privatisierungsbeschluss und 1995 der erste Privatisierungsschritt, dem 2005 der endgültige Ausstieg des Staates folgte. Bis 2008 ging es praktisch permanent aufwärts.

Bis zur Finanzkrise.

Das war die große Bewährungsprobe, und für mich stellte sich die Frage: Ist die Hybris der Verstaatlichtenzeit endgültig weg und das Bewusstsein da, dass wir die Ärmel hochkrempeln und mit letztem Einsatz kämpfen müssen? Ich war dann extrem überrascht. Von der ersten Stunde an haben alle mit größtem Einsatz gekämpft. Unsere Mitarbeiter sind mit 15 Prozent am Unternehmen beteiligt, haben damit verstanden, dass es um ihr Unternehmen geht, das hat uns auch geholfen. Und wir haben jeden Monat die Belegschaft ungeschminkt über unsere Lage und den Geschäftsverlauf informiert. Wenn man Probleme hat, muss man alles auf den Tisch legen.

Und jetzt geht es gut, Voestalpine ist hoch profitabel.

Wir haben noch nie so viel für Forschung und Entwicklung und für Investitionen ausgegeben wie heute. Dabei kommen wir immer mehr weg von der reinen Stahlerzeugung, wir verändern uns zum Technologiekonzern. Von der guten Milliarde, die wir im Jahr investieren, fließt immer mehr – künftig rund zwei Drittel – in den Nicht-Stahl-Bereich.

Was wird aus dem Stahl?

Wir betreiben fünf Hochöfen in Österreich, und in einigen Jahren müssen wir entscheiden, was damit passiert. Ein neuer Hochofen wird in Europa wohl nicht mehr gebaut werden, die sich schon sehr konkret abzeichnenden Rahmenbedingungen lassen das einfach nicht zu.

Der Rohstahl kommt dann künftig aus China und wird in Europa veredelt?

Ich schätze, etwa 60 Prozent der Stahlerzeugung in Europa werden wir aus Kostengründen langfristig verlieren. Hier wird es nur noch industrielles Hightech geben können. Aber da ist Europa durchaus eine Macht. Maschinen- und Fahrzeugbau, Schienenverkehr und selbst die Luftfahrt – da kann Europa auch langfristig den Takt vorgeben.

Was der Strukturwandel für Voestalpine bedeutet

Fünf Hochöfen in Österreich. Wolfgang Eder, Vorstandschef von Voestalpine.
Fünf Hochöfen in Österreich. Wolfgang Eder, Vorstandschef von Voestalpine.

© Kai-Uwe Heinrich

Trotz der angeblich so schlechten Bedingungen für die Industrie?

Wir sind ja in einer Branche unterwegs, die sehr langfristig orientiert ist. Einige unserer Hochöfen sind Anfang der 1940 Jahre in Betrieb gegangen. Im Laufe der Jahrzehnte sind die immer wieder massiv ertüchtigt worden, doch in spätestens acht bis zehn Jahren ist endgültig Schluss. Und Walzwerke laufen schon einmal 50 Jahre, wenn man entsprechend dahinter ist. Wenn ich über Rahmenbedingungen rede, dann geht es also nicht um die nächsten fünf, sondern um die nächsten 50 Jahre, und die scheinen in Europa nicht so sonderlich industriefreundlich zu werden.

Meinen Sie vor allem die Umweltauflagen?

Ja, und die Energiekosten. Die Verringerung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2030 und um 85 Prozent bis 2050 – das ist mit der heutigen Technologie im Stahl nicht zu erreichen. Dann darf ich da aber, schon aus rechtlichen Gründen, als Vorstand auch nicht investieren, da es wirtschaftlich eindeutig attraktivere Optionen anderswo gibt. Faktum ist jedenfalls, dass in Europa im Frühjahr 2015 entschieden wurde, die CO2-Limits wie erwähnt abzusenken.

Was bedeutet das für Voestalpine.?

Wir werden von 2020 bis 2030 für ungefähr 55 Prozent unserer CO2-Emissionen Zertifikate kaufen müssen. Der Zielpreis liegt bei 30 Euro je Tonne. Das heißt für uns, dass wir jedes Jahr mindestens 200 Millionen Euro dafür ausgeben müssen. Das ist wiederum mehr, als wir operativ im Stahlgeschäft verdienen, das wir uns damit dann schlicht nicht mehr leisten könnten.

