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Wirtschaft: Cornelia Theobald

(Geb. 1952)||Sie sah zu scharf. Sie empfand zu stark. Sie lebte in einem Schneckenhaus.

Sie sah zu scharf. Sie empfand zu stark. Sie lebte in einem Schneckenhaus. Wenn man die asiatische Ente aus Teakholz umdrehte, kam eine Höhlung für Salz zum Vorschein und ein Löffelchen. Cornelia Theobald hatte sie auf dem Trödelmarkt gefunden. Zu Hause schrieb sie mit der Schreibmaschine das Wort „Salzente“, schnitt es aus und klebte den Papierstreifen an ein Brett im Küchenschrank. So wusste der Ehemann, wo er die Ente nach dem Gebrauch in den Schrank zu setzen hatte.

Sie liebte die Ordnung sehr. So wie Sauberkeit, Sicherheit, Harmonie, Schönheit und Qualität. Viele Jahre wohnte sie mit ihrem Mann in der Altbauwohnung in Schöneberg, drei Zimmer, große Küche, Mädchenzimmer, 109 Quadratmeter, gediegen von ihr eingerichtet, mit einer riesigen Bibliothek und großen Schränken, in denen sie über 400 Aussteuer-Handtücher mit Originalappretur meterhoch und millimetergenau aufeinander stapelte. Sie benutzte sie nie, aber die Schranktüren zu öffnen und die Pracht alter Wertarbeit zu betrachten, das war Balsam für ihre Seele.

Als ihr Mann sie kennen lernte, hätte man sie für ein Hippie-Mädchen halten können: das Haar vorne kurz und hinten ganz lang, ein Minikleid mit rosa Blumen. Doch es war wohl nur ein kleiner Flirt mit dem Zeitgeist. Später zeigte sie auch mit der Kleidung ihren Hang zum Konservativen: zum kurzen, schlichten Haar Seidenblusen mit Schleifenkragen. Die guten, alten Zeiten.

Ihre Seele hatte in Kinderjahren Schmerz erlitten – erst spät in ihrem Leben erzählte sie davon. Der Vater hatte getrunken, war grausam und gewalttätig, sagte dem Mädchen ins Gesicht: Es wäre besser, du wärest nie geboren worden. Mit diesem Gefühl im Herzen zog sie früh ins Leben hinaus und sah die Eltern nie wieder. Trug das Trauma stumm mit sich herum, wurde Arzthelferin und baute sich eine Gegenwelt der Ästhetik und der feinfühligen Kultiviertheit auf: Bilder von Carl Larsson, Musik von Rachmaninow, Chopin und Bach.

Der vulgäre Mitmensch blieb für sie ein Risiko, dann, wenn Distanz- und Respektlosigkeit drohten. Die Wohnung war ihr „Schneckenhaus“. Eine Schutzzone für eine, die zu scharf sah, zu stark empfand und zu schlecht das Schlechte vergaß. Ihr Mann war für den „Außendienst“ zuständig, für Verhandlungen mit Behörden, Handwerkern und „problematische Kontakte aller Art“, sie sorgte im „Innendienst“ für die häusliche Versorgung: knüpfte, webte, stickte, kochte und führte eine bemerkenswerte Vorratshaltung, die auch die einjährige Totalklausur ohne Weiteres möglich gemacht hätte: vom Waschmittel und Konserven bis zu Gelegenheitsgeschenken, Grußkarten und Geschenkpapier.

Es waren glückliche Jahre damals, sagt ihr Mann, im Zeichen der Suche nach Harmonie und Sicherheit. Dann zogen neue Nachbarn ein, und unten im Haus eine „Frühlingsrollenbäckerei“. Die jungen Leute über ihnen feierten und rauchten, und unterm Dach wohnte jetzt eine „Barfrau“ mit ihrem Beschützer, der in Unterwäsche auf dem Balkon saß und mit dem Luftdruckgewehr auf Tauben schoss. Über solche Verhältnisse konnte Cornelia zwar wunderbare Scherze machen, eine gute Umgebung für ihr Schneckenhaus war es nicht mehr. Also zogen sie trauernd fort, nach Frohnau.

Am Wochenende fuhr sie am liebsten mit ihrem Mann in die vornehmen Außenbezirke. Dort trieben sie „Villenkritik“: „Schau, wie furchtbar, der Anbau dort“ – „Sehr gelungene Proportionen, da drüben“. Es waren die hellen Stunden in ihrem Leben, getragen von ihrem Sinn für „höhere Albernheit“. Es gab viele davon. Aber von den anderen, den dunklen und traurigen auch.

„Manchmal war sie mir fast unheimlich“, sagt ihr Mann. „Sie konnte nicht nur oft Gedanken lesen. Sie umgab sich mit Dingen, die spätere Ereignisse ihres Lebens vorwegnahmen.“ Eine Maske aus Keramik zum Beispiel: ein melancholisches weibliches Gesicht, das linke Auge und der Mundwinkel von Ranken und Blattwerk überwuchert. Jahre später schloss sich, dem Bildnis gleich, Cornelias linkes Auge, die linke Mundhälfte ihres immer noch so jungen Gesichtes wurde gelähmt. Es waren die ersten Auswirkungen des Gehirntumors.

Kirsten Wenzel

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