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Wirtschaft: "Das Haus brennt"

Der Arbeitsmarkt-Experte und Berater des Bündnisses für Arbeit, Wolfgang Streeck, hat die rotgrüne Koalition zu einem Kurswechsel in der Beschäftigungspolitik aufgefordert. Um die Arbeitsplatz-Potenziale für einfache Tätigkeiten auszuschöpfen, müsse es eine Senkung der Sozialbeiträge im unteren Lohnbereich geben, sagte Streeck dem Tagesspiegel.

Der Arbeitsmarkt-Experte und Berater des Bündnisses für Arbeit, Wolfgang Streeck, hat die rotgrüne Koalition zu einem Kurswechsel in der Beschäftigungspolitik aufgefordert. Um die Arbeitsplatz-Potenziale für einfache Tätigkeiten auszuschöpfen, müsse es eine Senkung der Sozialbeiträge im unteren Lohnbereich geben, sagte Streeck dem Tagesspiegel. Zudem solle die Regierung an Stelle der wenig wirksamer Modellprojekte im Niedriglohnbereich flächendeckende Maßnahmen einführen, um die Arbeitslosigkeit zu senken. "Das Haus brennt, da kann man nicht mit Löschmitteln experimentieren", so Streeck. Eine Senkung der Sozialbeiträge für einfache Tätigkeiten schaffe mindestens dreimal so viele Jobs wie eine generelle Senkung der Beiträge für alle.

Die Arbeitsmarkt-Reformen seit dem Amtsantritt von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hätten kaum Wirkung gezeigt, kritisierte Streeck. "Bis zur Bundestagswahl werden Arbeitslosigkeit und Sozialbeiträge wieder auf das Niveau von 1998 steigen", erklärte Streeck. Statt mit der Ökosteuer die Löcher der Rentenkasse zu füllen, hätte die Koalition dieses Geld für eine Senkung der Sozialbeiträge einsetzen sollen.

Streeck, am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung tätig, sieht eine Beschäftigungslücke im unteren Lohnbereich. "Oberhalb der 630-Mark-Grenze lohnt sich eine legale Tätigkeit für Unternehmer und Beschäftigte wegen der Steuern und Abgaben erst ab Gesamt-Arbeitskosten von rund 2400 Mark", sagte er. "Die Sozialbeiträge wirken wie eine Beschäftigungssteuer, die oberhalb von 630 Mark mit mehr als 40 Prozent sofort wirksam wird. Besser wäre es, die Beiträge langsam ansteigen zu lassen, ähnlich der Einkommensteuer."

Derzeit gebe es unterhalb von 2400 Mark Arbeitskosten zunehmend Schwarzarbeit. "Gelänge es, diese Jobs zu legalisieren und beitragspflichtig zu machen, wären die Probleme der Sozialversicherung fast schon gelöst", erklärte Streeck. Ein derartiges Umsteuern im Niedriglohnbereich könnte laut Streeck "einen Gründerboom auslösen, vor allem im Dienstleistungsbereich".

Er begrüßte die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, die bis zu einem Lohn von 1800 Mark die Beiträge zur Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung staatlich bezuschussen wollen. Die Gewerkschaften und Teile der SPD sperren sich jedoch dagegen. Die Kosten für einen Kurswechsel lägen in einer Größenordnung, die durch Umschichtungen im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit erwirtschaftet werden könnten. Von den Modellprojekten im Niedriglohnbereich hält Streeck wenig. "Es war von Beginn an klar, dass sie zu bürokratisch und zu unattraktiv für die Unternehmer sind. Deshalb funktionieren sie nicht."

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