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Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag börsennotierter Unternehmen.

© Reuters

Cum-Ex-Aktiengeschäfte: Bundesfinanzhof trifft keine klare Entscheidung

Im Steuerstreit um zweifelhafte Aktiengeschäfte vor und nach der Dividendenzahlung, „Cum-Ex“, hat der Fiskus erst einmal gepunktet. Doch die Frage, ob solche Geschäfte grundsätzlich zulässig waren, ist damit noch nicht geklärt. Denn jeder dieser hochkomplexen Fälle ist anders gelagert.

Im Streit um Steuergeschäfte mit Dividenden bleibt der von vielen erhoffte Richtungsentscheid des obersten deutschen Steuergerichts aus. Der Bundesfinanzhof ließ in seiner am Donnerstag erläuterten Entscheidung offen, ob sich Anleger bei so genannten Cum-ex-Geschäften Steuern vom Finanzamt mehrfach erstatten lassen können, die nur einmal gezahlt wurden.

Die Münchner Richter legten im Streit eines Hamburger Investors mit dem Finanzamt lediglich fest, unter welchen Bedingungen eine Mehrfacherstattung nicht möglich ist. Es war das erste und bisher einzige höchstrichterliche Verfahren in einer milliardenschweren Auseinandersetzung zwischen Investoren und Finanzämtern in ganz Deutschland. Die Gesetzeslücke, die viele Anleger ausnutzten, wurde mittlerweile geschlossen.

Der Investor hatte eine ganz bestimmte Konstruktion gewählt

Zwar unterlag der klagende Investor vor dem Bundesfinanzhof wie bereits in der Vorinstanz gegen die Hamburger Steuerbehörden. Grund war nach Angaben des Gerichts aber lediglich, dass der Investor für das Geschäft eine ganz bestimmte Konstruktion gewählt hatte. Generell zielten derartige Geschäfte auf die paradoxe Situation ab, dass es infolge verschachtelter Transaktionen gleichzeitig mehrere Eigentümer derselben Aktie geben konnte. Im konkreten Fall sei der der Investor jedoch wegen eines mit mehreren Beteiligten vereinbarten “Vertragsgeflechts“ nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden, urteilte der Senat. Ob eine Mehrfacherstattung in anderen Fällen möglich ist, ließ das Gericht jedoch ausdrücklich offen: “Ist der Erwerber wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien, steht womöglich auch ihm - neben dem rechtlichen Eigentümer - gegenüber der Finanzbehörde der Anspruch auf Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer zu.“ Steuerrechtlern zufolge lässt sich die Entscheidung nicht automatisch auf andere Streitigkeiten übertragen.

Das Urteil gilt für den Einzelfall

“Dieses Urteil ist über den Einzelfall hinaus für die meisten Betroffenen keine große Hilfe“, sagte der Frankfurter Rechtsanwalt Bernulph von Crailsheim der Nachrichtenagentur Reuters. “Das wird nicht dazu führen, dass diese Streitigkeiten beendet werden können.“ Das Bundesfinanzministerium räumte ebenfalls ein, dass die Richter lediglich für die “konkrete Fallgestaltung“ Klarheit geschaffen hätten. Es wertete das Urteil aber als Etappensieg für die Steuerzahler. “Das Bundesfinanzministerium ist optimistisch, dass sich auch in der Zukunft die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung durchsetzt“, erklärte ein Sprecher. Demnach dürfe die Steuer nicht mehrfach erstattet werden. Der Hamburger Finanzsenator Peter Tschentscher kündigte an, die Steuerverwaltung werde prüfen, inwieweit nun auch anderen Cum-ex-Geschäften die Grundlage entzogen sei. Der betroffene Investor wollte sich zu dem Fall nicht äußern.

Der Bundesfinanzhof begründete sein Urteil damit, dass der Investor wesentliche Teile des komplizierten Geschäfts an eine Bank übertragen hatte: Sie hatte den Anteilskauf per Kredit finanziert und das Kursrisiko der Aktien übernommen, zudem hatte der Investor die Aktien unmittelbar nach dem Kauf an die Bank verliehen. Deshalb habe der Kläger keinen Grund, sich vom Finanzamt Kapitalerstragsteuer erstatten zu lassen, urteilte der Senat. Aus Sicht der Richter blieben außerdem noch Fragen zur Besteuerung der betroffenen Investmentgesellschaft offen. Deshalb verwiesen die Münchner Richter den Fall in ihrem Urteil vom Mittwochabend zurück an das Finanzgericht in der Hansestadt. Der Investor hat das Finanzamt Hamburg-Altona verklagt, weil es ihm für das Jahr 2008 Steuererstattungen im Zusammenhang mit Aktiendividenden verweigert.

