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Wirtschaft: Damit haben die Banken nicht gerechnet

Im Boom glaubten die deutschen Geldinstitute an ewiges Wachstum – jetzt stellen sie fest, dass die meisten ihrer Kunden Otto-Normalsparer geblieben sind

Von Henrik Mortsiefer

In den Türmen der Frankfurter Großbanken gehen die Lichter nicht mehr aus. Es herrscht Hochbetrieb – vor allem in den oberen Etagen der Geldhochhäuser. Doch die hektische Betriebsamkeit täuscht: Es sind nicht die glänzenden Geschäfte, die die Banker auf Trab halten. Es ist die Angst.

Die lange als unangreifbar geltende deutsche Finanzbranche kämpft mit ihrer schwersten Krise. Börsencrash, Pleitewelle, Konjunkturflaute und Kostendruck setzen den Banken zu. Die Erträge brechen ein, die Reserven schmelzen, Ratingagenturen hegen Zweifel an der Bonität. Schwarzseher sagen: Selbst einige der Großen könnten unter der Last zusammenbrechen. „Dann wackelt die Republik", unkt ein Analyst. Der Druck auf die Vorstände wächst von allen Seiten: Ihre Aktien brechen ein, bei den Mitarbeitern wächst die Verunsicherung, die Kunden wandern ab.

In ihrer Not greifen die sonst für ihre Zurückhaltung bekannten Banker zu ungewöhnlichen Mitteln. Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller schreibt einen besorgten Brief an die Mitarbeiter, in dem er Liquiditätsprobleme der Bank von sich weist. Rolf E. Breuer, Ex-Vorstandssprecher der Deutschen Bank, tritt öffentlich Spekulationen über eine Bankenkrise in Deutschland entgegen. „Das war eine nette Imagekampagne", befinden Aktienhändler. Mehr war es nicht.

Zu kämpfen haben die deutschen Banken nicht nur gegen die widrigen Marktbedingungen. Ihr härtester Gegner ist die eigene Trägheit. In den fetten Jahren des Börsenbooms haben die Institute versäumt, ihre Strukturen anzupassen, Produkte zu vereinfachen und Kosten zu senken. „Die Großbanken haben jahrelang auf die falsche Strategie gesetzt und geglaubt, dass der Markt ewig wächst", sagt Reiner Hoock von der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Dabei haben sie – so paradox es klingt – ihre Kunden vernachlässigt. Denn als alle Sparer Aktien haben wollten und die Investmentbanker Börsengänge am Fließband abwickelten, mussten sich die Bankvorstände keine Gedanken darüber machen, wem sie eigentlich ihre Produkte verkauften. „Man hat geglaubt, den Ertrag pro Kunde beliebig steigern zu können", sagt Hoock. In ihrer Wachstumseuphorie hätten die Banken gehofft, dass mehr Berater in den Filialen auch automatisch mehr Geschäft bringen würden.

Nun, in der Flaute, rächt sich die Gedankenlosigkeit. Die Banken stellen fest, dass die meisten ihrer Kunden Otto-Normalsparer geblieben sind: Sie besitzen ein Girokonto und ein Sparbuch, und sie legen ihr Geld am liebsten in Lebensversicherungen an.

Für diese überschaubaren Kundenprofile ist der aufgebaute Vertriebs-Apparat viel zu groß und teuer geworden. Die Schere zwischen sinkenden Einnahmen – vor allem im Investment-Banking – und steigenden Kosten öffnet sich weiter. „Es gibt bei den deutschen Banken noch einen gewaltigen Anpassungsbedarf", glaubt Wolfgang Gerke, Inhaber des Lehrstuhls für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Wirklich überraschend kommt diese Entwicklung aber nicht. Nach einer Studie von Booz Allen Hamilton legten die Kosten bei den deutschen Großbanken schon zwischen 1992 und 2001 jährlich im Schnitt um elf Prozent zu. Die Erlöse stiegen dagegen im gleichen Zeitraum nur um sechs Prozent. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Investmentbank der Citigroup, Schroder Salomon Smith Barney, in einer aktuellen Untersuchung. Für die Jahre 2002 bis 2005 geht sie sogar nur noch von einem Einnahmenplus von jährlich vier Prozent aus. Im internationalen Vergleich sehen die deutschen Finanzriesen damit alt aus. Während bei ihnen auf 100 Euro Ertrag durchschnittlich 80 Euro an Kosten kommen, sind es im EU-Schnitt nur 60 Euro.

Bei ihrem Bemühen, diesen Rückstand aufzuholen, versuchen die Marktführer einen gewagten Spagat. Um die Kosten zu drücken, werden einerseits Tausende Mitarbeiter entlassen und Filialen geschlossen. Andererseits versucht die Geldbranche, die Kunden für neue Vertriebsformen wie Online- oder Automatenbanking zu gewinnen.

Dabei stoßen die Banken vor allem ihre ältere Stammkundschaft vor den Kopf, die sich daran gewöhnt hat, ihren „Bankbeamten" am Schalter um die Ecke vorzufinden. Aber auch die vermögendere Kundschaft, mit der sich schneller und mehr Geld als im Massengeschäft verdienen lässt, bereitet den Banken Probleme. Die Profitabilität des Geschäftsbereichs ist um bis zu 25 Prozent eingebrochen. Genossenschafts- und Nischenbanken genießen inzwischen einen durchweg besseren Ruf (siehe Grafik). Auch hier sind die Gründe hausgemacht: „Die Vermögensberatung war oft nur Vertriebskanal für die bankeigene Produktpalette", sagt Otto Bruderer, Teilhaber der Schweizer Privatbank Wegelin. Zu wenig für die anspruchsvollere Klientel. „Sie will künftig auch die Produkte anderer Banken zur Auswahl haben", sagt Bruderer. Großbanken, die das nicht anbieten, würden ihre Kunden an Finanzvertriebe oder Privatbanken verlieren. „Der deutsche Bankkunde ist ein scheues Reh." Erst, wenn er wieder das Gefühl bekomme, wirklich kompetent beraten zu werden, „ist er bereit, 15 statt fünf Kilometer bis zu seiner nächsten Filiale zu fahren“.

Auch im Firmenkundengeschäft sieht es nicht viel besser aus. Weniger als die Hälfte der kleinen und mittleren Unternehmen bescheinigt ihrer Hausbank, Beratung in hoher oder sehr hoher Qualität anzubieten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum. Oft fehle es den Beratern an Branchen-Know-how, Analysefähigkeiten und sozialer Kompetenz. Mit Blick auf die verschärften Eigenkapitalregeln bei der Kreditvergabe (Basel II) empfiehlt das Institut für Kredit- und Finanzwirtschaft den Banken dringend einen „Mitarbeiter-Check".

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