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Die EZB kann Regierungen nicht die Arbeit abnehmen, meint Holger Bahr, Leiter Volkswirtschaft der Dekabank.

© Mike Wolff

Dekabank-Volkswirt Holger Bahr: „Wenn eine Bank Minuszinsen einführt, folgen andere“

Dekabank-Ökonom Holger Bahr glaubt, dass Sparer erst ab 2024 wieder mehr für ihr Geld bekommen. Er fordert ein Wachstumspaket und eine Rentenreform.

Von Carla Neuhaus

Holger Bahr leitet bei der Dekabank, dem Fondshaus der Sparkassen, die Abteilung Volkswirtschaft. Wir haben mit ihm über Minuszinsen, die Geldpolitik der EZB und die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gesprochen.

Herr Bahr, erste Banken haben Minuszinsen auf dem Tagesgeldkonto bereits ab dem ersten Euro eingeführt. Setzt sich das jetzt durch?
Noch ist das eine Ausnahme, aber es würde mich wundern, wenn es dabei bleibt. Wenn erst einmal das Eis gebrochen ist, folgen in der Regel weitere Banken. Das heißt aber nicht, dass das ein Geschäftsmodell für alle Geldinstitute sein wird. Nicht alle werden Minuszinsen ab dem ersten Euro einführen. Was ich höre, stellen sich bislang die wenigsten Banken einen Minuszins für Summen unter 100000 Euro vor. Trotzdem muss sich jetzt erst einmal jedes Institut neu sortieren.

Warum?
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in diesem Jahr nicht nur gesagt, dass wir auf die Zinsen verzichten müssen – sondern auch, dass wir auf sie noch sehr viel länger darauf verzichten müssen, als das viele erwartet haben. Die EZB hat den Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik auf unbestimmte Zeit verschoben. Für die Banken ist das eine enorme Belastung. Jedes Institut muss jetzt für sich ausrechnen, wie lange es damit klarkommt. Und an welche Kunden es die Zinsbelastung weitergeben muss.

Wie lange müssen sich Sparer gedulden, bis sie wieder Zinsen erhalten?
Wir gehen derzeit nicht davon aus, dass die EZB die Zinsen vor 2024 erhöht. Und auch dann dürften wir erst einmal nur einen Zinsschritt sehen. Bis sich die Zinswelt normalisiert, wird es noch ganz schön lange dauern.

Für Sparer ist das hart. Haben Sie dennoch Verständnis für die Politik der EZB?
Sowohl die EZB als auch die US-Notenbank Fed waren schon auf dem Weg in Richtung geldpolitische Normalisierung, haben dann aber eine Kehrtwende hingelegt. Beide haben argumentiert: Die geopolitischen Risiken sind auf einmal so groß, dass wir die Geldpolitik noch einmal lockern müssen. Ich hätte an dieser Stelle gesagt: Die Welt ist stabil genug, eine erneute Lockerung der Geldpolitik brauchen wir nicht. Gleichzeitig muss man aber auch sagen: Dass wir so niedrige Zinsen haben, liegt nicht nur an der EZB.

Sondern?
Wir haben weltweit seit Jahren eine Sparschwemme. Demografisch bedingt werden sehr viele Gelder fürs Alter zur Seite gelegt. Gleichzeitig müssen auch die Banken aus regulatorischen Gründen mehr Gelder sicher anlegen, etwa in Form von Staatsanleihen. Dieses Überangebot an Spargeldern drückt die Zinsen. Deshalb glaube ich, dass wir auch ohne die jüngste Lockerung der Geldpolitik kaum so schnell wieder die hohen Zinsen bekommen hätten, die wir einmal gewöhnt waren.

Die EZB hat ihre Geldpolitik in diesem Jahr noch einmal gelockert.
Die EZB hat ihre Geldpolitik in diesem Jahr noch einmal gelockert.

© dpa

Aktuell gibt es sehr viel Kritik an der EZB. So viel, dass Isabel Schnabel, die bald im Vorstand der Zentralbank sitzt, sagt: Wir Deutschen machen die EZB zu oft zum Sündenbock. Hat sie Recht?
Ja, das hat sie. Nach der Finanzkrise waren doch alle froh, dass die Zentralbanken für Ruhe und Ordnung gesorgt haben. Dann kam die Eurokrise und wieder waren alle erleichtert, dass die EZB den Euro rettet. Aber dann ist die Stimmung gekippt – aus einem einfachen Grund: Eine Notenbank kann den Regierungen die Arbeit nicht abnehmen. Sie kann zwar kurzfristig ein Finanzierungsumfeld schaffen, damit der Euro nicht zusammenbricht. Was sie nicht kann, ist für langfristiges Wachstum sorgen und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Die Regierungen selbst müssen dafür sorgen, dass ihre Länder zukunftsfähige Unternehmen haben. Dass ihre Bevölkerung gut ausgebildet ist. Dass sie eine starke Infrastruktur haben.

Was raten Sie also der Bundesregierung?
Wir bräuchten ein Wachstumsprogramm. Dabei denke ich zum Beispiel an Investitionen in die digitale Infrastruktur. Wir brauchen ein starkes Mobilfunknetz, das auch ländliche Bereiche abdeckt. In den Schulen wiederum reicht es nicht aus, jedem Schüler ein Tablet hinzulegen. Wir brauchen auch viele, gut ausgebildete Lehrer, die unseren Kindern in der digitalen Welt so viel vermitteln können, dass wir als Bildungsstandort international mithalten können. Und auch an die Rentenversicherung müssten wir ran.

