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US-Berichte legen nahe, dass Hacker es auf ein Atomkraftwerk in Deutschland abgesehen haben.

© dpa/Julian Stratenschulte

Cyber-Schläge gegen Kraftwerke und Netze: "Angriffe sind jederzeit möglich"

Angst vor dem Cyber-Angriff: Hacker zielen auf Atomkraftwerke und Stromnetze – auch in Deutschland. Doch die „zivile Verteidigung“ weist große Lücken auf.

Maria Cantwell bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Seit 18 Jahren kämpft die Senatorin gegen höhere Strompreise, Ölbohrungen in Naturschutzgebieten und für mehr Windkraft und Solarenergie in den USA. Unter Präsident Obama stieg sie auf zur wichtigsten Demokratin im mächtigen Energieausschuss des Senats. Letzte Woche platzte Cantwell gehörig der Kragen. Schuld waren Donald Trump, Wladimir Putin und Cyber-Angreifer, die sich in amerikanische Kraftwerke eingeschlichen hatten. Trumps Energieminister Rick Perry bekam die Wut der Politikerin ab.

„Unsere Energieinfrastruktur wird angegriffen“, schleuderte Cantwell Perry entgegen. „Sie wird angegriffen und wir müssen viel mehr tun, um sie zu schützen.“ Zuvor hatte Perry den Kongress um 470 Millionen Dollar gebeten, um die Stromnetze besser vor Hackern zu schützen. Allerdings hatte das Weiße Haus ausgerechnet bei der Cyber-Abwehr im Energiesektor zuvor kräftig sparen wollen – bis das US-Heimatschutzministerium vergangene Woche einen Bericht veröffentlichte, der mehrere erfolgreiche Cyber-Angriffe russischer Hacker auf Stromnetze und Energieversorger in den USA dokumentierte. Offenbar laufen diese virtuellen Attacken immer noch. „Wir sparen hier an einer Stelle, die zu einer der größten Bedrohungen unseres Landes werden könnte“, schimpfte Cantwell.

Seit einem Jahr sitzt die Demokratin dem Weißen Haus bereits im Nacken. Ihr geht es weniger um die Einflussnahme Russlands zugunsten von Trump auf den US-Wahlkampf, der die US-Medien seit Tagen wieder dominiert. Cantwell sorgt sich vielmehr um die russischen Fähigkeiten, amerikanische Stromnetze auszuschalten und damit von der Kommunikation bis zur Trinkwasserversorgung alles lahmzulegen. Drei Mal schon forderte sie die Trump-Regierung auf, eine Gefahrenanalyse vorzulegen. Drei Mal kam keine Antwort. Erst nach dem Bericht des Heimatschutzministeriums reagierte das Weiße Haus: Nun soll eine neue Cyber-Schutzeinheit für Stromnetze und Kraftwerke aufgebaut werden.

Mancher hat vorsichtshalber einen Brunnen

Was der Bericht auch zutage förderte: Die Hacker hatten es offenbar nicht nur auf amerikanische, sondern auch auf europäische Stromerzeuger abgesehen, darunter mindestens ein Atomkraftwerk. Das weckt Erinnerungen an den 23. Dezember 2015, als in der Ukraine für Stunden der Strom ausfiel. Millionen Menschen saßen im Dunkeln und Krankenhäuser konnten nur mit Notstromaggregaten den Betrieb aufrechterhalten. Dahinter steckte Russland, wie schnell herauskam. Es war ein kriegerischer Akt und eine Weltpremiere: der erste von Hackern verursachte, großflächige Stromausfall überhaupt. Experten bezweifeln, dass es der letzte gewesen wird.

Derartige Angriffe sind jederzeit möglich“, warnt etwa Christoph Unger, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. „Gerade auch deshalb haben wir die Folgen und die Auswirkungen im Blick.“ Wie bereitet man sich am besten auf so einen „Blackout“ vor? Marc Elsberg trifft immer wieder Menschen, die sich gerade ein Notstromaggregat für ihr Haus gekauft haben. Andere lassen in ihrem Garten einen Brunnen bohren. Nur für den Fall der Fälle. Diese Leute haben meistens Elsbergs Bestseller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ gelesen, der sich bislang 1,5 Millionen Mal verkauft hat. „

Die Russen zeigen uns ihre Instrumente, so wie sie es schon in der Ukraine getan haben“, sagte Elsberg dem Tagesspiegel. „Früher gab es Atomwaffentests im Pazifik, die die ganze Welt sehen konnte, heute schicken die Nordkoreaner Raketen in Richtung Japan, damit alle Bescheid wissen über ihre Fähigkeiten“, so Elsberg. „Der Cyber-Krieg verläuft zwar im Verborgenen, ist aber im Kern das Gleiche.“ Es gehe um Angriffspotenziale, Verteidigungsfähigkeiten und um Abschreckung. Und keiner wisse, welche tickenden, digitalen Zeitbomben die Eindringlinge in den IT-Systemen hinterlassen. Autor Elsberg hat seit den Recherchen für sein Buch immer Lebensmittelvorräte für zwei Wochen zu Hause, so wie es Katastrophenschützer empfehlen.