In den letzten Jahren hat Voestalpine die CO2-Emissionen erheblich reduziert, das kann sich doch fortsetzen.

Die Potenziale werden aber immer geringer. Wir können vielleicht anstelle von Koks noch mehr Kunststoffpellets einsetzen. Auch mithilfe des neuen Werks in Texas beziehungsweise des dort produzierten Eisenschwamms, bei dessen Verarbeitung weniger CO2 entsteht, können wir die Emissionen in unseren österreichischen Stammwerken noch um ein paar Prozent reduzieren. Dann ist Schluss, bis in zehn, 15 Jahren vielleicht neue Technologien verfügbar sind.

Sie sprechen von Rahmenbedingungen in Europa, aber die anderen kommen hinterher: Amerikaner und Chinesen erkennen inzwischen auch das Klimaproblem und denken über einen Zertifikatehandel nach.

Das stimmt. Wenn wir vor anderthalb Jahren im Weltstahlverband über den Klimawandel gesprochen haben, dann sind die chinesischen Kollegen oft sehr direkt geworden: „Lasst uns bitte über etwas anderes reden, Klimawandel ist ein europäisches Problem.“ Inzwischen ist es umgekehrt. Sie versuchen jetzt ganz schnell zu lernen, was wir in Europa machen und wie das funktioniert.

Das ist doch wunderbar.

Sie müssen allerdings bedenken, dass wir in Europa unsere CO2-Ziele vom Ausgangsniveau 1990 an gesetzt haben. Die Chinesen nehmen als Basis 2015, sie fangen jetzt erst an, da sind Erfolge noch leicht einzufahren.

Im Rahmen der deutschen Energiewende wird die energieintensive Industrie, auch der Stahl, von den ganz großen Belastungen verschont. Warum soll es das in den kommenden Jahren nicht für die europäische Industrie in Gänze geben?

Weil nichts darauf hindeutet. Auch das europäische Parlament hat inzwischen die Beschlüsse zur Reduktion der CO2-Emissionen gefasst. Mit den entsprechenden Konsequenzen für die Stahlindustrie – und nicht nur für sie.

Wie sehen die denn aus?

Direkt arbeiten rund 350 000 Menschen in der europäischen Stahlindustrie, indirekt könnten es bis zu 20 Millionen sein, inklusive Maschinen- und Fahrzeugbau. Wenn künftig rund zwei Drittel des heute noch in Europa produzierten Stahls in anderen Weltgegenden hergestellt werden, dann wird das für das Klima garantiert keine Entlastung bringen. Leider sind manchen politischen Entscheidungsträgern diese Gedankengänge zu komplex.

Ist der Stahl den Politikern egal?

Sicher nicht allen, aber bei vielen könnte man den Eindruck bekommen. Vielleicht auch wegen des Images, Stahl gilt nicht als zeitgeistig. Dabei ist Stahl der Werkstoff, ohne den die Welt zusammenbricht. Ohne Stahl keine Energiewende, keine Mobilität, kein Wohlstand. In den letzten 30 Jahren haben wir das Gewicht des Stahls in der Autokarosserie halbiert. Stahl ist ein hochinnovativer Werkstoff, der noch immer großes Potenzial hat. Es gibt keinen anderen Werkstoff, der so oft und mit so wenig Energieeinsatz recycelbar ist. Der Stahl hat Zukunft, gar keine Frage. Nach aktuellem Stand aber nicht unbedingt in Europa – andere werden sich darüber freuen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

ZUR PERSON

Wolfgang Eder, Jahrgang 1952, studierte Jura und begann danach bei der damaligen Voest. 1995 war er maßgeblich am Börsengang der Voestalpine Stahl AG beteiligt. Seit knapp 20 Jahren ist Eder Vorstandsmitglied, seit 2004 Chef. Vergangene Woche wurde er für ein weiteres Jahr als Präsident des Weltstahlverbandes gewählt. Voestalpine bezeichnet sich selbst als „stahlbasierten Technologie- und Industriegüterkonzern“. Der Konzern mit Sitz in Linz beschäftigt gut 48 000 Mitarbeiter, davon 23 000 in Österreich. Der Umsatz betrug zuletzt über elf Milliarden Euro, das operative Ergebnis 1,5 Milliarden.

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