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Wirtschaft: „Das ist der Lackmus-Test für die Koalition“

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, über Franz Müntefering, Mindestlöhne und 3,80 Euro in der Stunde

Der Koalitionsausschuss beschäftigt sich heute mit dem Thema Mindestlohn. Was erwarten Sie von der Runde?

Ich erwarte einen Durchbruch auf dem Weg zur Neuordnung des Niedriglohnsektors. Es ist ein Jahr her, dass eine Arbeitsgruppe beim Bundesarbeitsministerium angekündigt wurde. Ein Resultat gibt es bisher nicht. Mein Eindruck ist, dass die Union nach wie vor blockiert, aber dass Franz Müntefering weiterkommen will – mindestens bei der Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen. Aber das darf nicht alles sein. Denn in vielen Branchen haben wir so niedrige Löhne, die nicht tariflich geregelt sind, dass uns das Entsendegesetz da nicht hilft. Da brauchen wir gesetzliche Mindestlöhne.

Um welche Branchen geht es?

Für Postdienste und die Zeitarbeit liegen zwei Tarifverträge beim Arbeitsminister, die nach dem Entsendegesetz für allgemein verbindlich erklärt werden sollten. Und dann hat er eine Liste mit Dienstleistungsberufen, die vom Entsendegesetz erfasst werden sollten. Das geht von den Verkäuferinnen im Einzelhandel bis hin zur Land- und Forstwirtschaft.

Bisher gab es in der Koalition keine Einigung. Welche Brücken könnte man bauen?

Das weiß ich nicht. Die Union sagt, mit ihr wird es keinen einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn geben. Aber sie ist offenbar bereit, branchenspezifische Lösungen zu akzeptieren. Die Union wird versuchen, den Kombilohn durchzusetzen. Ich kann nur davor warnen, das als dauerhaftes Modell zu installieren. Dann übernimmt nämlich der Staat für die Arbeitgeber die Lohnzahlungen. Das kann es nicht sein.

Das Bundeswirtschaftsministerium kann sich vorstellen, Hartz IV zu einer Grundsicherung umzubauen und so eine Lohnuntergrenze einzuziehen. Was halten Sie davon?

Hartz IV liegt bei 345 Euro netto. Ich lasse jetzt mal die Mietzahlungen, Heizung et cetera weg. Wir sind für einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro, das wären im Monat rund 950 Euro netto. Die Differenz ist groß. Wer Hartz IV als Lohnuntergrenze ansieht, verhöhnt die Betroffenen. Gerade die Union sagt ja, die Leute, die arbeiten, sollten mehr verdienen als die, die nicht arbeiten.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger schlägt einen Mindestlohn von 4,50 Euro und Zuschüsse für Geringverdiener vor.

Das geht überhaupt nicht. Denn um auf 7,50 Euro zu kommen, müsste der Staat drei Euro pro Stunde zuschießen. Das ist in einer Marktwirtschaft weder richtig noch notwendig. Aber ein anderer Vorschlag von Bofinger ist interessant. Er will den Beziehern von niedrigen Einkommen die Sozialabgaben erlassen. Das sind 22 Prozent vom Brutto, das ist viel. Im Niedriglohnbereich würde das wirklich helfen. Jemand der 1000 Euro brutto verdient, dem würde man 220 Euro Sozialabgaben erlassen, so dass er auf 1000 Euro netto käme. Aber 4,50 Euro pro Stunde ist völlig undenkbar. Das weiß Bofinger im Prinzip auch. Er hat versucht, eine Brücke zwischen SPD und CDU zu schlagen, aber die Brücke ist leider eingestürzt.

Aber Brücken braucht es in Zeiten der großen Koalition schon, oder?

Ja, natürlich. Deswegen sind wir ja bereit, über eingeschränkte und zielgerichtete Kombilohnmodelle zu reden. Wir halten auch die Aktion 50 plus für richtig, wenn auch nicht für ausreichend: Wir brauchen nicht 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer, sondern mindestens 800 000. Aber auf keinen Fall brauchen wir die Weiterführung des Modells Hartz IV plus Minijob, bei dem in der Kombination mit Schwarzarbeit gut verdient wird, aber der Staat die Hauptlohnzahlung übernimmt.

Wie kommen Sie eigentlich auf 7,50 Euro?

Aus dem internationalen Vergleich ergibt sich das. Frankreich und Großbritannien liegen drüber, Spanien liegt leicht drunter. Wenn Sie das Mittel der 21 EU-Staaten mit Mindestlöhnen nehmen, sind Sie mit 7,50 Euro eher an der Untergrenze.

14 dieser 21 EU-Staaten haben Mindestlöhne unter 7,50 Euro.

Der Maßstab müssen führende Industrieländer sein.

In den USA gibt es auch einen Mindestlohn, der liegt umgerechnet bei vier Euro.

Der wird gerade kräftig auf rund sechs Euro aufgestockt. Hinzu kommt: In den USA ist es auch üblich, dass man zwei oder drei Jobs hat, um über die Runden zu kommen. In Europa sollte man mit einer Vollzeitbeschäftigung von seiner Hände Arbeit leben können.

Mehrere Wirtschaftsverbände warnen, ein Mindestlohn werde Behinderte, schlecht ausgebildete Arbeitnehmer, jugendliche Berufsanfänger, Frauen mit Hinzuverdiensten und Arbeitnehmer in Ostdeutschland vom Arbeitsmarkt verdrängen.

Man sollte nicht alles in einen Topf schmeißen. Für Problemgruppen braucht man Sonderprogramme, die über die Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. Ich rede über etwas anderes. Ich rede über Menschen, die keine Behinderung haben und trotzdem mit 3,80 Euro nach Hause gehen, wie das in Thüringen als Friseur der Fall ist. Man zwingt die Menschen wegen geringer Arbeitseinkommen so zur Schwarzarbeit.

Was macht denn der Friseurbetrieb in Thüringen, der eben nicht mehr Lohn zahlen kann, weil die Geschäfte schlecht laufen?

Man wird über unterschiedliche Lohnstufen nachdenken müssen, aber erst, wenn der Mindestlohn im Grundsatz beschlossene Sache ist. Und man wird auch in Thüringen etwas mehr für den Friseur zahlen müssen. Häufig wird vor einer Abwanderung der Kunden ins Ausland gewarnt. Ich kenne nicht viele Leute, die sich im Ausland die Haare schneiden lassen. Diese unmenschlich niedrigen Löhne sind kein ostdeutsches Phänomen. Ich habe hier einen Haustarifvertrag einer Zeitarbeitsfirma aus Wuppertal, unterzeichnet von einer christlichen Gewerkschaft, wo eine Arbeitnehmerin 4,81 Euro verdient. Das darf es nicht geben.

Und was machen die Gewerkschaften, wenn es im Koalitionsausschuss keine Einigung zwischen CDU und SPD zum Mindestlohn und zu Niedriglöhnen gibt?

Wir werden weiter drücken. Wir werden unsere Kampagnen fortsetzen und zu Demonstrationen aufrufen. Aber ich mache jetzt keine Drohgebärden, weil ich auf eine Einigung hoffe. Die SPD und auch Franz Müntefering persönlich stehen bei uns im Wort. Das ist der Lackmustest, ob diese Bundesregierung überhaupt auf die Arbeitnehmer eingeht oder nur gegen sie Politik macht wie bei der Gesundheitsreform oder der Unternehmensteuerreform. Im Moment spielt die Koalition Mikado: Wer sich bewegt, hat verloren. So kann es nicht weitergehen.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

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