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Frank Sennhenn kritisiert das Tarif-Wirrwarr in seiner Branche.

© Paul Zinken

DB-Regio-Chef Frank Sennhenn: „Im Winter werden wieder Regionalzüge fehlen“

Frank Sennhenn, Chef der Bahn-Sparte DB Regio, spricht über defekte Züge, Schwarzfahrer und den zunehmenden Wettbewerb. Die Zeit der sinkenden Preise sei im regionalen Zugverkehr vorbei, sagt er.

Herr Sennhenn, seit 15 Jahren gibt es Wettbewerb im Regionalverkehr. Was hat das dem Kunden gebracht?
Mehr Angebot und mehr Qualität. Heute befördern wir erheblich mehr Fahrgäste als Mitte der 90er Jahre. Fast überall gibt es neue Fahrzeuge und dichtere Taktzeiten. Das nützt den Kunden und der Umwelt.

Noch immer dominiert die Bahn den Markt. Sind Sie so gut, oder sind die Privaten so schlecht?

Der Wettbewerb hat schleppend begonnen. Zu Anfang gab es ja auch niemanden, der aus dem Stand im großen Stil Züge hätte betreiben können. Da Verkehrsverträge über zehn Jahre und mehr geschlossen werden, kommen erst jetzt viele Strecken auf den Markt. In den vergangenen zwei Jahren haben die Konkurrenten bereits rund 35 Prozent pro Jahr der vergebenen Strecken gewonnen.

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Viele unserer Wettbewerber sind ähnlich gut unterwegs wie wir. Unsere Rendite ist absolut im Rahmen.

Bei neuen Ausschreibungen bekommen die Besteller für das gleiche Geld deutlich mehr Verkehr. Bedeutet das nicht, dass die Preise der Bahn bislang zu hoch waren?

Das lässt sich häufig einfach damit erklären, dass wirtschaftlich besonders attraktive Strecken ausgeschrieben werden, die gute Fahrgeldeinnahmen bringen. Diese Strecken können natürlich erheblich günstiger kalkuliert werden als zuvor, als sie Teil eines großen Verkehrsvertrages waren, der attraktive und weniger attraktive Strecken abdeckte. Übrigens ist die Zeit der sinkenden Preise in diesem Markt vorbei. In den vergangenen Monaten mussten einige Ausschreibungen aufgehoben werden, weil die Preiserwartungen der Besteller zu niedrig angesetzt waren und niemand ein Angebot machen wollte, das diesen Erwartungen entsprach. Andere Wettbewerber, die früher mit extrem günstigen Preisen angetreten sind, haben mittlerweile offensichtlich realisiert, dass sie manchmal zu knapp kalkuliert hatten.

Noch immer bevorzugen viele Menschen das Auto. Wie wollen Sie es schaffen, mehr Leute zum Zugfahren zu bewegen?

Bahnen und Verkehrsverbünde müssen Zugangsbarrieren abbauen. Ein Problem ist für viele Reisende bereits der Kauf eines Fahrscheins. Die Tarifvielfalt ist oft verwirrend, vor allem, wenn man von einem Verkehrsverbund zum nächsten wechselt. Die Menschen haben Angst, ein falsches Ticket zu kaufen. Wir bieten daher Pauschaltickets an, etwa das Schönes-Wochenende- oder das Quer-durchs-Land-Ticket. Das läuft sehr gut. Hinzu kommen Investitionen in mehr Personal, mehr Sauberkeit und Sicherheit.

Schrecken nicht auch Zugbegleiter ab, die Jugendliche trotz Kälte aus dem Zug werfen, weil sie nicht das richtige Ticket haben?

Unsere Zugbegleiter wissen, dass sie Minderjährige nicht aus dem Zug weisen dürfen. Zugleich schauen wir uns jeden Fall, der bekannt wird, mittlerweile sehr genau an, sprechen viel mit betroffenen Eltern und Kindern. Wir haben festgestellt, dass wir viel mehr für die Aufklärung unserer Fahrgäste tun müssen. Denn viele Kinder, die – oft versehentlich – ohne gültiges Ticket unterwegs sind, reagieren auf die Fahrkartenkontrolle mit Panik und verlassen oft lieber an der nächsten Station den Zug, wenn sie mit der Forderung nach erhöhtem Beförderungsentgelt konfrontiert werden. Hier müssen wir mit der Aufklärung ansetzen. Alleine Zugfahren gehört schließlich in der heutigen Zeit zum Selbständigwerden, und da sollte es solche Konflikterlebnisse nicht geben.

Trotzdem hadern viele Leute mit der Bahn – nicht zuletzt mit Blick auf die letzten beiden Winter. Werden Sie nun besser?

Im Winter war es schwierig, Züge zu enteisen, um sie warten zu können. Wir haben daher unsere Auftau-Kapazitäten erhöht. Das größte Problem war aber, dass wir keine Fahrzeugreserve hatten. Das ist nicht die Schuld der Bahn. Wir haben bei Bombardier Nahverkehrszüge vom Typ Talent 2 bestellt, die seit Ende 2009 im Einsatz sein sollten. Mehr als 100 sind zwar produziert, das Eisenbahnbundesamt hat sie aber nur mit Einschränkungen zugelassen, so dass wir sie nicht abnehmen können. Diese Züge haben uns gefehlt, als wir im Winter Reserven brauchten.

