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Der Gründer von Klang Games: Mundi Vondi.

© Michele Galassi

Computerspiele: Die Weltenbauer aus Kreuzberg

In der Oranienstraße entsteht eines der größten Online-Computerspiele der Welt. Sogar ein Harvard-Professor will das virtuelle Leben in „Seed“ erforschen.

Berlin - Auf einer Waldlichtung sitzen drei Figuren am Lagerfeuer, daneben steht ein Zelt. Kurz darauf ist an dem Platz eine kleine Siedlung entstanden; nach einem weiteren Zeitsprung eine florierende Stadt mit Hochhäusern, breiten Straßen und futuristischen Energiespeichern. Nun zoomt die Kamera heraus und zeigt ein Ballungsgebiet, das weite Teile einer Insel bedeckt. Ein weiterer Zoom: Überall auf dem Planeten sind Großstädte, die miteinander kommunizieren und Handel treiben.

Das Computerspiel „Seed“ ist ein ehrgeiziges Projekt. Abertausende Spieler sollen einen Planeten besiedeln und eine lebendige, dynamische Gesellschaft simulieren – mit Wirtschaftskreisläufen, politischen Institutionen und individuellen Bedürfnissen. Sämtliche Spieler sollen miteinander leben, handeln und kämpfen können – deutlich mehr, als das in Online-Spielen wie „World of Warcraft“ oder „Star Trek Online“ bislang möglich gewesen ist. Entwickelt wird „Seed“ von der Firma Klang Games aus Kreuzberg. Im Studio in der Oranienstraße arbeiten rund 30 Fachkräfte aus verschiedenen Ländern an dem Spiel. Die Gründer von Klang Games stammen nicht aus Berlin, sondern aus Island: Sie sind in die deutsche Hauptstadt gezogen, weil die Bedingungen hier günstig sind.

Geschäftsführer Mundi Vondi, 31 Jahre alt, gründete Klang Games 2013 in Reykjavik mit einigen Freunden. „Es gab damals schon einige große Studios in Island“, erzählt Vondi. Diese Firmen – etwa das Großstudio CCP Games („Eve Online“) – zogen die meisten Arbeitskräfte an, für kleinere Studios blieben kaum welche übrig. „Außerdem war es schwierig, Leute davon zu überzeugen, nach Island zu ziehen“, sagt Vondi. „Die Wirtschaft war nach der Krise ziemlich unbeständig. Geld durfte nur eingeführt werden, deshalb war es schwierig, an ausländische Investitionen zu kommen.“ Also schauten sich die Klang-Gründer nach einem neuen Standort um.

Beim internationalen Städtevergleich entschieden sie sich für Berlin. „Das war eine naheliegende Wahl“, sagt Vondi. Wichtige Argumente waren die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten, die lebendige Start-up-Community und das wachsende Interesse ausländischer Investoren an der Stadt. „Außerdem hat Berlin eine großartige zeitgenössische Kunst- und Musikszene, was sie sehr attraktiv macht“, sagt er. Zudem ist Berlin von Island nur rund dreieinhalb Flugstunden entfernt. Die Klang-Story ist eine Erfolgsgeschichte: Bis jetzt hat die Firma knapp 14 Millionen US-Dollar an Investorengeldern eingesammelt. Zu den Anlegern zählen Firmen wie Northzone, Firstminute Capital und London Venture Partners.

Die gesamte Berliner Games-Branche hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt – auch dank des Zustroms ausländischer Gründer. „Klang Games ist ein Paradebeispiel für internationale Firmen, die nach Berlin kommen und dadurch mehr Aufmerksamkeit auf die Stadt ziehen“, sagt André Bernhardt. Als „Indie Advisor“ hilft er unabhängigen Spielestudios bei der Suche nach einem Publisher für ihr Spiel; mit seiner Firma Target Games veröffentlicht Bernhardt inzwischen auch selbst Independent-Spiele. „Wir haben hier in Berlin eine bunte, internationale Mischung“, sagt der 40-Jährige, der die deutsche Games-Branche gut kennt. „Zum einen gibt es hier Entwickler, die aus etablierten Firmen aussteigen und eigene Start-ups gründen. Zum anderen kommen Entwickler aus dem Ausland, weil sie die Stadt spannend finden.“

Ein ehrgeiziges Projekt. Abertausende Spieler sollen bei dem Spiel „Seed“ einen Planeten besiedeln und eine lebendige, dynamische Gesellschaft simulieren – mit Wirtschaftskreisläufen, politischen Institutionen und individuellen Bedürfnissen.
Ein ehrgeiziges Projekt. Abertausende Spieler sollen bei dem Spiel „Seed“ einen Planeten besiedeln und eine lebendige, dynamische Gesellschaft simulieren – mit Wirtschaftskreisläufen, politischen Institutionen und individuellen Bedürfnissen.

