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Forscher fordern Abkehr von schwarzer Null: Michael Hüther, Gabriel Felbermayr, Sebastian Dullien, Peter Bofinger, Jens Südekum, Clemens Fuest (von links).

© Michael Kappeler/dpa

Corona-Krise: Was führende Ökonomen empfehlen: Weg von der schwarzen Null, Soli-Abschaffung vorziehen

Sieben renommierte Wirtschaftswissenschaftler dringen auf schnellere Maßnahmen - darunter auch Steuerstundungen für gebeutelte Unternehmen.

Führende Ökonomen raten der Bundesregierung, wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Spielräume der Schuldenbremse zu nutzen und von der Politik der „schwarzen Null“ abzurücken. Die sechs Wirtschaftswissenschaftler schlagen in einem Papier vor, die Ausnahmeregelung des Grundgesetzes in Anspruch zu nehmen. Demnach kann die Schuldenbremse, die grundsätzlich einen Etat ohne neue Schulden verlangt, „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“, ausgesetzt werden.

Die Bundesregierung verfüge wegen der stark gesunkenen Schuldenquote von derzeit etwa 60 Prozent des Bruttopinlandsprodukts „über große Potenziale zur Stabilisierung der Wirtschaft auf kurze und mittlere Sicht“, schreiben die Ökonomen. Zu der Gruppe gehören Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts, und der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger – was zeigt, dass die Gruppe nicht einem der üblichen Lager in der ökonomischen Debatte zuzuordnen ist, sondern quer durch die Disziplin reicht. Mitverfasser sind auch der Gewerkschaftsökonom Sebastian Dullien sowie der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, zudem die Wissenschaftler Gabriel Felbermayr, Jens Südekum und Beatrice Weder di Mauro.

Zinslose Steuerstundungen

Eine Neuverschuldung halten Bofinger und seine Kollegen insbesondere für möglich, um der Wirtschaft über zinslose Steuerstundungen zu helfen. So könnten betroffene Unternehmen ihre Vorauszahlungen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer und auch der Umsatzsteuer in diesem Jahr zumindest teilweise aussetzen, um Liquiditätsschwierigkeiten zu überwinden. Die daraus resultierenden Einnahmeausfälle müssten Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und seine Länderkollegen mit neuen Schulden in Milliardenhöhe überbrücken. Für Unternehmen, die wegen der Krise keine Gewinne erzielen, sollte die Möglichkeit des Verlustrücktrags entsprechend angepasst werden. Eine Senkung der Mehrwertsteuer, wie sie etwa Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ins Gespräch gebracht hat, halten die sieben Ökonomen dagegen für „nicht zielführend“, wie Dullien es formulierte. Die Ökonomen fordern, dass großzügig Liquiditätshilfen bereitgestellt werden. Denn auch wenn die Banken in Europa nach der Finanzkrise wieder stabiler sind, könnten Kreditprobleme klammer Firmen auch den Bankensektor ins Schlingern bringen. Daher sei die Stabilisierung des Unternehmenssektors auf diesem Weg wichtig, um eine neue Bankenkrise zu vermeiden, betonte Bofinger.

"Schnell, gezielt, vorübergehend"

Die bisherigen Maßnahmen der Regierung bezeichnen die sieben Wirtschaftswissenschaftler als richtig, insbesondere die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Sie reichten aber nicht aus. Es gehe jetzt darum, Maßnahmen anzupacken, die „schnell, gezielt und vorübergehend“ seien, sagte Bofinger. Ein Vorziehen der Abschaffung des Solidaritätszuschlags, wie von der SPD gefordert, halten die Ökonomen zwar für eine in der Wirkung begrenzte Maßnahme, sie wäre aber allein aus psychologischen Gründen zu begrüßen. Dies könne das Vertrauen in die Politik stärken und wegen der leichten Konsumstärkung für eine raschere wirtschaftliche Belebung nach dem Abflauen der Corona-Krise beitragen. Ein großes Investitionsprogramm, wie es zuletzt von Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie von SPD, Grünen und Linken gefordert wurde, lehnen die Ökonomen dagegen ab. Ein längerfristig angelegtes Milliardenprogramm werde der Corona-Krise nicht gerecht, weil nun kurzfristig wirkende Maßnahmen wichtiger seien.

