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Wirtschaft: „Clement hat keine Mehrheit“

Der DGB–Vorsitzende Michael Sommer über Kündigungsschutz, das Bündnis für Arbeit und Sozialreformen

Herr Sommer, Sie haben gestern einem neuen Treffen mit Kanzler und Arbeitgebern zugestimmt. Ist das die Kapitulation der Gewerkschaften vor der großen Koalition?

Kein bisschen. Wir haben in der vergangenen Woche ja nicht den Dialog abgebrochen. Ich habe auf einen Vorschlag von Arbeitgeberpräsident Hundt reagiert, der zu keiner Zeit eine Geschäftsgrundlage für ein neues Bündnis für Arbeit war.

Herr Hundt hat doch angeboten, ausreichend Ausbildungsplätze für alle bereitzustellen. Das ist doch genau das, was Sie wollten.

Die Arbeitgeber haben im Bündnis schon zwei Mal zugesagt, genügend Ausbildungsplätze bereitzustellen. Und sie haben das Versprechen zwei Mal gebrochen. Ich bin für Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – aber nach dem Modell Dosenpfand: Wenn die Verpflichtung nicht eingehalten wird, ist der Gesetzgeber gefordert. Damit die Arbeitgeber auf den Pfad der Tugend kommen, kann ich dem Bundeskanzler nur empfehlen, eine Ausbildungsabgabe vorzubereiten.

Und warum haben Sie dann die Teilnahme am Bündnis gekündigt?

Weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Vorschläge von Herrn Hundt mehr verloren als gewonnen hätten. Das Bündnis in seiner jetzigen Form ist tot. Der Einladung des Bundeskanzlers zu neuen Gesprächen werden wir aber selbstverständlich folgen.

Was ist der Unterschied?

Ein Gespräch ist noch kein Bündnis. Bei einem Bündnis gestaltet man auf der Basis von Gemeinsamkeiten und verpflichtet sich zum Handeln.

Worüber wollen Sie sprechen?

Über die Ausbildungsplatznot, eine Politik zur Belebung der Konjunktur und die Senkung der Sozialabgaben.

Da sind wir sehr gespannt, ob Sie zu gemeinsamen Lösungen kommen.

Ic h kann Ihren Zynismus nicht teilen. Die Frage, wie man die Sozialabgaben senken kann, ohne die paritätische Finanzierung der Sozialsysteme aufzugeben und ohne pauschal Leistungen zu kürzen, ist für uns ganz zentral.

Jede mögliche Lösung wird von Ihnen blockiert.

Man kann von uns nicht verlangen, dass wir soziale Kapitulationsurkunden unterzeichnen.

Verlangt Wirtschafts und Arbeitsminister Clement die Kapitulation von Ihnen, wenn er zum Beispiel das Arbeitsrecht deregulieren und den Kündigungsschutz lockern will?

Für solche Ideen braucht Clement eine Mehrheit im Bundestag. Die sehe ich nicht – jedenfalls nicht in dieser Koalition. Grundsätzlich werde ich mich nicht daran beteiligen, die Lage der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Land zu verschlechtern.

Der Kündigungsschutz behindert die Einstellung vor allem älterer Arbeitsloser.

Das stimmt nicht. Jährlich werden mehr als drei Millionen Beschäftigungsverhältnisse neu abgeschlossen. Wenn ein kleiner Handwerksbetrieb einen sechsten Mitarbeiter einstellen will, dann kann er einen arbeitslosen Leiharbeiter einstellen, oder er kann befristet einstellen. Der Kündigungsschutz schützt den Arbeitnehmer vor willkürlicher Kündigung. Das lasse ich nicht antasten. Im Übrigen gibt es zehntausende Betriebe zwischen sechs und zehn Beschäftigten, die keine Probleme mit dem aktuellen Kündigungsschutz haben.

Wo sind die Gemeinsamkeiten mit Clement?

Rot-Grün wird keine Politik der sozialen Ungerechtigkeit machen. Damit kann man keine Wähler gewinnen. Das haben doch die Ergebnisse in Hessen und Niedersachsen gezeigt und das weiß auch Wolfgang Clement. Bei der Geldpolitik – Stichwort überfällige Zinssenkungen der EZB – und der von ihm befürworteten Kehrtwende in der Finanzpolitik sind wir sehr nahe bei ihm. Wenn indes wahr sein sollte, dass die Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe gesenkt werden soll, dann ist der Vorrat an Gemeinsamkeiten schnell aufgebraucht.