Lesen Sie auf Seite zwei, warum es auch im nächsten Winter zu Behinderungen im S-Bahnverkehr kommen dürfte.

Im Winter wird es also wieder schwierig?

Mit Blick auf die Instandhaltung haben wir eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, aber das Grundproblem unserer Fahrzeugreserve wird sich nicht deutlich verbessern. Wir können unseren Kunden ja keine Züge zumuten, die nicht funktionieren. Zumal die bislang produzierten Exemplare durch das lange Herumstehen nicht besser geworden sind. Es wird also dauern, bis sie in Betrieb gehen, selbst wenn sie bald funktionieren.

Halten Sie an der Bestellung fest?

Wir brauchen die Züge. Doch wenn sie nicht fahren, nützen sie uns nichts. Der Ausstieg ist die Ultima Ratio.

Nach den vielen Problemen ist die Stimmung der Mitarbeiter offenbar schlecht, wie Umfragen ergeben.

Bei DB Regio haben wir sehr früh mit Umfragen zur Zufriedenheit unserer Mitarbeiter begonnen. Das nehmen wir sehr ernst, weil ein Dienstleistungsunternehmen nur mit einer zufriedenen Belegschaft Erfolg haben kann. Wir haben daher bereits vor Jahren unter aktiver Beteiligung der Mitarbeiter Maßnahmen abgeleitet. Eigenverantwortlichkeit mit Blick auf das eigene Arbeitsumfeld war uns da sehr wichtig. Wir informieren die Mitarbeiter mittlerweile viel besser und stehen als Vorstände regelmäßig in den Regionen Rede und Antwort. Neueste Umfragen zeigen, dass die Mitarbeiter deutlich zufriedener geworden sind. Das ist wichtig für uns, auch wegen des enormen Personalbedarfs in den kommenden Jahren. Nur mit einem guten Image bekommen wir gute Leute.

Wir wird sich der Wettbewerb im Regionalverkehr weiter entwickeln?

In den nächsten fünf Jahren wird die Hälfte des Marktes neu verteilt. Das ist für die Branche eine enorme Herausforderung.

Wieso?

Der Aufwand für eine Ausschreibung nimmt immer weiter zu. Eine Bewerbung umfasste früher im Schnitt 470 Seiten, heute 700, die Kosten liegen bei bis zu fünf Millionen Euro. Die Vorgaben der Besteller sind extrem detailliert. Wir wollen neues Geschäft, aber irgendwann stoßen auch wir an personelle Grenzen.

DB Regio mit 30 000 Beschäftigten verzichtet auf ein Geschäft, weil Personal fehlt?

Man braucht absolute Spezialisten, um ein Angebot abgeben zu können. Die Verträge laufen 10 bis 15 Jahre, man investiert einige hundert Millionen Euro. Eine falsche Kalkulation kann da teuer werden. Es zeichnet sich ja bereits ab, dass unsere Wettbewerber beginnen, sich auf wenige Strecken zu konzentrieren. Bei der Ausschreibung des Berliner Stadtbahnnetzes etwa gab es ja nur zwei Wettbewerber.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen mehr Standards bei den Ausschreibungen. Das senkt den Aufwand. Heute gibt es Vorschriften über die Farben der Sitze, die Knöpfe an der Uniform des Zugbegleiters und noch die kleinsten Details des Fahrzeugs. Helfen würde es schon, wenn wir mehr gebrauchte Züge einsetzen dürften, die nur geringfügig umgebaut werden müssen.

Bringt weniger Wettbewerb höhere Preise?

Wenn die Preise je Zugkilometer steigen, bekommen die Besteller für ihr Geld weniger Verkehrsleistung. Höhere Fahrpreise sind nur ein Weg, das zu kompensieren.

Was bedeutet das für die Berliner S-Bahn?

Der Senat will für 2017 einen Teil der Strecken neu ausschreiben. Wir bereiten uns jetzt schon darauf vor. Es bleibt ja nicht viel Zeit – bis die nötigen neuen Fahrzeuge bestellt, konstruiert, gebaut und getestet sind, vergehen mindestens fünf Jahre. Wir warten nun auf die Vorgaben des Senats.

Was wird sich an den Fahrzeugen ändern?

Das legt der Besteller fest. Um eine Klimaanlage wird man aber vermutlich nicht herumkommen, das ist heute Standard. Technisch wollen wir natürlich eine höhere Zuverlässigkeit.

Was geschieht bis dahin?

Wir investieren viel Geld, um Mängel zu beheben. Wenn der Prozess abgeschlossen ist, ist ein Teil der Flotte noch lange einsatzfähig, das hat uns eine Expertenkommission kürzlich bestätigt. Wir arbeiten im Moment mit Volldampf daran, möglichst viele Fahrzeuge wieder in den Einsatz zu bringen und winterfest zu machen.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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