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Debatte: EU erschwert Mindestlohn

Die staatliche Auftragsvergabe darf nicht an Tarifverträge gekoppelt sein, sagt der Europäische Gerichtshof. Das Urteil löst Empörung bei Gewerkschaften und Landespolitikern aus.

Berlin - Der Staat darf die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht an die Einhaltung von bestimmten Tarifverträgen koppeln. Ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) löste am Donnerstag Empörung aus bei Gewerkschaftern und Landespolitikern. In der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft war von einer „dramatischen Zäsur für die Vergabepraxis der Länder“ die Rede. Der Vorsitzende der IG BAU, Klaus Wiesehügel, sprach von einem „Schritt hin zum Raubtierkapitalismus, der dazu führen wird, dass die Bürger Europa endgültig ablehnen“. DGB-Chef Michael Sommer forderte die Bundesregierung auf, als Konsequenz aus dem Urteil einen gesetzlichen Mindestlohn zu beschließen. Applaus gab es aus der Wirtschaft, die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände begrüßte die Entscheidung der Luxemburger Richter.

Der EuGH hatte eine Regelung im niedersächsischen Vergabegesetz verworfen. Der konkrete Fall betrifft den Bau eines Gefängnisses bei Göttingen. Eine Firma hatte sich zur Zahlung des Tariflohns verpflichtet und einen öffentlichen Auftrag erhalten. Ein polnischer Subunternehmer dieser Firma beschäftigte aber Personal, das nur knapp die Hälfte des Tariflohns bekam. Das Land Niedersachsen als Auftraggeber forderte deshalb von dem Hauptauftragnehmer eine Vertragsstrafe von rund 85 000 Euro. Der EuGH wies dieses Ansinnen mit der Begründung zurück, der betreffende Tarifvertrag sei nicht allgemeinverbindlich gewesen; er sei also nur bei öffentlichen Aufträgen verpflichtend zu zahlen, nicht aber bei privaten Bauvorhaben.

Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) bedauerte die Entscheidung, weil sie schlecht sei für mittelständische Firmen, die nicht in der Lage seien, ausländische Billigkräfte einzusetzen. Dagegen gab es Zustimmung aus dem von der FDP geführten Wirtschaftsministerium in Hannover. Welche Folgen das Urteil haben wird, ist noch nicht absehbar. Ähnliche Tariftreue- oder Vergabegesetze gibt es noch in Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Schleswig- Holstein und dem Saarland.

Nach Einschätzung des DGB-Vorsitzenden Sommer „konterkariert“ das Urteil die europäische Vergaberichtlinie aus dem Jahr 2004. Nach jener Richtlinie dürften bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auch soziale Kriterien oder die Einhaltung von Tarifen berücksichtigt werden. Scharfe Kritik gab es von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, die das Berliner Vergabegesetz ausgearbeitet hatte. Das EuGH–Urteil schreibe „im neoliberalen Geist vor, dass öffentliche Auftraggeber sich nach europäischem Recht an Lohndumping beteiligen müssten“. Die Entscheidung sei ein „Skandal“ und mache deutlich, „wie notwendig eine europäische Sozialunion mit sozialen Mindeststandards statt Marktradikalismus ist“, hieß es in einer Stellungnahme aus dem Hause Wolf. mit dpa

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