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Rarität. Edelsüße Weine, deren Früchte besonders lange am Rebstock geblieben sind, wird es aus diesem Jahrgang nur wenige geben. Diese Traube hängt nahe Ürzig an der Mosel. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Das Glück der späten Traube

Bis zu 50 Prozent Ernteverluste hatten Winzer dieses Jahr. Gute Weine sind dennoch zu erwarten – etwa unter den Spätburgundern.

Die deutsche Weinlese 2013? Reines Glücksspiel. Hans-Oliver Spanier, ein renommierter Winzer aus Rheinhessen, formuliert sogar noch viel dramatischer, was er diesmal erlebt hat: „Wir haben uns bei der Lese gefühlt wie ein Surfer auf Monsterwellen vor Kawuai“, schreibt er in seinem Erntebericht. „Die Kunst bestand immer darin, exakt vor dem Wellentunnel zu surfen, keine Fehler zu machen und immer etwas vorauszudenken. Beim kleinsten Fehler wäre man im Tunnel verschwunden und die Welle hätte einen verschluckt.“ Die „Freude, noch einmal glimpflich davongekommen zu sein“, teilt er vermutlich mit den meisten deutschen Qualitätswinzern. Doch der viel beschworene „Goldene Oktober“ ist ausgefallen.

Was war passiert? Erst kein Glück, dann auch noch Pech – so ließe sich das Weinjahr 2013 beschreiben. Es begann mit kältebedingt verzögerter Blüte, die zudem durch viel Regen beeinträchtigt wurde, was vor allem die Burgundersorten dezimierte. Das Wetter blieb durchweg instabil bis zum dramatischen Ende um den 10. Oktober herum, als die Welle durch die deutschen Weinregionen rollte:  Massive Regengüsse über Tage in exakt jener Periode, die spät reifenden Sorten wie dem Riesling den entscheidenden Kick gibt – wenn es trocken bleibt.

In diesem Jahr aber goss es wie aus Kannen, und das auch noch bei relativ hohen Temperaturen. Das bedeutet: Wasser setzt sich in den kompakt gewachsenen Trauben fest, wo dann die von Wärme begünstigte Fäulnis gedieh. Die Lese wurde zu einer Art Massenpanik. Spanier: „Dauerte die heiße Phase der Weinlese in 2012 noch sieben Wochen, so hatten wir 2013 weniger als drei Wochen zur Verfügung.“ Verzweifelt suchten die deutschen Winzer alle verfügbaren Erntehelfer zusammen und räumten alles aus den Weinbergen heraus, so schnell es ging. Immerhin gab es diesmal keinen Essigstich wie im Katastrophenjahr 2006, als eine Art Monsunregen zur Lese durch die Weinberge fegte.

Wer dennoch die Nerven behielt, wurde mit schnell fortschreitender Reife belohnt, musste aber rigide selektieren, um die Fäulnis aus dem Most herauszuhalten, was Mengeneinbußen bis zu 50 Prozent bedeutete. Es wird also zwar sehr gute Weine geben, aber nicht viel davon. Die Mostgewichte liegen bei probaten 85 bis 90 Grad Öchsle, die Säurewerte bei angenehmen, etwas überdurchschnittlichen zehn Promille; die 2010 nahezu flächendeckend eingesetzte Entsäuerung ist diesmal kaum ein Thema.

Man rechne mit fruchtbetonten Weinen mit mäßigem Alkoholgehalt, sagte DWI-Geschäftsführererin Monika Reule; dies sei jene Richtung, die der Markt auch verlange. Edelsüße Weine, deren Trauben besonders lange am Stock bleiben müssen, werden extrem rar sein.

Aber so ist das nun einmal beim Wein. Durch Klimawandel und kellertechnische Neuerungen sind komplett ausgefallene Jahrgänge kaum noch zu befürchten. Aber: „Es wäre anmaßend zu glauben, dass ein Naturprodukt Jahr für Jahr Weltklasse sein sollte“, betont der Winzer und Weinblogger Dirk Würtz. Für ihn ist der Jahrgang 2013 „nicht einfach“, aber auch nicht so problematisch wie 2000, 2006 und 2010.