Wie würde Ihre Reform der Rentenversicherung aussehen?
Realistisch betrachtet: Wir müssen länger arbeiten. Wenn man bedenkt, dass wir auch länger leben, ist das gar nicht so schlimm. Und es würde den jüngeren Generationen eine Perspektive geben, was die Höhe der Abgaben angeht. Schon jetzt wird ein viel zu hoher Teil der Renten statt über den Beitragssatz über Steuern finanziert, was nicht Sinn und Zweck der Sache ist. Wir brauchen ein tragfähiges System, das allen Beteiligten gerecht wird. Dazu gehört, dass die Menschen sich bei ihrer Altersvorsorge immer stärker von der Litfaßsäule und Norbert Blüm trennen.

Norbert Blüm versprach Mitte der 80er Jahre als Bundesarbeitsminister, die Rente sei sicher.
Norbert Blüm versprach Mitte der 80er Jahre als Bundesarbeitsminister, die Rente sei sicher.

© picture-alliance / dpa dpa - Bildfunk

Die Rente ist also nicht mehr sicher?
Wir müssen uns zumindest daran gewöhnen, dass wir uns nicht allein auf den Staat verlassen können, sondern auch privat fürs Alter vorsorgen müssen. Und angesichts der Langfristigkeit der Altersvorsorge muss es zur Selbstverständlichkeit werden, dass wir dafür auch in Aktien investieren.

Bislang tun das die wenigsten Deutschen. Wie kann man das ändern?
Das Problem ist die Angst der Deutschen vor Aktien und damit vorm Markt. Dabei beteiligen sie sich mit dem Aktienkauf an Unternehmen, die sehr viele Menschen beschäftigen und die den Wohlstand hierzulande mehren. Schauen Sie sich an, wie sich der Dax seit dem Mauerfall entwickelt hat. Damals lag er noch bei unter 1500 Punkten, heute sind wir bei über 13000 Punkten. Profitiert haben davon aber die wenigsten Deutschen.

Und jetzt soll auch noch die Finanztransaktionssteuer kommen.
Das schreckt natürlich ab. Wenn die Bundesregierung die Aktienkultur in Deutschland steigern will, sollte sie für geraume Zeit auf steuerliche Schritte verzichten. Zumal das eine Doppelbesteuerung ist: Das Einkommen, das Kleinsparer in Aktien investieren, haben sie in der Regel schon einmal versteuert.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) arbeitet an einer Finanztransaktionssteuer.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) arbeitet an einer Finanztransaktionssteuer.

© AFP

Auch in diesem Jahr haben die deutschen Aktienkurse deutlich zugelegt, obwohl wir nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt sind. Wie passt das zusammen?
Einerseits liegen wir beim Wirtschaftswachstum in der Eurozone nur noch knapp vor Italien. Wir sind also vom Branchenprimus auf die hinteren Plätze abgerutscht. Andererseits ist natürlich ein Teil des billigen Geldes, das die EZB in den Markt pumpt, auch in den Aktienmarkt geflossen. Zudem kommen auch aus der Wirtschaft inzwischen wieder versöhnlichere Töne. Die Stimmung zwischen den USA und China im Handelsstreit hat sich etwas aufgehellt. Und beim Brexit können wir zumindest davon ausgehen, dass es zu keinem ungeordneten Austritt der Briten aus der EU kommt.

Macht Sie das optimistisch, dass die Aktienkurse auch 2020 weiter zulegen?
Wir sind nicht pessimistisch, aber auch nicht extrem optimistisch. Wir gehen davon aus, dass wir beim deutschen Leitindex Dax im kommenden Jahr mehrheitlich über 13000 Punkte liegen werden. Vielleicht ist zum Sommer auch nochmal ein Allzeithoch drin. Solch hohen Renditen, wie wir sie in der Vergangenheit gesehen, halte ich aber für unrealistisch. Auch weil das globale Wirtschaftswachstum weiter moderat ausfallen wird.

Neben Aktien fließt das billige Geld der EZB in den Immobilienmarkt. Bundesbank und Sachverständigenrat warnen vor einer Blase. Sie auch?
Nein, akut sehe ich da keine Gefahr. In Metropolen sind die Preissteigerungen bei Immobilien zum Teil zwar beträchtlich. Das liegt aber nicht allein an den niedrigen Zinsen, sondern auch an der Urbanisierung. Längst sind es nicht mehr nur die jungen Menschen, die in die Städte ziehen. Auch Ältere schätzen die Infrastruktur, die Nähe zu Ärzten und Geschäften. Während die niedrigen Zinsen als Argument für den Immobilienkauf in den nächsten zehn Jahren wegfallen werden, ändert sich an der alternden Gesellschaft wenig – im Gegenteil. Deshalb glaube ich nicht, dass wir am Immobilienmarkt eine Blase haben. Allenfalls bei extrem teuren Wohnungen in Toplagen könnte es zur Korrektur kommen.

Worauf sollten Immobilienkäufer achten?
Sie müssen die Situation realistisch betrachten. Bei den niedrigen Zinsen sieht es für denjenigen, der einen Immobilienkredit aufnimmt, erst mal sehr lukrativ aus. Das ist aber angesichts der steigenden Immobilienpreise nur begrenzt der Fall. Was die Käufer also an Zinsen einsparen, zahlen sie beim Preis oben drauf. Wer trotzdem eine Immobilie kauft, muss zudem schon heute bedenken, dass die Anschlussfinanzierung aufgrund der steigenden Zinsen in zehn Jahren teurer sein wird. Leisten kann man sich das nur, wenn das Einkommen entsprechend steigt.

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