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Wirtschaft: Das Internet sucht seinen Schutzpatron

Der Vatikan fahndet nach dem perfekten Heiligen für das Netz: Der Erzengel Gabriel ist einer der Favoriten

Von Daniel Williams

Der Erzengel Gabriel ist einer der kommunikationsfreudigsten Boten des Christentums, wenn es um die Kontaktaufnahme zu den Erdbewohnern geht: Der Bibel zufolge war er es, der Maria die Botschaft brachte, dass sie Jesus gebären werde. Da ist es nicht weiter erstaunlich, dass sein Name zuerst fiel, als die Suche nach einem Heiligen für das Internet begann. Bei einer Abstimmung, die von einer katholischen Organisation in Norditalien durchgeführt wurde, stand Gabriel in der vergangenen Woche an sechster Stelle: Hinter einem Märtyrer aus dem 20. Jahrhundert, einem Erzieher und einem Herausgeber, beide im 19. Jahrhundert geboren, einem Missionar aus dem 18. Jahrhundert und einer Nonne aus dem 13. Jahrhundert, die Visionen an ihre Zellenwand projiziert sah.

Auf der Webseite www.santiebeati.it kann jeder bei der Wahl des Schutzpatrons für das Internet mitmachen. Bis Ostern soll einer gefunden sein. Erstaunlich ist, dass die Internetgemeinde ganz wild darauf ist, endlich himmlischen Schutz zu erhalten: „Wir erhielten so viele Anregungen, dass wir dachten, das Internet sei das beste Mittel, um einen Heiligen zu finden“, sagt Roberto Diani, ein Berater der italienischen Bischofskonferenz. Die offizielle Auswahl wird dann von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramente des Vatikan getroffen.

Trotz aller neumodischen Methoden: Mit der Abstimmung folgen die Organisatoren einer uralten Tradition. Jahrhunderte lang kamen die Christen in den Dörfern und Städten zusammen und ernannten einen heiligen Helden und Schutzpatron. Später bestimmten die Päpste die Regeln für die Heiligsprechung, aber die Vorschläge kamen immer noch von der Basis. Auch jetzt benennen die Katholiken noch Heilige, allerdings für Berufe und aus Gründen, die man sich vor tausend Jahren wahrlich nicht hätte vorstellen können. So haben kürzlich die Motorradfahrer ihren eigenen Heiligen bekommen: den heiligen Kolumban, einen irischen Mönch aus dem Mittelalter, der durch Europa wanderte und Klöster gründete. Er landete schließlich im italienischen Bobbio, wo schon die Fahrradfahrer ihn zu ihrem Patron machten.

Papst Johannes Paul II hat Schutzheilige ernannt, um die religiöse Verbundenheit einzelner Berufszweige zu fördern. Im Oktober 2000 erklärte er den heiligen Thomas Morus zum Schutzpatron der Politiker. Morus war ein Freund König Heinrichs VIII, stellte sich jedoch gegen die Scheidung des Monarchen. Das führte zur Enthauptung des Heiligen, zur Gründung der anglikanischen Kirche und Heinrichs Selbsternennung als deren Oberhaupt. Das wiederum löste den Bruch zwischen England mit Rom aus. Nach Ansicht des Oberhauptes der katholischen Kirche soll Thomas Morus den Politikern als Vorbild dienen, auch im politischen Geschäft den religiösen Überzeugungen treu zu bleiben. So forderte er unlängst unter Hinweis auf Thomas Morus die katholischen Politiker auf, sich gegen die Abtreibung einzusetzen.

Die Jagd nach einem Heiligen für das Internet ist ein weiterer Höhepunkt in dem Boom, den die Heiligsprechungen im Pontifikat des jetzigen Papstes erfahren. Es kann keine Rede mehr sein von „The saints are marching in“, wie es in dem alten Lied heißt – die Heiligen marschieren nicht mehr, sie strömen geradezu herein. In den vergangenen 25 Jahren hat der Papst 465 Heiligsprechungen vorgenommen, also „ausgereifte“ Heilige formal in den Stand der Heiligkeit erhoben und 1297 Seligsprechungen vollzogen, also Menschen in den Stand der „Seligen“ erhoben, die in der katholischen Hierarchie direkt unter den Heiligen stehen. Im Vergleich dazu wurden in den ganzen 400 Jahren zuvor insgesamt nur 447 Menschen heilig und 1310 selig gesprochen worden. „Hier steht eine beliebte Tradition in voller Blüte, um es einmal vorsichtig auszudrücken“, sagt Severio Gaeta, Heiligenexperte des katholischen Magazins Famiglia Cristiana.