© Artwork: Klang Games

Das Grundproblem der deutschen Games-Branche sei gewesen, „dass sie lange im eigenen Saft gekocht hat und kaum Input von außen dazukam“, sagt Bernhardt. Mit Firmen wie Klang Games ändere sich das nun. Gleichzeitig würden auch immer mehr internationale Publisher auf Berliner Game-Studios aufmerksam. Als Beispiel nennt Bernhardt das Charlottenburger Studio Jo-Mei Games, dessen Game „Sea of Solitude“ vom Branchenriesen Electronic Arts veröffentlicht wird. Oder auch das Friedrichshainer Start-up Megagon Industries, das sein Rennspiel „Lonely Mountains: Downhill“ beim schwedischen Publisher Thunderful Games untergebracht hat. Maßgeblichen Anteil am Erfolg der Berliner Indie-Szene habe das Medienboard Berlin-Brandenburg mit seiner Games-Förderung, sagt Bernhardt. Es gewährt zinslose Darlehen, die vielen Start-ups in der Frühphase helfen. Auch auf der Spielemesse EGX Berlin, die nächste Woche am Gleisdreieck stattfindet, werden etliche Berliner Nachwuchsstudios ihre Arbeiten präsentieren.

Games wie „Seed“ könnten in der Computerspielbranche für eine Revolution sorgen. Erstens können Tausende Teilnehmer direkt interagieren anstatt nur in kleinen Gruppen auf verschiedenen Online-Servern. Zweitens sind Spielwelten wie die von „Seed“ persistent: Jede Handlung – ob Kampf, Entdeckung oder Hausbau – hat Auswirkungen und kann zu weitläufigen Kettenreaktionen führen. Man kennt das auch als „Butterfly-Effekt“. Das macht diese neuen Projekte spannender als herkömmliche Online-Games, in denen alle Spieler mehr oder weniger die gleichen Abenteuer erleben. Wie in einem Freizeitpark. Möglich wird „Seed“ durch die Cloud-Technologie der Londoner Firma Improbable: Ihr Betriebssystem SpatialOS weist Rechenpower immer dort zu, wo sie in der riesigen Spielwelt benötigt wird. Improbable erlebt einen rasanten Aufschwung: 2017 investierte der japanische Multi Softbank 500 Millionen US-Dollar in das Unternehmen.

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Zudem ist „Seed“ ein soziales Experiment. Jeder Spieler kümmert sich um die Bedürfnisse von bis zu zehn Figuren, die durch Künstliche Intelligenz gesteuert werden – ähnlich wie bei dem Klassiker „Die Sims“. Welches Gesellschaftssystem und welche Organisationsformen dabei entstehen, ist ganz den Spielern überlassen – und deshalb noch nicht abzusehen. Um die Voraussetzungen zu schaffen, arbeitet Klang Games mit dem Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Lessig zusammen. „Gemeinsam entwerfen wir ein Werkzeug, mit dem Spieler Regierungsstrukturen für ihre Siedlungen erschaffen“, sagt Vondi. „Die Spieler werden also ihre eigenen Gesetze machen können.“ Die Entstehung einer virtuellen Gesellschaft dürfte nicht nur für Lawrence Lessig ein lohnendes Studienobjekt sein, sondern für Forscher aus aller Welt.

Als Klang Games nach Deutschland kam, schaute sich das Studio auch nach lokalen Fördermöglichkeiten um, zum Beispiel dem Programm „Pro Fit“ der Investitionsbank Berlin. „Der Antrag war aber ein Albtraum“, sagt Vondi. „Wir hätten dafür einen Spezialisten anheuern müssen.“ Der Klang-CEO kritisiert die Berliner Förderlandschaft als zu bürokratisch. Finnland zum Beispiel mache es besser. Dort würden Investitionsgelder flexibel mit staatlichen Zuschüssen kombiniert. „Das bringt auf lange Sicht eine Menge Steuergelder“, sagt Vondi. Die Spielefirma Supercell sei inzwischen Finnlands größter Steuerzahler.

Vom 28. bis 30. September findet erstmals die Computerspielmesse EGX Berlin statt. Austragungsort ist die Station Berlin am Gleisdreieck: Die Organisatoren erwarten rund 20 000 Besucher.

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