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Wirtschaft: Das Erbe des Konditors

Eine kleine Manufaktur in Wilmersdorf produziert seit mehr als 90 Jahren edle Schokolade – und hat damit großen Erfolg

Berlin - Der alte Herr hat keine Eile. „Ich habe extra meinen Zug nach Freiburg verpasst“, erzählt er, und lässt den Blick noch einmal genussvoll über die wandhohen Glasvitrinen voller Schokoladentüten, -tafeln, und -beutel schweifen. Vier Tafeln Bitter, dreimal Mokkabohnen und einige Stangen bröselige Borkenschokolade lässt sich Franz Nitsche in den Rucksack packen, während die Kunden hinter ihm geduldig warten, bis sie selbst an der Reihe sind. Bei „Erich Hamann“ werden sie noch persönlich bedient. Und auch sonst ist in der Schokoladenmanufaktur in Berlin-Wilmersdorf noch fast alles wie 1928.

Um es gleich vorwegzunehmen: Etwas anderes käme für Geschäftsinhaber Gerhard Hamann, den Adoptivsohn des Gründers, auch nie in Frage. „Wir sind etwas hinter dem Mond, aber das ist Absicht“, sagt der 72-Jährige und fast schwingt eine Warnung mit, ja keine Nachfragen hinterherzuschicken. Die Frage zum Beispiel, warum die weiße Verpackung mit dem blauen Schriftzug auch heute noch immer das gleiche Design hat wie vor dem Zweiten Weltkrieg, als das Geschäft seine Blütezeit erlebte. Oder warum der Verkaufsraum an der Brandenburgischen Straße 17 unverändert ist, seit ihn der bekannte Bauhaus-Architekt Johannes Itten mitsamt dem Stammhaus Ende der zwanziger Jahre errichtet hat. Damals war das modern, heute wirkt es wie ein Museum der Gebrauchskultur. Und Geschäftsinhaber Hamann, ein dünner, freundlich-distanzierter Herr in dunkelblauem Pullover und grauer Flanellhose, ein bisschen wie der Museumswärter.

Sollen sie doch groß und größer werden, die Schokoladen-Giganten dieser Welt, die Lindt & Sprünglis, Ferreros, Stollwercks und Ritter Sports, die schon im September die Regale der Kaufhäuser mit ihren Weihnachtstafeln, -männern, und -trüffeln in immer neuen Geschmacksrichtungen bestücken. Sollen sie doch produzieren, was das Zeug hält, um die knapp neun Kilogramm Schokolade, die jeder Deutsche durchschnittlich pro Jahr vernascht, in ausreichender Menge liefern zu können. Sollen sie den größten Brocken der 4,2 Milliarden Euro einstreichen, die die Schokobranche im vergangenen Jahr in Deutschland umgesetzt hat. Gerhard Hamann ist das egal. Beliefert wird nur der Fachhandel, nach seinen eigenen Regeln. „Wir haben absolut keine Ambitionen, größer zu werden“, sagt er, um das ein für allemal klarzustellen.

Es war um das Jahr 1912, als der Konditor Erich Hamann auf die Idee kam, „bittere Schokoladen“ zu produzieren. „Der Sohn eines kinderreichen Memeler Reeders und Kapitäns“, wie es in der kleinen Firmengeschichte heißt, machte sein erstes Geschäft in der Kurfürstenstraße auf, in der Nähe einiger Privatschulen. Die Schülerinnen die dort jeden Tag vorbeispazierten, wurden seine ersten Kundinnen. Es müssen noch viele andere hinzugekommen sein, denn schon wenige Jahre später baute Hamann eine Fabrik am Kurfürstendamm, eröffnete bis 1935 sechs weitere Läden in besten Berliner Lagen und beschäftigte 60 Mitarbeiter. Die Firmenchronik zeichnet den gebürtigen Ostpreußen nicht nur als erfolgreichen Geschäftsmann, sondern auch als liebenswürdigen Zeitgenossen. „Ob ein Prinz zu ihm kam oder ein Hausdiener, ob eine Gräfin oder ein bescheidenes Mütterchen, er machte keine Unterschiede, keine Bücklinge, aber auch keine Abweisung. Ihm war jeder Kunde lieb.“ Doch dann kam der Krieg, der dem Chocolatier nicht nur die Rohstoffe und das Personal raubte, sondern auch die Hoffnung. 1949 starb er. Seine Frau machte weiter.

Durch die Backstube im ersten Stock weht der dezente Duft dunkler Schokolade, eine Mitarbeiterin rührt die warme Masse, in einem Hinterzimmer walzt ein Konditor Marzipan. Die Rohschokolade kommt heute alle 14 Tage in großen Blöcken aus Belgien, die Marzipanmasse aus Lübeck. Doch gefertigt – und verpackt – werden Rumkonfekt, Schoko-Sterne und hauchdünne Täfelchen noch immer ausschließlich von Hand. Über die Rezepte ist nicht mehr in Erfahrung zu bringen, als dass sie original sind. „Darüber redet man nicht“, sagt Gerhard Hamann.

Die wachsende Lust der Verbraucher auf edle Bitterschokolade kommt ihm entgegen. Mit zwölf Mitarbeitern setzt er heute bis zu einer Million Euro pro Jahr um. Vorne im Laden herrscht seine Frau Ingrid, hinten sorgt Gerhard Hamann mit Sohn Andreas dafür, dass genügend Nachschub produziert wird. Noch immer steht der Chef zweimal in der Woche selbst an der alten Granitwalze, um Borkenschokolade zu produzieren. „Zart und bröckelig“, sagt er. Wie es sich eben gehört.

Maren Peters

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