"Einbruch im zweiten Quartal"

Welche Erwartungen haben die Ökonomen mit Blick auf das Wirtschaftswachstum? Dass die Corona-Krise die bisherigen Prognosen von etwa einem Prozent Wachstum in Deutschland in diesem Jahr über den Haufen wirft, ist klar. Dullien erwartet einen „Einbruch“ im zweiten Quartal, auch weil viele deutsche Großunternehmen von Zulieferungen der Vorprodukte aus Italien angewiesen sind – die aber bleiben möglicherweise in größerem Umfang einige Wochen aus. Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft erwartet im ersten Halbjahr „mit hoher Sicherheit“ eine Rezession, also sechs Monate ohne Wachstum. Im Gesamtjahr könnte das Wachstum demnach um den Nullpunkt liegen, die Eurozone insgesamt werde höchstens um 0,1 Prozent wachsen.

Doch ist das abhängig vom weiteren Verlauf der Epidemie. In China und Südkorea ist sie offenbar rückläufig. Sollte sie sich in Europa auch binnen Wochen abschwächen, könnten laut Felbermayr solche Prognosen auch zu pessimistisch sein. Bofinger glaubt jedenfalls, dass die Wirtschaft bald nach dem Abklingen der Epidemie wieder ins Laufen komme – binnen zwei Monaten, nachdem die Corona-Krise medizinisch unter Kontrolle sei. Das sei der große Unterschied zur Weltfinanzkrise nach 2008, als es deutlich länger gedauert hat.

Höhepunkt kommt noch

Allerdings geht das Ökonomen-Septett davon aus, dass der Höhepunkt der Produktionsausfälle der deutschen Wirtschaft noch bevorsteht. Denn vor allem die Zulieferprobleme wegen der zeitweisen Produktionsstopps in China kommen mit Zeitverzögerung in Europa an. Sechs Wochen macht der Seeweg nach China aus, sodass derzeit noch Schiffe mit Produkten in die Häfen einlaufen, die vor den massiven Betriebsschließungen in China seit Anfang Februar ihre Container laden konnten. So ist der „Angebotsschock“ durch den Bruch der Lieferketten noch gar nicht in vollem Umfang eingetreten. Und nun kommen die Schwierigkeiten hinzu, wenn in Betrieben Mitarbeiter ausfallen, weil sie krank oder in Quarantäne sind. Das Arbeiten von daheim, soweit es überhaupt möglich ist, könne die Probleme allenfalls mildern. Verstärkt wird der Wachstumseinbruch durch den innerdeutschen „Nachfrageschock“, wenn Kongresse abgesagt, Reisen verschoben oder das Ausgehen in Restaurants und Kneipen eingeschränkt wird.

"Unbürokratische Hilfe"

Der Grünen-Politiker Sven-Christian Kindler stimmt den Ökonomen zu. „Es geht darum, jetzt schnell und massiv zu handeln, um Schlimmeres zu verhindern. In einer solchen Ausnahmesituation braucht es schnelle, pragmatische Maßnahmen und nicht das Festhalten an ideologischen Glaubenssätzen“, sagte er mit Blick auf die schwarze Null Er plädiert allerdings dafür, nicht nur den Konzernen und den großen Mittelständlern zu helfen. „Besonderes Augenmerk muss auf Gruppen gelegt werden, die von den klassischen Instrumenten nicht geschützt werden. Solo-Selbstständige, Angestellte mit Verträgen auf Abruf in Dienstleistungsbetrieben, Eltern, die nicht arbeiten gehen können, weil die Betreuungseinrichtungen geschlossen sind, auch hier braucht es schnelle und unbürokratische Hilfe.“

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