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Johannes Reich, Vorstandsmitglied im Frankfurter Bankhaus Metzler.

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Dax bei 10.000 Punkten: "Es wird anstrengender am Aktienmarkt"

Der Dax hat es geschafft: 10.000 Punkte. Geht es weiter nach oben? Johannes Reich, Vorstandsmitglied im Frankfurter Bankhaus Metzler, deutet im Tagesspiegel-Interview den vermeintlich magischen Börsenrekord.

Der Deutsche Aktienindex ist am Donnerstag nach der erneuten Lockerung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals fünfstellig. Was bedeutet die Marke von 10.000 Punkten? 

Das ist natürlich ein neuer Rekord. Aber in erster Linie ist es ein Symbol, eine psychologische Schwelle. Die Schönheit einer runden Zahl sozusagen. Sie besagt nichts über weitere Chancen oder Risiken am Aktienmarkt.

Überrascht Sie die Entwicklung an der Börse?

Nein. Ende 2013 waren wir schon nicht weit weg von den 10.000. An wichtigen Grundlagen für die Entwicklung der Aktien hat sich wenig geändert.

Welches sind im Detail die Gründe, die die Kurse seit fast fünf Jahren treiben?

Auch wenn die Staatsschulden- und Strukturkrise in der Eurozone längst nicht überwunden ist: Die Weltwirtschaft und die europäische Wirtschaft haben sich erholt, sehr viele deutsche Unternehmen haben sich hervorragend entwickelt, ihre Gewinne und Reserven sind gestiegen. Aber von überragender Bedeutung ist der heftige Rückenwind, den die Zentralbanken der Börse seit geraumer Zeit verleihen. Die Politik des extrem billigen Geldes hat dafür gesorgt, dass Liquidität im Überfluss vorhanden ist. Und dass die künstlich gedrückten Renditen für festverzinsliche Anlagen im Verhältnis zu ihrem Risiko unattraktiv sind.

Wer hat die Kurse nach oben getrieben? Privatanleger? Großanleger? In- oder Ausländer?

Auch wenn jetzt 10.000 auf der Dax-Tafel stehen: Es gab in den letzten Jahren und es gibt auch heute keinen Run auf deutsche Aktien. Die Umsätze an der Börse waren und sind eher unterdurchschnittlich. Es gab und gibt  vergleichsweise wenige Verkäufer und nur etwas mehr Käufer. Es gab und gibt kaum Börsengänge. Der deutsche Privatanleger war und ist eher nicht beteiligt. Gekauft haben Institutionelle: Publikumsfonds, große Vermögensverwalter, Staatsfonds und Unternehmen und das vorwiegend aus dem Ausland. Deutsche Aktien gelten jenseits der Grenze als attraktiv. Auch weil Deutschland innerhalb der Eurozone als sicherer Hafen gilt.

Bringt der Börsenaufschwung etwas für die Altersvorsorge, privat wie betrieblich?

Natürlich nur dann, wenn man für die Altersvorsorge privat oder betrieblich in Aktien angelegt hat. Sonst wohl kaum. Leider sparen Private in Deutschland immer noch zu wenig in Aktien. Auch Versicherungen und nicht wenige Pensionskassen sind oft sehr zurückhaltend. Anleihen erscheinen als bevorzugtes und sicheres Investment. Obwohl das auf lange Sicht nicht gerechtfertigt ist. Die Aktienquote bei deutschen Versicherungen liegt bei fünf Prozent und weniger, bei Pensionskassen ist es oft auch nicht viel mehr. Die Teilnahme am Produktivvermögen der Volkswirtschaft, also an den Unternehmen, findet in Deutschland kaum statt. In den USA liegt die Aktienquote deutlich im hohen zweistelligen Prozentbereich, manche Pensionskassen setzen dort vorwiegend auf Aktien.

Der Dax ist ein Performance-Index, er schließt Dividenden mit ein. Überzeichnet das die Entwicklung?

Die Debatte kann man führen, wenn man möchte. Natürlich ist der reine Kurs-Index noch deutlich von seinem Allzeit-Hoch entfernt. Inwieweit dies beim Vergleich internationaler Aktienindizes von Relevanz ist, muss jeder Investor und Marktbeobachter für sich entscheiden.

Wie sind die Perspektiven für den Dax? Marschiert die Börse weiter - bis auf 11.000?

Eine konkrete Prognose etwa für das Jahresende werden sie von mir nicht hören. Aber solange die Zentralbanken in Europa, in den USA und in Japan an der Politik des billigen Geldes festhalten und die Zinsen weiter drücken, spricht das für Aktien. Die Notenbanken tun - auch auf politischen Druck hin - so gut wie alles, um die Zinsen unten zu halten. Schaut man sich die Probleme vieler Regierungen in Europa an, kommt man zum Schluss, dass dies noch recht lange so weitergehen könnte. Aber es wird gleichwohl anstrengender am Aktienmarkt, auch weil es für die Unternehmen schwieriger wird, weiter steigende Gewinne einzufahren. Die Konkurrenz auf den Weltmärkten wird härter. Die großen Wirtschaftsblöcke beharken sich immer intensiver. Es wird schwieriger, Aktien zu bewerten. Unabhängig davon sind externe Ereignisse nie auszuschließen. Probleme im Banken- oder Immobiliensektor etwa in China hätten sicher Auswirkungen, auch eine weitere militärische Eskalation in der Ukraine oder möglicherweise im aktuellen Konflikt zwischen Vietnam und China.

Zwischen 2000 und 2003 sind die Kurse dramatisch abgestürzt. Droht möglicherweise ein ähnliches Szenario?

Die Situation ist nicht vergleichbar. Die Konjunktur war damals im Abschwung,  der Aktienmarkt war massiv überbewertet, wir hatten eine Technologie-Blase. Da sind wir heute nicht. Und nicht zu vergessen: Die gesellschaftliche und politische Krise nach dem Schock des 11. September 2001. Die Terror-Anschläge waren ein traumatisches Ereignis. Seitdem greifen die Zentralbanken bei jeder Krise massiv ein: Sie öffnen die Geldschleusen und das in enger Absprache. Das hat sich seit 2008 immer wieder gezeigt. Sie tun dies zunehmend fremdbestimmt und unter dem Druck von Politikern, die die Zentralbanken faktisch in Haft genommen haben. Dem falsch verstandenen ‚Primat der Politik’ entspringt damit eine nicht mehr verstandene Scheinökonomie mit gefährlichen Scheinblüten. Das macht Sorgen, auch wenn es am Aktienmarkt aktuell keine Blase geben sollte. Und keine euphorischen Anleger, die unbesehen alles kaufen.

Das Gespräch führte Rolf Obertreis

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