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Wirtschaft: Crommes Coup

Der Aufsichtsratsvorsitzende wird in den USA fündig / Vertrauensvorschuss ist groß, aber der neue Chef hat keine Hausmacht

Berlin - Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme ist ein Überraschungscoup gelungen. Keiner der Namen, über die in den vergangenen Wochen als neuer Siemens-Chef spekuliert wurde, sei richtig, hatte er in einer E-Mail an die Aufsichtsratsmitglieder geschrieben. Auf seiner Sondersitzung am Sonntag berief der Aufsichtsrat dann tatsächlich einen Manager, den bislang niemand auf der Rechnung hatte: Merck-Vorstandsmitglied Peter Löscher. Er wird am 1. Juli Klaus Kleinfeld an der Siemens-Spitze ablösen.

Einstimmig sei die Entscheidung gefallen, erfuhr der Tagesspiegel aus Aufsichtsratskreisen. Man sei sich einig, dass Siemens sich nach außen öffnen müsse. Aktionärsschützer sehen jedoch schwere Zeiten für den Neuen an der Spitze. „Löscher ist der erste Vorstandschef, der von außen kommt“, sagte Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) dem Tagesspiegel. „Der Konzern war bisher sehr in sich geschlossen. Löscher muss sich jetzt zunächst eine Hausmacht verschaffen und für Akzeptanz sorgen“, sagte Kurz. Gut sei aber, dass jetzt Klarheit über die Konzernführung bestehe.

„Löscher hat vieles, was jetzt bei Siemens gebraucht wird“, sagte dagegen ein Siemens-Kenner. So bringt der Österreicher für die neue Aufgabe im Weltkonzern Siemens Auslandserfahrung mit. Drei Sprachen spricht er fließend, und er kann sich auch auf Japanisch verständigen. Seit Ende der 80er Jahre arbeitete der Manager in verschiedenen Positionen für den Chemiekonzern Hoechst – unter anderem in den USA und Spanien. Als Leiter der Unternehmensplanung gestaltete er den Umbau des Konzerns mit. Zudem leitete er den Gang an die New Yorker Börse NYSE. Erfahrung in einem weitverzweigten Technik-Konzern sammelte Löscher im Zentralvorstand des Siemens-Konkurrenten General Electric, in dem er bis 2006 saß. Als Manager beim US-Pharmakonzern Merck hat er zudem bereits Erfahrungen mit der mächtigen Börsenaufsicht SEC gemacht – wegen der SEC-Ermittlungen sehen manche Siemensianer die Existenz des ganzen Konzerns in Gefahr (siehe Bericht unten).

Zudem kommt Löscher aus der Gesundheitsbranche, einem der Wachstumsfelder, das sein scheidender Vorgänger Klaus Kleinfeld zu einem der großen „Megatrends“ ausgerufen hatte, die Siemens eine glückliche Zukunft bescheren sollten. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Als Externer steht Löscher nicht in dem Verdacht, in die Schmiergeld- und Bestechungsskandale des Konzerns verwickelt zu sein.

„Ich bin überzeugt davon, dass die schwierige Aufgabe, Siemens aus der gegenwärtigen Situation in eine gute Zukunft zu führen, bei Peter Löscher in den besten Händen liegt“, sagte Cromme am Sonntag. Dieser betonte, es sei eine „außerordentliche Ehre“ und „große Herausforderung“, Vorstandschef von Siemens zu werden.

An Herausforderungen mangelt es nicht. In den vergangenen Monaten hat der Konzern viel mitgemacht. Über 400 Millionen Euro sollen in schwarzen Kassen verschwunden und als Schmiergeld eingesetzt worden sein. Bestechung wird auch hinter dubiosen Millionenzahlungen an den Gründer der Arbeitnehmerorganisation AUB vermutet. Aktive und ehemalige Vorstände wurden verhaftet, durch die Rücktritte von Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer und des Vorstandsvorsitzenden Kleinfeld verlor der Konzern zudem seine komplette Führung.

Cromme konnte nun relativ rasch eine Lösung präsentieren, obwohl sein ursprünglicher Wunschkandidat, Linde-Chef Wolfgang Reitzle, endgültig abgesagt hatte. Wegen seines langjährigen Vertrags bei Linde scheiterte der Wechsel zu Siemens. Am Sonntag war dann im Umfeld des Konzerns noch Thyssen-Krupp-Vorstand Edwin Eichler als neuer Vorstandsvorsitzender gehandelt worden, doch auch dies war am Ende eine falsche Fährte.

Arbeitnehmervertreter begrüßten die Entscheidung für Löscher. Es sei gut, dass der Aufsichtsrat eine lange Hängepartie vermieden habe und schnell eine Entscheidung getroffen habe, sagte Werner Neugebauer, Bezirksleiter der IG Metall Bayern. „Jetzt besteht die Chance für einen Neuanfang bei Siemens.“ Alle erhobenen Vorwürfe müssten „restlos“ aufgeklärt werden.

mit nic/dpa

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