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Wirtschaft: Chinas neue Reiche entdecken die Kunst

Die nationalen Schätze sind früher ins Ausland verschachert worden – jetzt kaufen Geschäftsleute sie zurück

Im schlecht sitzenden blauen Anzug und mit diamantbesetzter Armbanduhr besuchte Xu Qiming im Oktober die Kunstauktion in Hongkong. Während die erfahrenen Besucher ihre Gebote durch ein dezentes Kopfnicken zu erkennen gaben, wedelt der Aalzüchter aus der chinesischen Hafenstadt Ningbo aufgeregt mit seiner Bieterkarte. Mehr als eine Million Dollar (rund 884 Millionen Euro) bot Xu für eine kaiserliche Porzellantasse aus der Ming-Dynastie, doch am Ende ging er leer aus. Erst am nächsten Tag kam er zum Zug und ersteigerte eine 300 Jahre alte Vase von einem japanischen Sammler. Bei 193 000 Dollar ging der Hammer erst beim doppelten des geschätzten Versteigerungswerts nieder.

In den Jahrzehnten politischer Umwälzungen sind Chinas wertvollste Kunstschätze in private Sammlungen und Museen im Ausland gewandert – oft auch auf illegalen Pfaden. Doch die chinesischen Geschäftsleute, denen durch den wirtschaftlichen Aufschwung Massen an Bargeld in die Taschen fließen, gehen sie jetzt auf Einkaufstour. Dabei zahlen sie enorme Summen, um die nationalen Schätze wieder in die Heimat zu bringen, wo sie als machtvolle Symbole für Chinas Wirtschaftskraft gesehen werden.

Wer immer in der Welt zu plötzlichem Wohlstand kam, gab sein Geld gewöhnlich nicht nur für einheimische Kunstgüter aus. Als sich japanische Sammler in den 80er Jahren in den internationalen Kunstmarkt stürzten, hatten sie es von allem auf Van-Gogh-Werke und andere westliche Ikonen abgesehen, um ihren Ruf als anspruchsvolle Kunstfreunde zu pflegen. In China interessieren sich dagegen mehr Sammler für Objekte aus der eigenen Vergangenheit. Der Erwerb verlorener Schätze kommt dabei einer Wiederherstellung des nationalen Selbstbewusstseins gleich. „Als Industrieller ist es meine Bürgerpflicht, im Ausland chinesische Kunst zu kaufen und diese zu sammeln“, sagt der Aalzüchter Xu.

Schnitzerei für eine Million Dollar

In den letzten Jahren haben auch die chinesischen Behörden ihre Bemühungen zur Wiedererlangung gestohlener Objekte verstärkt. Doch der Kunsthandel erreicht dieses Ziel wesentlich effektiver.

Das Plündern chinesischer Kunstschätze begann während der Opiumkriege in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als französische und britische Truppen Teile des Landes besetzten. Auch während der kommunistischen Revolution in den 40er Jahren brachten Flüchtlinge wertvolle Objekte außer Landes. Danach hat vor allem die Staatsführung Kunst im Ausland verkauft, um an Devisen zu gelangen. Seit den späten 70er Jahren haben auch Grabräuber und andere Diebe Kunstgüter ins Ausland geschafft.

Galt China bei den großen Auktionshäusern bis vor kurzem nur als Quelle von Sammlerstücken, ist das Land inzwischen auch zu einem bedeutenden Herkunftsort von Sammlern geworden. Bei dem Auktionshaus Christie’s ist der Anteil chinesischer Käufer bei China-Kunst auf 13 Prozent in New York und auf 18 Prozent in London gestiegen. Chinas Auftritt auf dem Kunstmarkt „übertrifft alles, was wir bisher gesehen haben“, bestätigt Henry Howard-Sneyd, Chef der Asienabteilung beim Konkurrenten Sotheby’s. Immer häufiger besuchen die neuen Kunstkenner aus China auch private Händler in London und New York, sagt Giuseppe Eskenazi, der einen Kunsthandel in London betreibt. „Es ist das gleiche Muster wie im Fall von Japan, als das Land vor 35 Jahren zur wirtschaftlichen Supermacht aufstieg.“

Dutzende neuer Auktionshäuser sind in China entstanden, um sich ihren Teil des Kuchens zu sichern. China Guardien, mit der Tochter des früheren Premierministers Zhao Ziyang an der Firmenspitze, ist eines der bekanntesten. Die Versteigerungserlöse des Hauses summierten sich im letzten Jahr auf nahezu 23 Millionen Dollar, eingefahren hauptsächlich durch Verkäufe an chinesische Sammler. Unter den Stücken war auch eine kaiserliche Schriftrolle aus dem zehnten Jahrhundert. Die Rarität ging für drei Millionen Dollar an einen chinesischen Händler.

Auf einer der Versteigerungen herrschte so viel Interesse, dass den Organisatoren die Bieterkarten ausgingen. Man behalf sich mit Provisorien aus Hotel-Schreibblöcken. Überall auf der Welt katapultieren die chinesischen Händler die Preise für China-Kunst in die Höhe. Bei einem Verkauf von Möbeln, Gemälden und anderen Objekten des chinesischen Schriftstellers Wang Shixjang im November in Peking brachte allein eine Bambusschnitzerei eine Million Dollar. Vor fünf Jahren hätte das Stück nicht einmal ein Fünftel dieses Preises erlöst, schätzt Conor Mahoney, Präsident der New Yorker Galerie Chinese Porcelain Co.

„Es war der reine Tumult“, erinnert sich Sam Bernstein, ein Jade-Händler aus San Francisco. Es ist vor allem die neue Kaste der chinesischen Unternehmenschefs, die den Markt derzeit treibt. Auf der Suche nach firmeneigenen Statussymbolen, die gleichzeitig an das Nationalgefühl appellieren, kaufen sie vor allem hochwertige Objekte kaiserlicher Auftragskunst, besonders Keramik und Jadestücke aus dem 18. Jahrhundert. Begehrt sind auch klassische Gemälde und Kalligraphien sowie moderne Arbeiten einiger Künstler, wie Qi Baishi (1863 bis 1957) und Fu Baoshi (1904 bis 1965).

Auch die Sammlung des Aalhändlers Xu Qiming wächst schnell. Angefangen hatte der Sohn eines Bauern mit einem kleinen Fischstand. Später wurde er Mitbegründer der China Yulong Food Group. Das Unternehmen züchtet und verarbeitet Flussaale für den chinesischen und japanischen Markt. Vor kurzem kaufte der Xu für 700 000 Dollar auf US-Auktionen ein. Jetzt verhandelt er mit den örtlichen Behörden über den Bau eines traditionellen Hauses im Stil der Ming-Dynastie, in dem er seine Kunststücke der Öffentlichkeit präsentieren will.

Antiquitätenhandel war kriminell

Noch bis vor kurzem, war der Handel mit Antiquitäten in China offiziell verboten. Privates Sammeln von Kunst galt als Symbol bourgeoisen, kapitalistischen Verhaltens. Es war vor allem der Kunsthändler und Berater Ma Weidu, der sich zusammen mit anderen Aktivisten für eine Entkriminalisierung von Antiquitätenhandel und privatem Kunstbesitz einsetzte. Erst 1998 wurde ihm gestattet, eines der ersten privaten Kunstmuseen des Landes in Peking zu eröffnen. Letztlich wurden Chinas Offizielle überzeugt, dass die Aufhebung des Handelsverbots der sicherste Weg zur Rückführung von Kunstgegenständen aus dem Ausland ist.

Karen Mazurkewich

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