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Wirtschaft: Das Girokonto für jedermann

Wer nicht mehr bargeldlos zahlen kann, ist schnell in seiner Existenz bedroht. Betroffene sollten von ihrer Bank ein spezielles Guthabenkonto fordern

Es gibt Dinge, die sind so selbstverständlich, dass man sie erst zu schätzen weiß, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Das gilt auch für das Girokonto. Ohne Konto dazustehen wird schnell existenzbedrohend. Wer zum Beispiel eine neue Wohnung oder einen neuen Arbeitsplatz sucht, muss beim Vertragsschluss ein Girokonto angeben. Trotzdem gibt es in Deutschland nicht wenige Menschen, die ohne Konto auskommen müssen.

In Deutschland gelten etwa drei Millionen Haushalte als überschuldet. Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit – viele Gründe führen dorthin. Wenn die Gläubiger erst einmal Geld vom Konto pfänden, geht meist gar nichts mehr. Es ist von heute auf morgen gesperrt, die Banken kündigen die Geschäftsbeziehung auf. Stromlieferanten und Telefonunternehmen drohen mit Leistungsentzug, weil die fälligen Monatsbeiträge nicht mehr abgebucht werden können – ein Teufelskreis. Das weiß auch Kerstin Altendorf vom Bankenverband: „Banken und Sparkassen haben sich bereits vor zehn Jahren überlegt, wie sie auch sozial Schwächeren einen Zugang zu einem Girokonto ermöglichen können. Daraus ist die Empfehlung der Kreditwirtschaft entstanden, ein Guthabenkonto für alle Bevölkerungsschichten einzurichten.“

Diese Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses, in dem die meisten öffentlichen und privaten Banken Mitglieder sind, kam 1995 auf politischen Druck zustande. Das so genannte Girokonto für jedermann wird auf reiner Guthabenbasis geführt. „Konkret heißt das: Sie haben einen ganz normalen Zugang zu einem Konto“, erklärt Kerstin Altendorf. „Sie können überweisen, sie können am Automaten Geld abheben, sie können unter bestimmten Voraussetzungen auch mit ihrer Bank-Kundenkarte an EC-Terminals bezahlen. Aber sie können das Konto nicht überziehen.“

Alle zwei Jahre berichtet die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag, ob das Bankengewerbe seine Versprechungen wahr gemacht hat. Doch der jüngste Bericht ist alarmierend und ernüchternd zugleich. „Für die Bundesregierung steht fest, dass sich die Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses aus dem Jahr 1995 zum Girokonto für jedermann in der Praxis nicht in dem gewünschten Umfang bewährt hat“, heißt es darin. Zwar behaupten die Banken, seither 1,9 Millionen Konten für jedermann geschaffen zu haben. Dieser Zahl misstraut die Regierung allerdings. Denn die Datenerhebung bei den Banken lasse nicht den eindeutigen Schluss zu, dass die Konten wirklich zugunsten armer Bevölkerungsschichten eingerichtet wurden. Schätzungen des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung zufolge stehen in der Bundesrepublik mehrere hunderttausend Menschen ohne Girokonto da. Das wiederum bestreiten die Banken.

Fest steht, dass in der Bundesrepublik jeden Monat 350 000 bis 370 000 Kontopfändungen erfolgen. Dafür müssen die Banken teures Personal abstellen. Das halten sie vielfach für unzumutbar und kündigen die Girokonten. Die Bundesregierung will deshalb noch in diesem Jahr das deutsche Pfändungsrecht reformieren. Ein Ziel soll sein, dass Gläubiger die Konten der Schuldner nicht mehr völlig lahmlegen können.

Den derzeit von einer Kontoschließung betroffenen Bürgern hilft das allerdings nicht weiter. Sie brauchen sofort Hilfe. Das wissen auch die Kreditinstitute, die Kunden auf das Schlichtungsverfahren des Bankengewerbes verweisen. Bei den privaten Banken ist das über den Bankenombudsmann zu erreichen. Im Internet (siehe Infokasten) gibt es ein Beschwerdeformular, das ausgefüllt werden muss. „Beschwerden rund um das Girokonto für jedermann werden bevorzugt behandelt“, so Kerstin Altendorf vom Bankenverband. „Sie sollten innerhalb von ein, zwei Monaten entschieden sein.“

Die Bundesregierung moniert allerdings, dass es in einzelnen Fällen viel zu lange dauere, bis die Schlichtungsverfahren abgeschlossen sind. Außerdem sind die Schiedssprüche der Bankenombudsleute bislang für die einzelnen Banken nicht rechtsverbindlich. Selbst wenn der Schlichter also zu dem Ergebnis kommt, dass die Bank das Konto zu Unrecht gekündigt hat, muss das Institut das Konto nicht wieder eröffnen. Wem das passiert, der sollte sich allerdings bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht über das Geschäftsgebaren der Bank beschweren – oder einen Anwalt einschalten. Denn kein Konto zu haben, geht ans Portemonnaie: Bei monatlich acht Barüberweisungen, so die Rechnung der die Bundesregierung, fallen jährlich im Schnitt 480 Euro an Bankgebühren an.

Marcus Creutz

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