Größere Stromausfälle gibt es, anders als etwa in den USA, in Deutschland nur sehr selten. Wenn mal das Licht ausgeht, dann nur für wenige Minuten. Wie vernetzt und damit anfällig das Stromsystem ist, zeigte sich zuletzt an einem grauen Herbsttag im November 2006. Damals schrammte Deutschland nach Ansicht von Experten nur knapp an einem flächendeckenden Zusammenbruch von Stromnetzen vorbei. Der Energieversorger Eon hatte damals als Sicherheitsmaßnahme eine Höchstspannungsleitung im Norden abgeschaltet, weil ein in der Meyer-Werft in Papenburg gebautes Kreuzfahrtschiff auf dem Weg zum Meer darunter durchfahren sollte. Das überlastete eine Verbindungsleitung wiederum so sehr, dass diese sich automatisch ebenfalls abschaltete, was eine Kettenreaktion auslöste. An deren Ende waren mehrere Millionen Menschen ohne Strom.

Stromausfall könnte zum Kollaps führen

Wenn fehlende Voraussicht schon so großen Schaden anrichtet, was passiert dann erst bei einem gezielten Angriff auf das Stromnetz, fragten damals nicht nur Fachleute. Ein offizieller Bericht für den Bundestag warnte 2010 vor einem schnellen „Kollaps der gesamten Gesellschaft“ im Fall von großflächigen Stromausfällen. Vor allem Telekommunikations- und Datendienste würden teils sofort, spätestens aber nach wenigen Tagen ausfallen. „Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden“, so das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag. Was hat sich seitdem getan?

Spätestens seit die Regierung 2016 grünes Licht für die Pläne zur „Zivilen Verteidigung“ des Innenministeriums gab, bereiten sich die Behörden verstärkt auf Notfälle vor. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK) etwa will bis Ende 2018 einen Notstrom-Plan fertigstellen, „der auch Szenarien abdeckt, die wir so glücklicherweise noch nie erlebt haben“, wie BBK-Referatsleiter Peter Lauwe gegenüber dem Tagesspiegel ankündigte.

Der Plan sieht vor, dass die sogenannten kritischen Infrastrukturen – Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, Energieerzeuger und andere – bei einem Stromausfall mit Notstromaggregaten mindestens 72 Stunden am Laufen gehalten werden, und zwar ohne nachzutanken. Eine entsprechende Menge Diesel für die Aggregate muss also vor Ort eingelagert werden. Das lässt genug Zeit, damit die Krisenmanager die komplexe Kraftstoff-Lieferkette in Gang setzen können.

Die Krisenvorbereitungen kann das Bundesamt aber nicht flächendeckend anordnen, da der Katastrophenschutz in der Hoheit von Bundesländern und Landkreisen liegt. Dort müssen auch viele Unternehmen eingebunden werden, von Energieerzeugern über Tankstellen bis Speditionen. So sind einige Regionen deutlich weiter als andere. Für die Bürger könnte es am Ende reine Glückssache sein, ob sich ihre Kommune akribisch vorbereitet hat oder nicht.

„In der Fläche ist Deutschland jetzt schon deutlich besser auf längere Stromausfälle vorbereitet, als wir dies etwa beim Münsterländer Schneechaos waren“, glaubt BBK-Experte Lauwe. Am ersten Adventswochenende des Jahres 2005 führten Leitungsbrüche und Kurzschlüsse dazu, dass ganze Gemeinden im Chaos versanken und insgesamt 250 000 Menschen ohne Strom waren. Damals musste das Technische Hilfswerk nicht nur Tankstellen und Bankfilialen mit Notstromaggregaten ausstatten, sondern auch Bauernhöfe. Denn unter dem langen Stillstand der Melkmaschinen litten die Kühe: Ihre Euter waren schmerzhaft voll.

Weitere Hintergründe zu diesem und anderen Themen aus dem Bereich Energie und Klima finden Sie bei Tagesspiegel Background - dem Entscheider-Briefing für den Energie- und Klima-Sektor. Sie können das Briefing hier kostenlos und unverbindlich testen.

Felix Wadewitz

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