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Die Gasag ist raus. Vor einem Wohnhaus in Berlin-Moabit steht ein Hinweisschild des Versorgers: "Erdgas für Berlin".

© dpa

Das Berliner Gasnetz: Gasag und Steuerzahler verlieren

Die Vergabe des Berliner Gasnetzes an einen landeseigenen Nobody ist viel zu riskant, meint Udo Marin, Geschäftsführer des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI).

Im Fußball gibt es keine Kleinen mehr, heißt es. Anders auf dem Feld der Daseinsvorsorge: Hier haben wir bisher geglaubt, dass sich Kompetenz, Erfahrung und eine insgesamt hervorragende Reputation durchsetzen, wenn das Spiel auf der Kippe steht. Seit vergangenem Dienstag sind wir eines Besseren belehrt: Mit sagenhaften 311 von insgesamt 315 maximal zu vergebenen Punkten hat ein Nobody das Vergabeverfahren um das Gasnetz der Hauptstadt gewonnen: Berlin Energie schlägt die erfahrene Gasag, das ist – um beim Fußball zu bleiben – wie ein Sieg Andorras gegen den Weltmeister Spanien.

Udo Marin. VBKI-Geschäftsführer
Udo Marin. VBKI-Geschäftsführer

© Kai-Uwe Heinrich

So etwas ist bislang nicht vorgekommen. Sollte es doch einmal passieren, würde der Blick des Publikums unweigerlich auf den Schiedsrichter fallen. War das Vergabeprozedere wirklich fair? Oder hat der Finanzsenator dieses Ergebnis so gewollt? Tatsache ist, dass mit der sogenannten „Change of control“-Klausel ein Ausschreibungskriterium den Ausschlag gegeben hat, das von einem Privatunternehmen kaum zu erfüllen ist. Wer kann schon garantieren, dass sich an seiner Eigentümerstruktur in einem Zeitraum von zehn Jahren nichts ändert? Allenfalls Vater Staat.

Bei aller Sympathie für den Kleinen, die wir seit David gegen Goliath reflexhaft empfinden: Wie kann es sein, dass ein Unternehmen ohne Mitarbeiter und ohne Erfahrung scheinbar besser qualifiziert ist, das Netz zur lebenswichtigen Versorgung mit Energie und Wärme vorzuhalten. Jahrelang hat die Gasag unter Beweis gestellt, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen im Bereich der Daseinsvorsorge erfüllt – und dafür von allen Seiten auch zu Recht Applaus erhalten. Mit dem Votum von Dienstag zieht nicht allein die Gasag den Kürzeren. Denn der Richtungsentscheid überträgt finanzielle Risiken von einem Privatunternehmen auf uns Steuerzahler. Zwar wird uns versichert, dass der neue Netzbetreiber den Kaufpreis aus den zu erwartenden Erträgen finanzieren kann. Aber dieses aus dem US-amerikanischen Turbokapitalismus bekannte Heuschreckenmodell liefert keine Antwort auf die entscheidende Frage: Was passiert, wenn die Erträge sinken? Oder wenn die Kreditzinsen steigen? Kommt es hart auf hart, haften wir, die Steuerzahler.

Insofern ist das Beste an dieser Hauruckentscheidung: Sie ist nicht endgültig. Senat und Abgeordnetenhaus haben noch ein Wörtchen mitzureden. Nicht nur in der Opposition, auch in der Regierungskoalition aus SPD und CDU regt sich massiver Widerstand gegen den Ausgang des Verfahrens. Die Gasag behält sich den Rechtsweg vor. Das letzte Wort ist also nicht gesprochen – es bleibt Zeit, darüber nachzudenken, was wir wirklich wollen: Bewährte Qualität – oder einen mit Steuergeldern aufgeblasenen Scheinriesen.

Udo Marin ist Geschäftsführer des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI).

Udo Marin

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