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Wirtschaft: Das Buch, dessen Autor fast Schröder geworden wäre

Die beiden Herren, die im vergangenen Winter in der Downing Street Nummer 10 beim britischen Premier Tony Blair anklopften, kamen in diskreter Mission.Sie wollten, - sie mußten - das Geheimnis der britischen Linken lüften: erfolgreiche liberale Politik in rotem Gewande zu machen, ohne daß die Partei aufmuckt.

Die beiden Herren, die im vergangenen Winter in der Downing Street Nummer 10 beim britischen Premier Tony Blair anklopften, kamen in diskreter Mission.Sie wollten, - sie mußten - das Geheimnis der britischen Linken lüften: erfolgreiche liberale Politik in rotem Gewande zu machen, ohne daß die Partei aufmuckt.Um diesen Trick nicht nur zu erlernen, sondern ihn auch gleich zu protokollieren, hatte der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder den Kölner Journalisten Roland Tichy gebeten, ihn auf der Bildungsreise zu begleiten.

Gerhard Schröder wollte ein Buch schreiben: eine Bibel für die neue Mitte, das Manifest der modernen Wirtschaftspolitik.Im vergangenen Herbst heuerte er Tichy an, um den Plan in die Tat umzusetzen.Er nahm sich die Zeit, mit dem Mann zu besprechen, was das Grundgesetz der sozialdemokatischen politischen Ökomomie enthalten müsse: Tichy kaufte sich Woche für Woche eine Bahnfahrkarte, reiste nach Hannover zu Schröder.Beseelt kehrten sie von gemeinsamen Ausflügen zurück und gossen das Gehörte und Gesehene in Worte und Konzepte.Sie tranken Rotwein in Schröders Küche, erstellten Wertehierarchien und bauten die neue Welt."Im Modell waren wir uns einig", sagt Tichy.Aus dem ungleichen Gespann wurden Seelenverwandte auf Zeit.

Die Inhalte der künftigen Wirtschafts- und Regierungspolitik wurden eingekreist.Symbole ausgemacht, deren tatsächliche Bedeutung über den eigentlichen Sachverhalt hinausweisen sollte.Die Zwangsabgabe für Unternehmen, die nicht ausbilden, zum Beispiel: Wer die Abgabe wolle, glaube nicht mehr an den Sinn der deutschen Berufsausbildung, hatte Schröder dem Rivalen Lafontaine entgegengehalten.Er werbe um die Einsicht, daß Berufsausbildung den Unternehmen nütze.Das Konzept des Buches spiegelte diese Haltung.Ausbildung ohne den Knüppel des Staates - ein Inhalt, auf den sich Gerhard Schröder festlegte.

Der Grenzsteuersatz als weiteres Symobl: Ist ein System gerecht, das auch den Menschen der neuen Mitte unter Umständen mehr als die Hälfte ihrer Verdienste abknöpft? Ist ein System vernünftig, das alle Menschen in die Sozialversicherungen zwingen will, auch wenn die Bürger des Landes immer reicher und wohlhabender werden? Schröder sagte nein.Mehr Risiko hieße auch mehr Chancen, ruft der Autor des Buches seinen imaginären Lesern zu.

Denn als die neuen Grundsätze einer neuen Welt endlich aufgeschrieben waren, wollte Schröder nichts mehr von ihnen wissen.Im März 1998 hatte sich der niedersächsische Wahlsieger gerade wieder auf den anderen Weg gemacht: zurück in den Bauch der Partei, die er doch eigentlich hatte nach vorne bringen wollen.Die SPD hatte den mißratenen Sohn in Gnaden wieder aufgenommen und zum Kanzlerkandidaten gemacht.Unter einer Bedingung: keine Mätzchen.Schröder akzeptierte - und kapitulierte im Kampf um die Richtlinienkompetenz in der Wirtschaftspolitik.

