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Wirtschaft: Das Brimborium von Seattle (Aus dem Wall Street Jounal)

Das Handgemenge in Seattle wurde weltweit im Fernsehen übertragen. Dabei war vor allem der Bericht über eine 21-jährige Bankkassiererin anrührend, die den Tränen nahe war.

Das Handgemenge in Seattle wurde weltweit im Fernsehen übertragen. Dabei war vor allem der Bericht über eine 21-jährige Bankkassiererin anrührend, die den Tränen nahe war. Sie prangerte die Gewalttätigkeiten an, weil im Protest gegen die Welthandelsorganisation (WTO) das Fenster ihrer Bank zerstört worden war. "Das ist meine Arbeit!", schluchzte sie. "Das ist mein Brot!" Wird den Aufrührern nachgegeben, ereilt das gleiche Schicksal Millionen anderer Menschen, die noch weniger Glück haben. Daher ist die Bankkassiererin eine Metapher dafür, was passiert, wenn Wirtschaft und Politik zulassen, dass Interessengruppen Einfluss auf den Handel nehmen.

Hank Greenberg, Chef der American International Group, John Pepper, Präsident von Procter & Gamble, und Robert Shapiro von Monsanto sollten sich mit der Kassiererin einmal unterhalten. Immerhin haben sie mit dazu beigetragen, dass überhaupt Heerscharen von Aktivisten nach Seattle gekommen sind. Denn die Herren haben einen Brief unterschrieben, der die Einrichtung von speziellen Arbeits- und Umweltschutz-Arbeitsgruppen bei der WTO unterstützt. Der Vorschlag stammte von US-Präsident Bill Clinton und sollte ein Zugeständnis an die Gewerkschaften sein, damit die die Verhandlungen nicht stören.

Natürlich gehören in Washington und anderen Landeshauptstädten Interessengruppen und ihre Lobbyisten zur politischen Tagesordnung. Doch hat vor einigen Jahren, vor allem seit dem Ende des Sozialismus, eine neue Entwicklung eingesetzt: Viele Menschen profitieren vom freien Handel, und die bislang geschützten Interessengruppen verlieren an Einfluss. Da sie ihre Interessen nicht im demokratischen Prozess wahren konnten, sind sie radikal geworden. In einer vernünftigen Welt würde das Seattle-Fiasko als letzter Trick von gescheiterten Protektionisten durchschaut werden, die ihre Haut retten wollen.

Doch leider werden die Arbeits- und Umweltschutzgruppen, die Seattle mit Steinen und Fäusten heimgesucht haben, jetzt von den US-amerikanischen Unternehmen und Politikern noch bestärkt. An erster Stelle von Bill Clinton, der die Demonstranten praktisch noch aufgefordert hat, nach Seattle zu kommen. Vor den Dienstags-Unruhen erzählte Clinton der Öffentlichkeit, dass "wir die Rolle und Interessen von Arbeit und Umweltschutz in unseren Verhandlungen stärken sollten".

Was bewog Politiker und Manager zu ihrem Vorgehen? Was Clinton bewegt, liegt auf der Hand. Im November 2000 sind in den USA Präsidentschaftswahlen. Und die US-Manager dürften geglaubt haben, dass sie mit dem Eintreten für Arbeitsschutz- und Umweltschutz-Gruppen der "Mobilisierung gegen Globaliserung" entgegenwirken könnten. Mit der Existenz von "Arbeitsgruppen" hat die Anti-Handelsbewegung einen Fuß in die Tür bekommen und die Chance, im freien Handel den Ton anzugeben. Denn sind Arbeits-Umweltschutz-Ausschüsse erst einmal eingeführt, wird man sie unmöglich wieder los. Bald werden sie alles bestimmen, angefangen von Mindestlöhnen bis zu Umweltschutzstandards, und damit alle Arten von Entwicklung verhindern.

Die Dritte Welt hat bereits Bedenken angemeldet. Und das ist richtig so. Warum sollten Entwicklungsländer, die verzweifelt um Wohlstand ringen, einen Vertrag unterzeichnen, der reichen Ländern das Recht gibt, ihnen hineinzuregieren - nur um die Interessengruppen der Ersten Welt zu beruhigen? Wie das Brimborium in Seattle zeigt, wird die WTO rasch die Institution von Aktivisten werden.Übersetzt und redigiert von Karen Wientgen.

Übersetzt, redigiert von Karen Wientgen.

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