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Wirtschaft: Das neue Maß

Zu leicht, zu leer, zu teuer: Verpackungen halten oft nicht, was sie versprechen. Nun macht es Brüssel den Verbrauchern noch schwerer

Berlin - Chaos im Supermarkt: Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, soll es künftig keine festen Verpackungsgrößen mehr geben. Schokolade könnte es dann auch als 95-Gramm-Tafel geben, Orangensaft in der 230-ml-Flasche. Die Brüsseler Bürokraten wollen so einen Beitrag zur Vereinfachung und Liberalisierung leisten, die Minister der Mitgliedsländer sind einverstanden. Gestritten wird nur noch über Details.

Verbraucherschützer schlagen deshalb Alarm. Sie fürchten, dass der Wegfall verbindlicher Verpackungsgrößen zu versteckten Preiserhöhungen führen wird. „Die Packungen werden kleiner, aber der Preis bleibt gleich“, befürchtet Sylvia Maurer vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Den Kunden falle das zunächst nicht auf. „Wer immer dieselbe Packungsgröße kauft, geht selbstverständlich davon aus, dass Preis und Inhalt gleich bleiben“, sagen die Verbraucherschützer.

Doch dieses Vertrauen wird oft enttäuscht – auch schon heute. Kaum etwas sorgt so sehr für Ärger wie Tricksereien bei Verpackungen. Denn die Abzocke hat Methode. Nach Informationen des Bundeswirtschaftsministeriums enthalten sechs Prozent der Produkte, die eine feste Gewichtsangabe haben (Fertigverpackungen), weniger als auf der Packung angegeben. Spitzenreiter ist Speiseöl. Hier ist im Schnitt jede fünfte Flasche oder Dose zu leicht, weist die jetzt vom Ministerium veröffentlichte Füllmengenstatistik 2004 aus. Neuere Zahlen gibt es nicht. Bei Waren mit schwankenden Gewichtsangaben wie Gemüse oder Fleisch hätte sogar jedes siebte bis achte Produkt nicht verkauft werden dürfen.

„Viele Unternehmen kassieren zu Unrecht, ohne Sanktionen befürchten zu müssen“, kritisiert vzbv-Chefin Edda Müller. Der Grund: Die Gefahr, erwischt zu werden, ist gering. Nur 47 000 Kontrollen führen die Mess- und Eichämter im Jahr durch. Aber selbst dann, wenn ein Unternehmen ertappt wird, droht nur ein Bußgeld von maximal 10 000 Euro. Eine wirksame Abschreckung ist damit nicht verbunden.

Zweites Ärgernis: Mogelpackungen. Die Packung sieht gleich aus, es ist jedoch weniger drin. „Wenn Verbraucher plötzlich ihre gewohnte Eissorte in einem 900-Milliliter-Behälter statt in der bisherigen 1000-Milliliter-Verpackung zum gleichen Preis in der Tiefkühltruhe finden, fühlen sie sich hinters Licht geführt“, heißt es bei der Verbraucherzentrale (VZ) Hamburg.

Seit einiger Zeit sammeln die Hamburger Verbraucherschützer Fälle. Inzwischen melden sich auch viele verärgerte Kunden bei ihnen und beschweren sich. Auf der VZ-Liste finden sich prominente Namen: der US-Konsumgüterriese Procter & Gamble, der statt 250 Milliliter jetzt nur noch 200 Milliliter in die Shampooflaschen von Herbal Essences packt – zum gleichen Preis. Oder der Filtertütenhersteller Melitta, der statt 100 jetzt nur noch 80 Filtertüten in die Schachtel steckt. Schlemmerfilets, Müslis, Kaffee – 53 Produkte finden sich auf der aktuellen Liste. Auch Eishersteller wie Langnese und Mövenpick, die ihre Eispackungen um 100 Milliliter verkleinert haben, tauchen dort auf.

Erste Anbieter haben jetzt auf die Vorwürfe der Verbraucherschützer reagiert. So hat Unilever (Langnese, Iglo) versprochen, die neue Füllmenge auf der Verpackung herauszustellen. Das reicht, um sich gesetzeskonform zu verhalten. Noch einen Schritt weiter geht die Drogeriemarktkette Rossmann, die den Preis für ihre Milasan-Säuglingsmilchnahrung nach Verbraucherprotesten senkt.

Dennoch: „Die bisherigen Erfahrungen lassen Schlimmes befürchten, wenn künftig auch noch die festen Verpackungsgrößen aufgehoben werden“, warnt Sylvia Maurer, die sich seit Jahren mit Produktkennzeichnung und -sicherheit beschäftigt. Für viele Produktgruppen – darunter Bier, Limonade, Fischstäbchen, Eis, Sonnenschutzmittel, Seife oder Mehl – gelten heute noch verbindliche Verpackungsgrößen, und zwar meist mehrere. Allein bei Schokolade dürfen Milka und Co. zwischen neun verschiedenen Verpackungsgrößen wählen; ähnlich ist es zum Beispiel bei Malzbier. Doch der Wirtschaft reicht das nicht. Sie will die völlige Freigabe, und sie hat die Politik hinter sich.

In Brüssel sind sich EU-Kommission und -Rat weitgehend einig. „Im Allgemeinen sollen die Füllmengen für Fertigverpackungen freigegeben werden, lediglich für Wein und Spirituosen sollen sie weiterhin verbindlich festgelegt werden“, heißt es bei der Kommission. Selbst Kaffee und Zucker sollen von festgelegten Füllmengen frei bleiben. Dagegen hatte das Europaparlament gefordert, dass wenigstens bei Grundnahrungsmitteln wie Salz, Reis, Milch, Butter, Teigwaren und Kaffee die festen Verpackungsgrößen beibehalten werden sollen.

Im September sollen die Arbeiten in Brüssel weitergehen, dann ist noch einmal das Parlament am Zug. Vor 2008, glaubt man bei der EU-Kommission, sei mit einer endgültigen Verabschiedung der Richtlinie nicht zu rechnen. Noch hoffen Verbraucherschützer, das Schlimmste abwenden zu können. Sonst heiße es in deutschen Supermärkten eines Tages: „Darf’ s ein bisschen weniger sein?“

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