zum Hauptinhalt
Schon jetzt ist Deutschland Vorreiter in Sachen Automatisierung.

© Getty Images/iStockphoto

Corona treibt die Automatisierung an: Jetzt schlägt die Stunde der Roboter

Die Pandemie hat gezeigt, wie verletzlich Lieferketten sind. Wenn künftig mehr Unternehmen lokal produzieren, wird Robotik eine wichtige Rolle spielen.

Das Coronavirus hat die Welt schon jetzt enorm verändert. Es hat die Verletzlichkeit von Menschen gezeigt, die sich lange als über die Natur erhabene Gesellschaften begriffen haben, und die Verletzlichkeit einer Wirtschaft, die von internationalen Lieferketten abhängig ist. Läutet die Krise jetzt möglicherweise das Ende der Globalisierung ein?

Dalia Marin ist davon überzeugt. Die Professorin für Internationale Wirtschaft der TU München schätzt, dass die durch die Pandemie gestiegene Unsicherheit die Lieferketten um 35 Prozent einbrechen lassen werden. „Die Pandemie ändert das Kalkül der Firmen“, sagt Marin. Wegen schwer kalkulierbarer Risiken lohne sich trotz Kostenvorteil das Geschäftsmodell von Lieferketten nicht mehr.

Für Marin bedeutet die Coronakrise das Ende des „Hyperglobalisierungszeitalters“, in dem der Welthandel wegen explodierender Lieferketten stärker gewachsen sei als das Weltinlandsprodukt. Statt Effizienz sei nach der Pandemie besonders Resilienz gefragt.

Höher automatisiert sind nur Südkorea und Singapur

Doch wie kann ein Hochlohnland wie Deutschland mit der Konkurrenz mithalten, wenn Unternehmen wieder verstärkt lokal produzieren? Hier schlägt die Stunde der Robotik. Schon jetzt gehört Deutschland zu den Ländern, die ihre Produktion am stärksten automatisiert haben. Nach Zahlen der International Federation of Robotics (IFR) kommen in Deutschland 388 industrielle Roboter auf 10 000 Arbeitskräfte. Mehr gibt es nur in Singapur und Südkorea, der internationale Schnitt liegt bei 99.

„In einigen Branchen ist Deutschland sehr weit, in anderen setzt man bisher darauf, aus dem Ausland zu importieren“, sagt Susanne Bieller, Generalsekretärin der IFR. Gerade in der Elektroindustrie sei in Deutschland teilweise gar nicht mehr das Know-how vorhanden, um hier zu produzieren. „Da Prozessschritte wieder zurückzuholen wird schwierig.“

Roboter für die Krise: Die Berliner Firmen Pi4 Robotics und Mikron haben sich zusammengetan, um den „RespiratorBot“ zu bauen. Eine automatisierte Mini-Fabrik, die Mund-Nase-Schutzmasken herstellt, verpackt und verkauft.
Roboter für die Krise: Die Berliner Firmen Pi4 Robotics und Mikron haben sich zusammengetan, um den „RespiratorBot“ zu bauen. Eine automatisierte Mini-Fabrik, die Mund-Nase-Schutzmasken herstellt, verpackt und verkauft.

© pi4–robotics GmbH

Vorreiter in Sachen Automatisierung ist die Automobilindustrie, in der 59 Prozent aller in Deutschland installierten Roboter eingesetzt werden. Es folgt die metallverarbeitende Industrie mit 14 Prozent und die Kunststoff- und Chemieindustrie mit acht Prozent.

Durch die Krise haben sich unterschiedliche Effekte beobachten lassen, sagt Bieller. Wegen Fertigungsstopps in China hätte beispielsweise die Automobilindustrie ihre Produktion stoppen müssen. Aufgrund von Abstandsregeln könnten außerdem nicht mehr so viele Arbeiter wie zuvor in Fabriken arbeiten.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

„Es hat sich gezeigt, dass Fabriken, die zum Teil automatisiert sind, da einen Vorteil hatten“, sagt Bieller. Beide Effekte würden dazu führen, dass auch Unternehmen, die der Automatisierung bisher skeptisch gegenüberstanden, sich jetzt damit auseinandersetzen würden.

Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit werden wichtiger

Zu den Unternehmen, die schon jetzt auf automatisierte Produktion vor Ort setzen, gehört Arburg. Das mittelständische Unternehmen produziert Maschinen für Kunststoffverarbeitung und beschäftigt weltweit 3200 Mitarbeiter. Zentraler Produktionsstandort des Unternehmens ist das Stammwerk im Schwarzwälder Kurort Loßburg.

„Ein strategisches Ziel von Arburg ist die Beibehaltung der finanziellen und politischen Unabhängigkeit der Unternehmensgruppe“, sagt Guido Frohnhaus, Geschäftsführer für Technik bei Arburg. Das gelte insbesondere für die Bereiche Technologie und Lieferketten.

Mit dem Kommunikationsautomaten „James“ von RobShare können Bewohner von Pflegeheimen während der Besuchssperre Kontakt zu ihren Familien halten.
Mit dem Kommunikationsautomaten „James“ von RobShare können Bewohner von Pflegeheimen während der Besuchssperre Kontakt zu ihren Familien halten.

© Hahn RobShare

Wo anderorts die Produktion stillstand, verzeichnete Arburg innerhalb der eigenen Lieferketten keine negativen Auswirkungen der Coronavirus-Situation. „Wir waren und sind uneingeschränkt lieferfähig“, sagt Frohnhaus. Das Unternehmen hat nun auch begonnen, Atemmasken und Schutzbrillen zu produzieren, und fühlt sich in seiner Strategie bestätigt.

Frohnhaus glaubt, dass auch andere Unternehmen folgen werden. Mehr Chancen und Handlungsoptionen als in der Großindustrie sieht er dabei im Mittelstand, der eher langfristig und auf Nachhaltigkeit ausgelegt sei.

„Ein Digitalisierungsbeschleuniger unglaublicher Art“

Erlebt die Robotikbranche also gerade einen Boom? Susanne Bieller ist vorsichtig. Erst einmal habe es, wie in anderen Branchen auch, einen Nachfrageeinbruch gegeben. Sie rechne aber damit, dass das Geschäft langsam wieder anziehe und dass dann auch neue Aufträge kommen.

Ihr pflichtet Patrick Schwarzkopf bei, Geschäftsführer im Bereich Robotik und Automation des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA).„Auch die Robotik kann sich vom konjunkturellen Abschwung nicht entkoppeln“, sagt Schwarzkopf.

Die Nachfrage nach Robotern in einzelnen Bereichen steige zwar gerade enorm, könne aber die Ausfälle etwa in der Automobilproduktion nicht aufwiegen. Schwarzkopf blickt trotzdem optimistisch in die Zukunft. „Die Krise war ein Digitalisierungsbeschleuniger unglaublicher Art.“

Physiotherapie mit Distanz. Das Unternehmen Life Science Robotics hat den Roboter „Robert“ zur Mobilisierung von Patienten entwickelt.
Physiotherapie mit Distanz. Das Unternehmen Life Science Robotics hat den Roboter „Robert“ zur Mobilisierung von Patienten entwickelt.

© Life Science Robotics

Auch im industriellen Bereich würden digitale Techniken, durch die sich beispielsweise Maschinen virtuell in Betrieb nehmen lassen können, jetzt mehr akzeptiert. „Das wird nach der Krise nicht zurückgehen“, ist sich Schwarzkopf sicher.

Darauf hofft auch Thomas Staufenbiel, der 2016 gemeinsam mit zwei Kollegen die Berliner Firma Gestalt Robotics gründete. Der Dienstleister für Industrieautomatisierung entwickelt gemeinsam mit Firmen Strategien für eine intelligente Automatisierung. Unter anderem eine Roboterzelle für das Gillette-Werk in Berlin, die Klingen selbstständig aus einem Automaten nehmen kann.