Dabei hätte es so spannend werden können.Die Rivalen Schröder und Lafontaine in edlem Dichterstreit.Beide schreiben in diesem Winter 1997/98 an der Zulassungsarbeit, um Deutschland aus der Depression, die Sozialdemokratie ins kommende Jahrtausend und die eigene Person in das Bundeskanzleramt zu führen.Oskar Lafontaine setzt auf die Vertraute, Gerhard Schröder auf den Unbekannten.Lafontaines Koautorin wird seine Frau, die Volkswirtin Christa Müller.Schröders Mitschreiber dagegen der bayerische Volkswirt Tichy, eher eine Zufallsbekanntschaft, ein Sparringspartner aus der anderen Ecke des Rings, der Schröder zumindest eine Erfahrung voraus hat: Der 42jährige hat von 1982 bis 1985 im Kanzleramt gearbeitet, im Planungsstab von Bundeskanzler Helmut Kohl.Nach der Wiedervereinigung eilt der frühere Wirtschaftswoche-Korrespondent stracks in den Osten, um an der Seite Rudolf Mühlfenzls, dem CSU-Vertrauten und ehemaligen Intendanten des Bayerischen Rundfunks, das Ostfernsehen abzuwickeln.Er feuert ein paar tausend Redakteure und Sachbearbeiter und rettet DS Kultur, DT64 und das Rundfunksinfonieorchester des Ostens, verläßt dann Berlin, um vorübergehend Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins "impulse" zu werden.

Kein Wunder, daß die Bonner SPD-Zentrale das Treiben des munteren Duos mit großer Skepsis verfolgte.Der Kandidatenanwärter dürfe sich nicht auf Wirtschaft festlegen, meckerten die Genossen, er müsse die Partei in allen Fragen da abholen, wo sie gerade sei.

Schröders Wahlkampfberater Bodo Hombach, heute Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, hatte den genialen Einfall: Er erfand für die Forderungen einer Partei, die das nicht wollte, was der Kandidat dachte, und die Vorstellungen des Kandidaten, der von der "Scheißpartei" die Nase schon voll hatte, bevor sie ihn aufgestellt hatte, den kleinsten gemeinsamen Nenner: "Wahlkampf ohne Inhalte"."Sie stellten Schröder die Schuhe von Willy Brandt hin und sagten: Wachse da rein", sagt Tichy.Menschliche Wärme wurde von dem ehrgeizigen Niedersachsen verlangt, Verständnis für sozialdemokratische Romantik von dem Mann, dem der Industrieadlige Ferdinand Piëch der Inbegriff erfreulicher Manieren und schöner Lebensart ist.

Schröder durfte nach der Niedersachsenwahl zwar Kandidat werden, aber die Regie der Wirtschafts- und Finanzpolitik sicherte sich Lafontaine.Das Buch "Keine Angst vor der Globalisierung" erschien und verblüffte Feind und Freund.Lafontaine und Müller vertreten einen fröhlichen Keynesianismus, wonach es mit etwas mehr Regulierung schon gelingen müsse, die Märkte zu zähmen, es sich mit der Globalisierung kommod zu machen und auch die Arbeitslosen von der Straße zu bekommen."Lafontaine traf die Seelenlage der Partei", urteilt Tichy.Schröders Interesse an Aufgeschriebenem unter seinem eigenen Namen erlahmte indes schlagartig und starb, als Lafontaine die Druckfahnen mit einem Vermerk zurückschickte: nicht mehrheitsfähig.Schröder begrub das Projekt eiligst - obwohl es sich schon glänzend verkaufte, bevor es überhaupt auf dem Markt war.Immerhin 15 000 Interessenten wollten das Werk über eine moderne sozialdemokratische Wirtschaftspolitik kaufen.

In den nächsten Tagen erscheint ein Buch zum Preis von 39,80 DM.Es heißt "Ab in die neue Mitte", wird vom Hamburger Verlag Hoffmann & Campe gedruckt, der Autor ist Roland Tichy.Einer der ersten Leser des 250 Seiten starken Werks war der niedersächsische Ministerpräsident und SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder.Er fand es richtig gut.Das ist kein Wunder.Beinahe wäre er der Autor des Bandes gewesen.

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