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Wirtschaft: „Das hat sich sicher angehört“

Wer vor Jahrzehnten einen Job bei der alten Bundespost antrat, fürchtet jetzt um seine Zukunft

Berlin - Um sechs Uhr morgens, als die ersten Streikposten kommen und das weiße Tuch mit der Aufschrift „Jetzt! Arbeitskampf“ über den gusseisernen Balkon im zweiten Stock hängen, ist es noch bitterkalt auf der Hauptstraße in Schöneberg. Doch um neun stehen die rund 160 streikenden Telekom-Mitarbeiter auf der Sonnenseite vor dem alten Backsteinbau mit der goldenen Aufschrift „Postamt“. Sie stehen in kleinen Gruppen, unterhalten sich, einige trinken Kaffee oder Cola. Die weiße Fahne mit dem roten Verdi- Emblem steht an der Toreinfahrt gelehnt, daneben ein Plakat: „Heute Warnstreik“. Niemand schwenkt Fahnen, niemand schreit Parolen. Die beiden Polizisten haben nichts zu tun, außer zwischen den Streikenden einen Weg für die Passanten freizuhalten, die kein Interesse zeigen.

Nur Betriebsrat Günter Schleicher hat sich ein provozierendes gelbes Schild um den Hals gehängt: „Kündigung zwecklos, Sklaven müssen verkauft werden“. Er versucht zu erklären, warum niemand laut und wütend ist. „Die Menschen sind nicht gewohnt, dass der Arbeitgeber so mit ihnen umgeht“, sagt er. Die Mitarbeiter hätten in der Vergangenheit schon eine Menge mitgemacht. Sie hätten kürzeren Arbeitszeiten und weniger Lohn zugestimmt sowie auf Weihnachtsgeld verzichtet, um Jobs im Konzern zu retten. Und dennoch sei immer weiter Personal abgebaut worden. „Wir werden immer weniger jetzt“, sagt Schleicher. „Die Kollegen sind frustriert, nicht aggressiv. Sie verstehen nicht, warum sie jetzt in eine GmbH gehen sollen.“ Und noch einen Grund nennt er für den eher gemächlichen Protest: „Wir sind nicht die Jüngsten. Bei uns liegt das Durchschnittsalter bei 47 Jahren. Die meisten haben noch bei der Bundespost angefangen.“

Daran erinnert heute nur noch der Standort: Im Vorderhaus sitzt die Post, hinten im Hof die Telekom. Die Mitarbeiter hier gehören zum Bereich technische Infrastruktur, sie verlegen Kabel. Nur heute nicht. Seit ihrer Privatisierung im Jahr 1995 hat die Deutsche Telekom jedes Jahr im Schnitt 10 000 Mitarbeiter abgebaut. Und hat nach Meinung des Managements und des Kapitalmarktes noch immer zu viele Leute an Bord. Zu viele und zu teure Mitarbeiter, weswegen die Telekom nun noch einmal 50 000 Mitarbeiter in neue Servicegesellschaften ausgliedern will, wo sie länger arbeiten sollen, bei weniger Lohn. Die Gewerkschaft hat an diesem Tag in Berlin an drei Standorten in der Hauptstraße, Köpenicker Allee und Ringbahnstraße zum Warnstreik aufgerufen. Etwa 300 Mitarbeiter sind dem Aufruf insgesamt gefolgt, urlaubsbedingt weniger als von Verdi erhofft.

„Die Ausgliederung, das ist doch nur der erste Schritt“, sagt der 56-jährige Bodo T. „Wir haben Angst, dass wir verkauft werden. Bei den Callcentern haben sie auch vorher gesagt, das wird nicht passieren. Aber es ist passiert.“ Seit 40 Jahren arbeitet er bei der Telekom und hat dabei das Schicksal eines Kollegen vor Augen. Der sei Diplom-Ingenieur und kam in die Telekom-eigene Personalgesellschaft Vivento. Heute arbeitet er in einem der Callcenter, die die Telekom verkauft hat. Der Tariflohn dort liege bei 5,11 Euro die Stunde. „Man muss doch von dem Geld, das man verdient, auch leben können“, klagt der Vater von drei Kindern.

„Die Deutsche Post, das hat sich sicher angehört“, sagt sein Kollege Martin S., der vor 20 Jahren bei der Vorgängerin der heutigen Telekom angefangen hat. Auch heute arbeite er immer noch gerne dort. „Aber es wird langsam schwer, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren.“ Er sage eigentlich nicht mehr gerne, dass er bei der Telekom arbeite. Dann fingen alle an, von ihren Problemen mit dem DSL-Anschluss zu erzählen. Der 36-Jährige kritisiert, dass die Mitarbeiter weniger Geld bekommen sollen, die Aktionäre aber die gleiche Dividende wie im Vorjahr. „Die Telekom macht ein Plus von 19 Milliarden Euro: Wir sind nicht zu teuer“, meint er. Es gebe einfach zu viel Bürokratie im Unternehmen. Die internen Abläufe seien ineffizient. Da nicken die Kollegen.

Die Mitarbeiter, die an diesem Morgen auf der Hauptstraße stehen, sind sich bewusst, dass sie – noch – zu den gut verdienenden zählen. Sie haben Angst, dass sie nach 17 Umstrukturierungen, die sie miterlebt haben, der nächsten zum Opfer fallen werden. Sie glauben, dass Konzernchef René Obermann und seine Manager die Sache falsch anpacken, dass man einen besseren Service nicht erreicht, wenn man die Mitarbeiter schlechter bezahlt. „Ich glaube nicht, dass unser Protest den Vorstand von seinem Vorhaben abbringen wird“, sagt Helmut V. „Aber wir wollen ein Zeichen setzen, dass wir nicht alles mit uns machen lassen.“

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