Was heißt die Automatisierung für die Arbeitskräfte?

Auch Gestalt Robotics sei von der Krise nicht verschont geblieben, sagt Staufenbiel beim Gespräch in den Kreuzberger Büroräumen des Unternehmens. Er rechnet damit, dass Investitionen in den nächsten Monaten erst einmal zurückgehalten werden. „Zuerst wird immer im Innovationsbereich gespart.“

Langfristig gesehen, hält auch er die Automatisierung für unabdingbar, wenn Produktion zurück nach Deutschland geholt werden soll. „Unternehmen, die ihre Produktion sowieso im Inland aufbauen wollten, werden jetzt noch einmal darin bestärkt“, sagt Staufenbiel. Das sei auch schon bei Gestalt Robotics zu bemerken.

Desinfektion durch Licht. „ZenZoe“ gibt ultraviolettes Licht ab, das das Coronavirus abtötet. InSystems Automation aus Berlin haben den Roboter mitentwickelt.
Desinfektion durch Licht. „ZenZoe“ gibt ultraviolettes Licht ab, das das Coronavirus abtötet. InSystems Automation aus Berlin haben den Roboter mitentwickelt.

© Promo

Die Branche ist also guter Dinge. Doch was heißt eine verstärkte Automatisierung der Produktion für die Arbeitskräfte in den deutschen Fabriken? „Es ist wichtig, dass es bei Automatisierungen nicht zu Entlassungen kommt“, sagt Moritz Niehaus, Politischer Sekretär der IG Metall für den Bereich Digitalisierung der Industriearbeit.

Durch den seit den 80er Jahren ungebrochenen Trend hin zur Robotik seien schon viele Arbeitsplätze automatisiert worden. Das betreffe nicht nur einfach Qualifizierte, sondern auch Facharbeitende. Einige Tätigkeiten, wie etwa das Schweißen, würden heute kaum noch von Menschen durchgeführt.

[Verfolgen Sie in unseren Liveblogs die aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in Berlin und zum Coronavirus in Deutschland und der Welt.]

Susanne Bieller von der IFR betont, dass Arbeitsplätze durch den Einsatz von Robotik nicht verloren gingen, sondern lediglich verschoben würden. „Die Unternehmen, die in Robotik investieren, werden wettbewerbsfähiger und können ihr Geschäft weiter ausbauen“, sagt Bieller. Dadurch entstünden neue Jobs in den Bereichen Service, Marketing und Verkauf.

Eine 2017 veröffentlichte Studie zum Thema zeigte, dass der Einsatz von Robotern in Deutschland zu nahezu 23 Prozent zum  Beschäftigungsrückgang im verarbeitenden Gewerbe beigetragen hat. Dieser Rückgang ist aber durch zusätzliche Jobs im Dienstleistungssektor mehr als kompensiert worden.

Auch eine Chance, Arbeitsbedingungen zu verbessern

Niehaus sieht derartige Berechnungen skeptisch. „Das sind makroökonomische Effekte“, sagt er. „Die helfen nicht unmittelbar den Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.“ Die IG Metall setze sich deshalb dafür ein, dass Beschäftigte umqualifiziert werden. „Das muss oft von Gewerkschaften und Betriebsräten getrieben werden“, sagt Niehaus.

Gleichzeitig bietet die Robotik aber auch eine Chance, repetitive oder körperlich sehr schwere Arbeit zu ersetzen und Arbeitsbedingungen so zu verbessern. Durch mehr Produktion in Deutschland könnten außerdem mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, die bisher ausgelagert sind. Und das auch, wenn Produktionsprozesse zum Teil automatisiert sind.

Dieses Potenzial für mehr und bessere Arbeit sieht auch der Gewerkschaftler Niehaus. „Nicht die Technik an sich ist gut oder schlecht“, sagt er. „Entscheidend ist, wie sie eingesetzt wird.“

Zur Startseite