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Wirtschaft: Das Jahr der Fusionen geht zu Ende

DÜSSELDORF ."In Deutschland wäre so etwas nie möglich.

DÜSSELDORF ."In Deutschland wäre so etwas nie möglich." Deutsche Manager reagierten mit hochgezogenen Augenbrauen und Kopfschütteln, als ihre amerikanischen Kollegen in den 80er Jahren begannen, mit oft unfeinen Methoden die Unternehmenslandschaft umzupflügen.Mittlerweile hat die kreative Zerstörung die Bundesrepublik erreicht: Fusionen, Entflechtungen und Umstrukturierungen gehören zum Alltag.

Mannesmann mausert sich zum Kommunikationsunternehmen, die Preussag mutiert zum Touristikkonzern, Daimler-Benz fusioniert mit Chrysler, Siemens will sich von Geschäftsfeldern mit 17 Mrd.DM Jahresumsatz trennen, die Deutsche Bank übernimmt die achtgrößte Bank der USA, Hoechst wird zerschlagen und geht zusammen mit Rhône-Poulenc in der Neugründung Aventis mit Sitz in Straßburg auf.

Amerikanische Verhältnisse sollen gleichwohl nicht einkehren.Die Öffentlichkeit wird mit Erklärungen beschwichtigt, daß zwar gehobelt werde, aber keine Späne fliegen müßten.Es bleibt der Verdacht, daß alles nur ein Spuk aus Managergrößenwahn und Globalisierungsmode sein könnte, der bald wieder verfliegt.Die amerikanische Erfahrung zeigt, daß der Wandlungsprozeß in der Wirtschaft nicht auf einen neuen Normalitätsstatus zustrebt.Der permanente Wandel ist vielmehr Normalität.Was die Bundesrepublik in dieser Hinsicht bislang im Unternehmenssektor erlebte, ist erst der Anfang.

Die Umwälzung in der US-Firmenlandschaft begann Anfang der 80er Jahre.Die Reagan-Regierung schuf neue politische Rahmenbedingungen, indem sie Märkte und Kapitalströme liberalisierte, Steuern senkte, den Kartellwächtern die Zähne zog und die Gewerkschaften entmachtete.Zudem machte sie die Aufnahme von Schulden steuerlich attraktiv - und durch das eigene Beispiel salonfähig.Im Handumdrehen entwickelte sich die Spezies der "Corporate Raiders", Übernahmeartisten, die sich über Risikoanleihen mit Milliardenkrediten versorgten und auch Großkonzerne mit Versuchen der feindlichen Übernahme überzogen.

Die wilden Jahre endeten mit dem Börsenkrach von 1987, dem Zusammenbruch des Marktes für Risikoanleihen und der Inhaftierung einiger der Hauptakteure.Aber die strategische Priorität von Verschlankung und Fokussierung auf wettbewerbsstarke Kernbereiche blieb.Seit Anfang der 90er Jahre sprengen freundliche Fusionen, Ausgründungen und Betriebsverkäufe alle vorherigen Größenordnungen.

Der größte Zwang zur Umstrukturierung ging für US-Unternehmen vom heimischen Markt aus.Das gleiche gilt auch für deutsche Firmen im Bezug auf Europa.Beileibe nicht alle unternehmerischen Kraftakte in den USA waren erfolgreich.Mehr als die Hälfte - einige Experten behaupten drei Viertel - aller Fusionen ging daneben.Auf der anderen Seite sind die Lehren, die in Deutschland aus den US-Umwälzungen gezogen werden, oft von Vorurteilen geprägt.

Keineswegs werden US-Arbeitnehmer immer über Nacht und ohne soziale Abfederung entlassen.Großkonzerne wie IBM, Telekom-Marktführer AT & T, Ölmulti Exxon, Autobauer General Motors oder Filmhersteller Kodak stellten Milliarden für Sozialpläne bereit.Nachdem sich die Unternehmen neu konstituiert hatten, folgten den Entlassungswellen umfangreiche Neueinstellungen, oft für höher qualifizierte Jobs.

Kann oder soll der Staat den Zwang zur Anpassung lindern? Die Antwort in den USA lautet grundsätzlich nein.Trotz der Überzeugung, daß jede staatliche Einmischung den Änderungsprozeß verzerrt und den Willen zur Selbstbehauptung schwächt, werden auch in den USA Firmen oft falsch reglementiert oder subventioniert.Arbeitnehmern greift der Staat befristet mit Arbeitslosengeld unter die Arme, aber er versagt, wo es um Hilfen zur Fortbildung geht.Deshalb folgt der Entlassung oft der soziale Abstieg.

Das US-Modell versagt, wo es um mehr Hilfe zur Selbsthilfe geht.Der deutsche Weg führt ins andere Extrem, indem es offiziellen Funktionsträgern überlassen wird, soziale Gerechtigkeit und Zumutbarkeit für alle zu definieren und zu regeln.Um wettbewerbsfähig zu bleiben, so lehrt das amerikanische Beispiel, müssen sich Unternehmen und ganze Branchen radikal verändern.Dabei werden in großem Stil Arbeitsplätze vernichtet, aber auch neue geschaffen.Der Staat kann diesen Anpassungsprozeß nicht verhindern, sondern nur verschleppen oder verzerren.JENS ECKHARDT (HB)

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