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Wirtschaft: Constanze Hoffmann

(Geb. 1955)||Sie konnte schallend lachen. Aber nicht vor Glück.

Sie konnte schallend lachen. Aber nicht vor Glück. Wovon reden wir, wenn wir von Glück reden? Von einem intensiv empfundenen Augenblick, der es vermag, uns eine kurze Weile zu beseelen, der so eilig sich verflüchtigt, wie er gekommen ist? Oder meinen wir, wenn wir von Glück reden, ein Gefühl, das uns über lange Zeiträume tragen kann, von Dauer ist und eine Zufriedenheit im Leben beschreibt?

In ihrem Abschiedsbrief sprach Constanze Hoffmann von dieser Zufriedenheit. „Nie mehr als einen Hauch“ davon habe sie gespürt. Die Geschwister zweifeln: Zufriedenheit sei nicht das richtige Wort gewesen. Sie sagen: „Constanze war ein nicht glücklicher Mensch.“ Die dauerhafte Abwesenheit von Glück war die ihr vertrauteste Gemütsverfassung. Gewiss erahnte sie bisweilen, wie das Glück sich anfühlen könnte. Das kleine Glück, wenn man wie ein Kind in unbändiges lautes Lachen ausbricht, am ganzen Körper bebt und die Worte nur noch stoßweise hervorbringen kann. Manchmal lachte Constanze so schallend, dass man sie besänftigen musste: Sei doch still, reiß dich ein wenig zusammen. Man hätte in Anbetracht dieser Lachsalven denken können, sie sei ein durch und durch fröhlicher Mensch. Jetzt, im Nachhinein, kommt es ihren Geschwistern vor, als wollte Constanze ihr Unglück für Momente übertönen, lärmend unhörbar machen.

Dem selbst gesetzten Ende gingen Versuche voraus, doch keine konsequenten. Sie war noch jung. Psychologen sprechen in solchen Fällen von Hilferufen: Findet mich, holt mich zurück, lasst mich nicht allein! Der Schreck der Eltern und Geschwister verwandelte sich allmählich in eine fortwährende Furcht. Es konnten Tage verstreichen, ohne dass Constanze sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, bei ihren Eltern, ihren Geschwistern gemeldet hätte. Dieses Abtauchen erzeugte bei den anderen immer wieder ahnungsvolle Unruhe. Hin und her wurde telefoniert: Hast du etwas von ihr gehört? Hat sie sich bei dir gemeldet?

Warum war Constanze nicht glücklich? Wer wollte die einfache Frage einfach beantworten? Hatte sie tatsächlich die Wahl zwischen Leben und Tod, oder war der Tod der einzig denkbare Ausweg?

Die jüngeren Geschwister beschreiben sie als die Intelligenteste von den dreien. Der Bruder und die Schwester, waren zwar, wie gesagt wird, erfolgreicher, Constanze jedoch hatte den schärferen Verstand, das größere Potenzial. Es ist, als sei es dem Denken eingeschrieben: Ein hohes Maß an Reflexion und Selbstreflexion heißt immer auch: Scheitern. Wenn wir mit dem Denken beginnen, bemerken wir, dass die Dinge nie zu Ende gedacht werden können, dass wir nie zu einer letzten Einsicht gelangen werden. Die einen können das aushalten, andere nicht.

Stark, vital, belastbar, so erschien Constanze. Sie arbeitete in der Altenpflege, war Betriebsrätin, setzte sich durch. Doch hinter der Fassade, sagen die Geschwister, verbarg sich eine unbekannte, unkenntliche Welt. „Nie erfuhr sie die Wohltat, etwas von sich preisgeben zu dürfen.“

In den letzten Monaten befasste Constanze sich mit Origami, der japanischen Kunst des Papierfaltens. Ohne Zuhilfenahme von Schere oder Kleber entstehen aus einem Blatt Papier kunstvolle, komplizierte Figuren. Mit einfachen Handgriffen schafft man Komplexität, beherrscht Komplexität.

An einem eisigen, verschneiten Tag im Januar dieses Jahres steigt Constanze in den Linienbus. Er fährt durch den Tegeler Forst. Dort, wo der Wald am dichtesten ist, steigt sie aus und läuft los. Bei sich trägt sie eine Plastiktüte. In der Tüte befinden sich eine Flasche Schnaps, Tabletten, ein winziger blaugeflügelter Weihnachtsengel, eine Kerze.

Später übergibt die Polizei den Geschwistern die Tüte mit dem Engel und der Kerze. Sie stellen sich vor, dass Constanze den Engel an einem Zweig aufgehängt und die Kerze angezündet hat.

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