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Fußball überall.

© dapd

Wirtschaft: Dabei sein

Videoleinwand und Tippspiele: Viele Berliner Unternehmen machen aus der Europameisterschaft ein Gemeinschaftsevent für ihre Mitarbeiter. Warum sich das für beide Seiten lohnt.

Das Turnierfieber grassiert wieder. Seit Freitag beherrscht nur ein Thema die Gespräche in Büros, den Spätkaufs und Fabriken: Die Fußballeuropameisterschaft. Aber können die Arbeitnehmer die Spiele überhaupt verfolgen? Oder sind die, die während der Spielzeiten arbeiten müssen, die ersten EM-Verlierer?

Jeder Fußballfan kennt die Symptome, die es verursacht, wenn man ein wichtiges Spiel verpasst. Zuerst ist da Panik, dann kommt die Phase der Leugnung, zum Schluss findet man sich misslaunig mit der Tatsache ab, ein Match nicht sehen zu können.

Zum Glück für die meisten Arbeitnehmer kollidieren die Partien bei der vorgestern eröffneten Europameisterschaft (EM) kaum mit den Arbeitszeiten. Die Spiele des deutschen Teams – wie bereits das gestrige – werden sogar ausschließlich erst um 20.45 Uhr angepfiffen. Was aber ist mit den Spätschichtlern, den Kassierern und den Nachtportiers?

Viele Firmen, in denen abends gearbeitet wird, erlauben das Fußballschauen während der Arbeitszeiten. Das gilt allerdings hauptsächlich für die Büroangestellten, die noch spät arbeiten. Bei Siemens oder Ebay können sie so lange schauen wie sie wollen – solange sie ihren Aufgaben nachkommen. „Wir haben offene Bereiche, wo die Fernseher laufen“, sagt Tobias Hübscher, der bei Ebay für die Mitarbeiterkommunikation zuständig ist. „Selbst wer Hardcore-Fan ist, kann bei uns alle Spiele schauen. Dann klärt man vorher im Team, wer die Arbeit während der 90 Minuten übernehmen kann oder erledigt sie eben nach Spielschluss.“

In den Produktionsstätten und Fabriken hingegen sieht es schon ganz anders aus. Der Spät- oder Nachtschichtler hat Pech, wenn er Fußballfan ist: Bei Siemens etwa müssen die Mitarbeiter Urlaub nehmen oder Dienste tauschen, wenn sie EM-Spiele sehen wollen. „Das macht man dann im Kollegenkreis aus, wir können die Produktion ja schlecht anhalten“, sagt Pressesprecherin Ilona Thede. Laufende Produktion und laufende Fernsehgeräte, das verträgt sich nicht.

Aber auch die Mitarbeiter der großen Supermarktketten haben schlechte Karten. Hier gehen die Spätschichten meist bis 22 oder 24 Uhr, Fernseher an der Kasse wird es nicht geben. Bei Kaiser's in Berlin können Mitarbeiter nicht einmal in den Diensträumen einen Blick auf das Geschehen in den Stadien werfen. Der entscheidende Grund hat nichts mit der Arbeit zu tun: Kaiser's zahlt keine Rundfunkgebühr an die Gebühreneinzugszentrale (GEZ). Von daher dürfen laut Berliner Unternehmensleitung keine Fernsehgeräte in den Räumlichkeiten des Supermarkts laufen.

Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern an, zusammen zu schauen. Auch das Universitätsklinikum Charité macht es möglich. Vom 9. bis 17. Juni können Patienten und Mitarbeiter an drei Charité-Standorten bei den Vorrundenspielen der deutschen Mannschaft mitfiebern. Je nach Erfolg der Nationalelf sind Folgetermine nicht ausgeschlossen. Auch bei Ebay soll es Public Viewing geben. Am 22. Juni ist Familientag in Kleinmachnow, die Besucher können das EM-Viertelfinale auf einer Großbildleinwand verfolgen. Wie in vielen anderen Firmen wird bei Ebay auch getippt. „Wir treten gegen alle anderen Niederlassungen in Europa an und tragen so unsere eigene EM aus“, sagt Hübscher. Andere größere Firmen planen Fußball im größeren Kreise der Mitarbeiter spontan – wenn die Nationalelf weiter kommt.

Für Unternehmen ist Public Viewing eine gute Gelegenheit, ein gemeinschaftsstiftendes Ereignis für die Mitarbeiter zu schaffen und nebenbei das Betriebsklima zu verbessern. Zudem stellt das gemeinsame Fußballgucken den Betrieb nach außen gut dar – optimales „Employer Branding“ also. „Das hat extern und intern eine wahnsinnige Wirkung“, sagt Hofert. Ihre Erfahrung ist allerdings, dass es eher die kleineren Firmen sind, die diese Möglichkeit nutzen.

Die gemeinsame Fußballfernseh-Schau muss dabei nicht zu Lasten des Arbeitgebers gehen, sagt die Arbeitsrechtlerin beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Martina Perreng. „Es ist durchaus zumutbar, dass man sich die Spiele unter Anrechnung der Pausenzeit anschaut.“

Auch die Bus- und U-Bahnfahrer müssen während der Fußballspiele auf direktes Miterleben verzichten. „Um Gottes Willen“, sagt Petra Reetz von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), „natürlich dürfen unsere Fahrer kein Radio hören. Das beeinträchtigt sie doch beim Fahren.“ Immerhin informiert die BVG die Fahrer und die Fahrgäste bei Spielen des deutschen Teams und den Halbfinale-Partien über Zwischenstände und Endergebnis.

Die Rezeptionisten bei den A & O Hostels und Hotels dagegen können immerhin mit einem Auge auf Poldi und Schweini schielen, während sie die Neuankömmlinge in Empfang nehmen: „Unsere Mitarbeiter dürfen während der Spiele das Fernsehgerät anschalten“, sagt Astrid Nelke, die dort für Kommunikation zuständig ist. Im „Park Inn“ am Alexanderplatz hingegen dürfen nur die Gäste die Partien verfolgen. Die Mitarbeiter an der Rezeption und im Service sollen weiter ihren Aufgaben nachgehen.

Die 70 Beschäftigten des Start-up-Unternehmens Plista in Mitte haben derartige Probleme nicht. In den Büros der IT-Firma, die Online-Werbenetzwerke für ihre Kunden erstellt, werden zu den wichtigen Partien Beamer und Bier herausgeholt. „Wir haben ein internationales Mitarbeiter-Team. Vor allem bei den Spanien- Spielen dürften die Reihen vor der Leinwand voll sein“, ist sich der Geschäftsentwicklungschef Dennis Kirschner sicher. Auch abends seien häufig noch viele Mitarbeiter im Haus – und jeder dürfe die Fußballspiele verfolgen, die er sehen wolle.

An vielen Arbeitsplätzen wird die Wahrheit also in den kommenden Wochen auf dem Platz respektive auf dem Bildschirm liegen. Für die Arbeitgeber ist die EM eine gute Gelegenheit, den täglichen Einsatz der Mitarbeiter mit ein paar freien Stunden Fußball zu wertschätzen. Denn nicht wenige Fußballfans sind unter ihnen. Und die wissen genau, wie das ist, wenn ein Match läuft – und man es nicht sehen kann.

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