Ernst Büscher, der Sprecher des deutschen Weininstituts, hat jetzt erste Zahlen vorgelegt. Demnach wurden diesmal etwa 8,4 Millionen Hektoliter geerntet, sieben Prozent weniger als 2012, neun Prozent unter dem langjährigen Mittel. Im Detail kamen Rheinhessen, Franken, Sachsen, Ahr und Saale-Unstrut unter dem Strich sogar auf eine Durchschnittsmenge, während alle anderen Anbaugebiete schlechter abschnitten, die von Hagel massiv geschädigte Mosel sogar mit einem Minus von 25 Prozent.

Relativ günstig sieht es vor allem dort aus, wo die früh reifende, vor allem von den Genossenschaften gepflegte Müller-Thurgau-Rebe eine große Rolle spielt, denn die wurde überwiegend vor der Regenperiode gelesen. Auch bei den Rotweinsorten, vor allem beim Spätburgunder, ist das meiste offenbar rechtzeitig in die Keller gekommen.

Generell wird es wohl darauf hinauslaufen, dass einfache, früh gelesene und kellertechnisch geglättete Weine wie immer reichlich verfügbar sind, während Spitzenqualitäten rarer werden – und, natürlich, teurer. Nicht wenige deutsche Top-Winzer befürchten deshalb, dass sie vor allem auf den eben erst geknackten Auslandsmärkten wieder an Boden verlieren, weil andere Exportländer in die Lücke springen könnten.

Die österreichischen Winzer kommen dafür indessen wie schon in den letzten Jahren kaum infrage, denn deren Ernte 2013 wurde durch Regen und Hagel schon während der Blüte massiv dezimiert. Auch in Südtirol war das Wetter 2013 schlecht, doch konnten dort die Trauben überwiegend vor dem Oktoberregen eingebracht werden.

Die Sorgen der deutschen Weinexporteure treffen allerdings auf einen angespannten Markt, über den zum Teil widersprüchliche Prognosen in Umlauf sind. Analysten der Bank Morgan Stanley haben vor wenigen Tagen vorhergesagt, dass der Wein auf der Welt langsam knapp werde: „Die Nachfrage wird unseren neuesten Daten zufolge das Angebot in den kommenden Jahren nicht befriedigen können“, hieß es. Das liegt nicht am Wetter, sondern daran, dass steigende Nachfrage vor allem in China und Amerika auf weltweit eher schrumpfende Anbauflächen stößt.

Laut Morgan Stanley geht die Erzeugung von Wein schon seit etwa acht Jahren deutlich zurück, und zwar vor allem dort, wo am meisten angebaut wird: In Italien, Frankreich und Spanien. 2012 brach die Produktion um fünf Prozent ein, auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren. Der Grund dafür ist nicht ganz klar. Überwiegend liegt es wohl an Flächenstilllegungen, während sich Zusammenhänge mit Klimaänderungen nicht nachweisen lassen. Die große Ausnahme ist China, wo die Weinanbaufläche innerhalb von zehn Jahren nahezu verdoppelt wurde. Das Land wird schon heute zu den zehn führenden Weinerzeugerländern gezählt.

Aktuell scheint sich die Morgan-Stanley-Prognose indessen nicht zu bewahrheiten. Denn die Organisation für Rebe und Wein (OIV) in Paris, ein zwischenstaatlicher Verband, rechnet damit, dass die Produktion 2013 weltweit um neun Prozent auf 281 Millionen Hektoliter ansteigt, während im gleichen Jahr 245 Millionen Hektoliter getrunken werden – dieser Konsum sei seit Beginn der Finanzkrise nicht mehr erreicht worden. OIV-Generaldirektor Federico Castellucci sprach von einem „generell guten“ Jahr. Sicher ist indessen nur: Die Vorräte gehen weltweit immer weiter zurück.

Deutschland liegt unter den Weinproduzenten mit seinen durchschnittlich neun Millionen Hektolitern weltweit auf Platz neun, liegt aber beim Import hinter den USA und Großbritannien auf dem dritten Rang – das Land verbraucht ungefähr doppelt so viel, wie es selbst erzeugt.

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