Hintergrund ist eine Gesetzeslücke, die 2012 geschlossen wurde.

Bundesweit sind mehrere Banken und etliche andere Investoren in Streitigkeiten um solche Geschäfte verwickelt, bei denen es nach Schätzungen von Beteiligten um einen Gesamtbetrag in Milliardenhöhe geht. Seit Jahren laufen Gerichtsverfahren, auch Staatsanwälte ermitteln. Hintergrund ist eine Gesetzeslücke, die 2012 geschlossen wurde. Offen ist, ob bis dahin bei bestimmten Aktiengeschäften rund um den Dividendentermin eine mehrfache Steuererstattung rechtens war oder nicht - oder möglicherweise sogar kriminell.

Einige Banken haben bereits Rückstellungen gebildet

Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag börsennotierter Unternehmen.
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag börsennotierter Unternehmen.

© Reuters

Angesichts der zweifelhaften Steuergeschäfte mit Aktiendividenden stehen für Banken und andere Investoren Millionensummen im Feuer. Bisher haben unter anderem Hypovereinsbank, HSH Nordbank und Landesbank Baden-Württemberg Risiken aus solchen Transaktionen öffentlich eingeräumt, einige Institute bildeten bereits Rückstellungen für Steuernachzahlungen.

Die Steuerbescheinigung ist für viele Anleger bares Geld wert

Die Beteiligten nutzten eine Gesetzeslücke, um sich von den Finanzämtern Steuern erstatten zu lassen, die vorher gar nicht gezahlt worden waren. Jahrelang stand die Lücke offen, bis der Gesetzgeber sie 2012 stopfte. Grundlage des umstrittenen Geschäftsmodells war ein Aktienhandel rund um den Dividendentermin: Es ging dabei um Aktien vor diesem Zeitpunkt, also mit (lateinisch: cum) Ausschüttungsanspruch, und um Papiere danach, also ex Dividende. Deshalb spricht man auch von Cum-ex-Geschäften.

Von findigen Banken und Steuerexperten beratene Investoren machten sich dabei den Umstand zunutze, dass die auf Dividenden fällige Steuer von der ausschüttenden Aktiengesellschaft direkt ans Finanzamt überwiesen wurde. Der Aktionär bekam nur den Nettobetrag - und eine Bescheinigung seiner Depotbank über die Kapitalertragsteuer, die die AG zu seinen Lasten gezahlt hatte. Diese Steuerbescheinigung ist für viele Anleger bares Geld wert: In vielen Fällen kann sich der Aktionär mit ihrer Hilfe Geld vom Finanzamt erstatten lassen.

Wundersame Geldvermehrung

Mit Hilfe mehrfacher unübersichtlicher Besitzerwechsel der Aktien rund um den Ausschüttungstermin gelang es Investoren, die wertvollen Steuerbescheinigungen auf wundersame Weise zu vervielfachen: Aktien wurden leer verkauft, also ohne sie zu besitzen, und erst einige Tage später geliefert, Papiere wurden verliehen. Weil durch solche Transaktionen rund um den Dividendentermin nicht mehr eindeutig war, auf wessen Kosten das Finanzamt eigentlich die Kapitalertragsteuer erhalten hatte, wurden am Ende mehreren Beteiligten Erstattungsansprüche bescheinigt.

Irgendwann sahen die Finanzbehörden nicht mehr tatenlos zu, wie sich Investoren auf Kosten der Allgemeinheit Steuern doppelt und dreifach erstatten ließen. Sie verweigerten die von den Steuerjongleuren fest eingeplanten Auszahlungen. Dagegen zogen einige vor Gericht. Sie argumentieren, nach dem Gesetz sei diese Möglichkeit nun einmal zulässig gewesen. Wer Recht hat, muss nun die Justiz erst noch entscheiden. Reuters

Jörn Poltz

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