Auch dieses Jahr wird es keinen Rückgang geben. Der Papst plant, etwa 30 Menschen auf die Straße zur Heiligkeit zu schicken. Die bekannteste unter ihnen, Mutter Teresa, soll im Oktober selig gesprochen werden. Sie hat ihr Leben damit verbracht, sich im verarmten Indien um Sterbende zu kümmern. Ihre Mission gefällt dem überkirchlich engagierten Papst besonders: Mutter Teresa stammte aus Albanien, einem überwiegend muslimischen Land und diente in einem überwiegend hinduistischen Land.

Unter denen, die das Oberhaupt der katholischen Kirche in diesem Jahr selig sprechen wird, sind auch ein Missionar aus dem 19. Jahrhundert, der in China und ein Bischof, der im Sudan arbeitete. Die Seligsprechungen erfolgen in einer Zeit, in der der Papst versucht, die Kontrolle über die katholische Kirche in China wiederzugewinnen, wo die kommunistische Partei das päpstliche Vorrecht an sich riss und ihre eigene Landeskirche gründete. Im Sudan tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg zwischen Moslems und Christen. Vertreter des Vatikan weisen jedoch die Kritik zurück, bei der Auswahl der Heiligen spiele Politik eine Rolle. „Es gibt diese Spekulationen, aber die Liste ist so vielfältig, wer kann das sagen?“, sagt Msgr. Robert Sarno, Mitglied der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsverfahren im Vatikan.

Die frühen Christen reservierten den Stand der Heiligkeit für Märtyrer. Während mehr als dreihundert Jahren römischer Herrschaft war das Christentum verboten, die Ausübung des Glaubens wurde mit dem Tode bestraft. Nachdem jedoch der römische Kaiser Konstantin im Jahre 313 das Christentum zur offiziellen Religion des Imperiums erhob, war es nicht mehr das Martyrium, sondern die Tugend, die den Weg zur Heiligsprechung ebnete. „Tugendhaftigkeit war eine Heldentat“, sagt Msgr. Sarno. „Heilige waren Vorbilder, denen man nacheiferte, um einen Weg zu finden, die Botschaft Christi zu leben.“

Vor 30 Jahren wurde in der Ruhmeshalle der Heiligen gründlich ausgemistet. Diejenigen, deren Wirken lediglich Legende schien und nicht durch historische Tatsachen zu belegen war, verloren ihren Status. Den hl. Christophorus, den Patron der Reisenden, traf es damals auch: die Geschichte, dass er das Jesuskind über einen Fluss getragen habe, wurde bezweifelt. Taxifahrer in der ganzen katholischen Welt merkten plötzlich, dass sie ihre Sicherheit in die Hände von jemandem gelegt hatten, den die Kirche nicht anerkannte.

Das Internet-Rennen um einen Heiligen wurde in der vergangenen Woche noch mit 29 Prozent der Stimmen von Giacomo Alberione, dem Gründer eines großen katholischen Verlagshauses, der in diesem Jahr selig gesprochen werden soll, angeführt. Unter den ersten sechs sind auch der Erzengel Gabriel, der heilige Johannes (Don) Bosco, Gründer des Salesianer-Ordens, der sich die Erziehung verwahrloster junger Menschen zur Aufgabe gemacht hatte. Außerdem Alfons Maria von Liguori, ein Bischof und Verfasser religiöser Bücher, oder Maximilian Kolbe, ein polnischer Priester und Missionar, der den Gebrauch technischen Fortschritts zur Verbreitung des Evangeliums befürwortete. Und natürlich die heilige Klara von Assisi, die Visionen an der Wand ihrer Klosterzelle sah – und deshalb bereits Schutzheilige des Fernsehens ist.

Daniel Williams

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