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Wirtschaft: "Das Gesetz ist ein Fiasko für den Arbeitsmarkt"

HAMBURG/DÜSSELDORF (sm/AP/HB)."Das Gesetz muß weg!

HAMBURG/DÜSSELDORF (sm/AP/HB)."Das Gesetz muß weg!" Mit diesen Worten brachte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (DZV), Volker Schulze, die Stimmung in den betroffenen Wirtschaftszweigen nach der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung auf den Punkt.

Bei einem Gespräch mit der sozialpolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Birgit Schieber-Jastram, hatten zuvor Experten von Arbeitgeberverbänden, Industrie, Handel und Handwerk sowie aus den Bereichen Hotels, Gaststätten und Gebäudereinigung über die bisherigen Erfahrungen mit der Neuregelung der 630 DM-Jobs berichtet, die am 1.April 1999 in Kraft getreten ist.

Demnach herrscht nicht nur bei Arbeitgebern und betroffenen Arbeitnehmern Ratlosigkeit über den Inhalt und die praktische Umsetzung des Gesetzes.Auch die Finanzämter und die Krankenkassen als Einzugsstellen der Sozialbeiträge seien vielfach nicht in der Lage, das Gesetz fristgerecht umzusetzen.Dadurch sei eine große Unsicherheit entstanden, klagten die Experten.Viele Arbeitgeber wüßten nicht, mit welchen Personalnebenkosten sie kalkulieren müßten, die Arbeitnehmer hätten keine Klarheit über ihre Netto-Verdienste.

Von denjenigen Arbeitnehmern, die sich einen Überblick über die neuen Abgaben verschafft haben, würden viele ihre Jobs kurzfristig aufgeben, berichteten die Praktiker.Nach den bisher bekanntgewordenen Kündigungen rechne er damit, daß 35 Prozent der Zeitungszusteller kündigten, sagte Schulze.Von "Beschäftigungseinbrüchen" berichtete auch Anne Dohle vom Zentralverband des Deutschen Handwerks.Die Hälfte der geringfügig Beschäftigten bei Bäckern, Friseuren oder Fleischern gäben ihren Job auf.Im Einzelhandel seien 150 000 Arbeitsplätze gefährdet, im Gebäudereinigerhandwerk über 700 000, hieß es weiter.

Viele Mitarbeiter seien nur noch zur Weiterarbeit bereit, wenn sie "unter der Hand" entlohnt würden oder der Arbeitgeber ihnen den bisherigen Lohn netto garantiere.Dies führe aber abgesehen von der immensen Bürokratie zu einer Steigerung der Arbeitskosten um 22 bis 35 Prozent, die in laufende Aufträge nicht einkalkuliert seien.Günstiger sei die Beschäftigung von Beamten und vor allem von deren Ehefrauen.Solche Arbeitskräfte stünden aber für viele geringqualifizierte Tätigkeiten nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung, bedauerte ein Arbeitgeber.Die Experten erwarten eine neue Kündigungswelle, wenn Anfang Mai die Löhne aufgrund der Neuregelung ausgezahlt würden und den Betroffenen das Ausmaß der zusätzlichen Abgaben klar werde.

Schnieber-Jastram versprach, die Union werde sich weiter um die Anliegen der geringfügig Beschäftigten und ihrer Arbeitgeber kümmern.Sie forderte die Regierung erneut auf, die Neuregelung bis zu einer grundlegenden Reform des Niedriglohnbereichs auszusetzen.Dazu habe die Union eine Postkarten-Protestaktion gestartet.FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle kündigte eine Kampagne seiner Partei gegen das "Job-Killer-Programm" der Regierung bei der geringfügigen Beschäftigung und der Regelung der sogenannten Scheinselbständigkeit an.

Die Bundesregierung kündigte unterdessen an, die heftig kritisierten Gesetze zu den 630-Mark-Jobs und zur Scheinselbständigkeit würden noch einmal überdacht.Kanzleramtsminister Bodo Hombach sagte dem Sender NTV am Sonntag, es gelte der Grundsatz, daß "gründlich abgeprüft wird, welche Auswirkungen davon auf den Arbeitsmarkt ausgehen".Außer Zweifel stehe, daß Mißbrauch abgeschafft werden müsse.Es habe aber auch zu Fehlentwicklungen geführt, die man nicht wolle, sagte Hombach.Einer Umfrage zufolge halten deutlich mehr als zwei Drittel der Deutschen die Neuregelung der 630-Mark-Jobs für nachbesserungsbedürftig.In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Dimap im Auftrag der "Bild"-Zeitung und des Mitteldeutschen Rundfunks erklärten nur zehn Prozent der Befragten, sie hielten die Neuregelung der 630-Mark-Jobs für gelungen.85 Prozent der 1100 Befragten waren der Ansicht, es müsse verbessert werden.Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erklärte, die Regierung kuriere unter anderem bei den 630-Mark-Jobs nur an Symptomen.

Hombach sagte, wegen des Problems der Scheinselbständigkeit werde sich die Regierung mit den Berufsverbänden zusammensetzen und Kriterien für die Unterscheidung zwischen Scheinselbständigkeit und normaler Selbständigkeit ausarbeiten.

Der Zentralverband des Bäckerhandwerks sieht in der Regelung eine "beschäftigungspolitische Katastrophe".Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Eberhard Groebel, schrieb in der "Bild am Sonntag", die Neuregelung sei "für viele betroffene Arbeitnehmer eine Verurteilung zur Arbeitslosigkeit".Tausende Mitarbeiter, die sich in ihrer Freizeit etwas dazu verdienen wollten, hätten resigniert und ihre Nebenjobs aufgegeben, weil diese sich nicht mehr lohnten."In Handwerk und Einzelhandel sowie im Hotel- und Gaststättenbereich ist es bereits zu erheblichen Einschränkungen der Dienstbereitschaft gekommen", erklärte Groebel.Allein in Bäckereien hätten rund 25 000 Mitarbeiter ihre Nebentätigkeit aufgegeben und damit die Betriebe in den Abendstunden und am Wochenende, in schwerste Verlegenheit gebracht.Das neue Recht sei arbeitsmarktpolitisch verheerend und sozialpolitisch unsinnig.Im Bäckerhandwerk würden dadurch weitere Rationalisierungen auch bei Vollzeitarbeitsplätzen notwendig.

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