Was dem Minister egal ist, weil er sich mit der Union und nicht mit Ihnen einigen muss.

Sie unterschätzen die Differenzen zwischen Union und SPD. Was die so genannten betrieblichen Bündnisse für Arbeit anbelangt, geht es der CDU nicht um mehr Flexibilität, sondern darum, die Tarifmacht der Gewerkschaften zu brechen.

Wenn es dem Arbeitsmarkt hilft...

Solche Bündnisse sind nichts wert, weil sie kein bisschen Sicherheit für die Arbeitsplätze bringen. Sie sind der Versuch, die Löhne auf breiter Front zu drücken und die Tarifautonomie auszuhebeln. Die Tarifverträge sollen zu einer leeren Hülse werden. Vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten können Betriebsräte erpresst werden.

Viele Betriebsräte pfeifen auf die Gewerkschaften und lassen sich auf die Bündnisse ein.

Das sind zwei paar Schuhe: Wenn ein Betrieb in einer Notlage ist, wird keine Gewerkschaft die Zustimmung zu einer betrieblichen Absprache zur Kostensenkung und Beschäftigungssicherung verweigern. Anders sieht es aus, wenn es um die Existenz der Tarifautonomie geht. Die tariflichen Normen werden im Flächentarif geregelt – und eben nicht von den Geschäftsführungen mit erpressbaren Betriebsräten.

Ist der Flächentarif wichtiger als ein Arbeitsplatz?

Lohnsenkungen auf breiter Front führen nicht zu mehr Arbeitsplätzen, sondern vernichten im Endeffekt Jobs. Ich wehre mich dagegen, dass ein Arbeitgeber sagt, meine Auftragslage ist im Moment schlecht oder mein letzter Geschäftsführer hat Fehler gemacht, deswegen kürze ich euch jetzt die Löhne. Das ist nämlich kein Bündnis, sondern ein Diktat. Und das genau wollen die Herren Merz, Hundt und Westerwelle.

Die Wähler aber trauen offenbar der Wirtschaftspolitik der Regierung nicht.

Die Frage ist, wie wir zu einer Senkung der Sozialabgaben kommen. Wer Beiträge zahlt, soll auch etwas dafür bekommen. Deshalb sind wir dagegen, die Leistungen zu kürzen, wie es zum Beispiel in der Gesundheitspolitik erwogen wird. Allein 30 Milliarden Euro aus der deutschen Einheit belasten nach wie vor die Sozialsysteme. Das ist ungerecht für die Beitragszahler, für Arbeitnehmer genauso wie für personalintensive Betriebe.

Und wo sollen die 30 Milliarden herkommen?

In der jetzigen Situation können wir keine Steuererhöhung gebrauchen. Eine Korrektur bei der Körperschaftsteuer ist allerdings erforderlich – da bin ich mit Edmund Stoiber einer Meinung.

Und das bringt uns mehr Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze?

2002 ist die Binnennachfrage um 1,6 Prozent gesunken. Da müssen wir gegensteuern. Auch durch öffentliche Investitionen, finanziert über höhere Schulden.

Also weg vom Konsolidierungskurs?

Die Haushaltskonsolidierung ist richtig. Aber im Moment verschärft der Sparkurs die konjunkturelle Schieflage. Sobald die Wirtschaft wieder anspringt, muss die Konsolidierung fortgesetzt werden.

Wie stellen Sie sich die Gestaltung der Sozialreformen vor?

In dem wir uns fragen, welche Fehlsteuerungen es zum Beispiel im Gesundheitssystem gibt. Wo gehen die Gelder hin und wer bedient sich wie.

Das betrifft dann auch die Patienten?

Ich sehe nicht, wo sich die Patienten im System bedienen. Aber wenn es der Fall sein sollte, dann betrifft es natürlich auch die Versicherten. Ich bin sehr dafür, dass wir mehr Wettbewerb ins System bringen, um es effizienter zu machen.

Das Gespräch führten Cordula Eubel, Alfons Frese und Ursula Weidenfeld.

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