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Wirtschaft: Demonstranten und Polizei stellen sich auf Krawalle ein - Clinton bangt um China-Deal

Eine Frau Ende 50 hat ein Klo auf ihr Pappschild gemalt. "Spült die Schulden runter!

Eine Frau Ende 50 hat ein Klo auf ihr Pappschild gemalt. "Spült die Schulden runter!", steht darauf. Neben ihr eiert ein Demonstrant über die "Mall" im Herzen der US-Hauptstadt, der sich in einen selbstgefertigten Nachbau jenes Obelisken gezwängt hat, der mitten auf der Mall steht und "Washington Monument" heißt. "Begrabt die Schulden", steht auf der kleineren Variante.

Schuldenerlass für die Ärmsten ist einer der Slogans, der die buntscheckige Gemeinde der Protestierenden einigt. Gewerkschaftsboss Sweeney, katholische Priester, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen sind sich einig: Globalisierung pur, Globalisierung nur gemäß den Interessen des Großkapitals, das darf es nicht geben. Deshalb sind sie hier. Ihr Ziel: Eine Wiederholung. Wehmütig erinnern sich viele an die Proteste gegen die Welthandelsorganisation (WTO) im anderen Washington an der Pazifikküste.

Ob es "Seattle Zwei" gibt, ist ungewiss. Doch in einer Hinsicht haben die Demonstranten schon gewonnen. Ehe der erste Delegierte zur Frühjahrstagung von Weltbank und IWF eingetroffen ist, dominieren die Themen der Protestbewegung die Medien. Die erste Demonstration am Sonntag hat zwar ihr Ziel verfehlt, eine Menschenkette über die Mall zustande zu bringen - nur ein paar Hundert kamen. Doch in den Talkshows wurde hitzig diskutiert, ob Handel und Entwicklung der beste Weg hin zu höherem Lebensstandard für alle seien.

Am Montag startete die "Aktionsphase" der Weltbank- und IWF-Gegner. Erste Demonstranten wurden festgenommen, als sie den morgendlichen Verkehr auf der Pennsylvania Avenue lahmlegten. Andere versuchten vergeblich, ein Transparent an der Außenwand des Weltbank-Gebäudes anzubringen. Wer drinnen einen Termin wahrnehmen wollte, hatte Pech. Ohne Handy und Polizeieskorte durch die Absperrung lief nichts.

Und das alles sollen nur Vorgeplänkel sein. Wenn am Sonntag und Montag die Tagung ansteht, will die Protestbewegung ihre wahren Muskeln zeigen. Erprobte Organisierer aus Seattle sind seit Wochen in der Stadt. Die radikalökologische "Ruckus Society" trainierte ein paar Tausend Twens in den Wäldern Nord-Floridas. Von der University of Pennsylvania sollen Studenten die 280 Kilometer nach Süden, in die Hauptstadt, reisen. Ausbildungscamps für gewaltlosen zivilen Widerstand haben in Wisconsin, Michigan, Colorado und Kalifornien junge Amerikaner für den Kampf gegen die Weltfinanz vorbereitet. Das Ziel der Demonstranten: die komplette Lahmlegung der Stadt und die Verhinderung der Konferenz.

Als "verrückt" hat die "Washington Post" die Idee der Protestbewegung bezeichnet, den Wert der Weltbank-Anleihen an den Rentenmärkten gezielt herunterzutreiben. "Wer mehr Geld für Entwicklungshilfe und Armutsbekämpfung fordert, kann der Institution, die dafür zuständig ist, nicht den Hahn zudrehen", meinte die Zeitung. Der Konflikt, in Zeiten labiler Aktienmärkte einer mit hohem Aufmerksamkeitswert, weist auf den Grundwiderspruch im Demonstrantenlager hin.

Die meisten wollen dasselbe wie die Weltbank: Wohlstand für alle. Sie sehen Bank und Fonds indes als Fassade, die die Interessen der Multis kaum verschleiert. Viele träumen von einer Weltregierung, die westliche Prinzipien des Schutzes vor Kinderarbeit, ökologischem Raubbau oder Ausbeutung von Häftlingen global verankert. Dass WTO, Weltbank und IWF einer solchen Megabehörde am nächsten kommen, schwächt das diffuse Unwohlsein nicht.

Die Polizei in Washington hat schnell noch für eine Million Dollar zusätzliche Anti-Krawall-Ausrüstung gekauft und 1450 Beamte in ein Sondertraining geschickt. Alle Briefkästen im Umkreis von fünf Querstraßen wurden vorsichtshalber abgeschraubt, um Bomben und Bombenattrappen zu verhindern. Die "George Washington University", drei Querstraßen von der Weltbank entfernt gelegen, macht vorsorglich Freitag und Montag dicht.

Polizei-Chef Ramsey hat seine engsten Mitarbeiter nach Seattle geschickt, um mit den dortigen Kollegen zu konsultieren. Die taktischen Fehler beim WTO-Gipfel im vergangenen Herbst, als Seattles Innenstadt verwüstet wurde, sollen vermieden werden. Ramsey hat angeordnet, dass der Befehl zum Einsatz von Tränengas nur von ihm persönlich oder seinem Stellvertreter gegeben werden darf.

Ganz nebenbei geht es um Inhalte und Politik. Eine zentrale Figur in Seattle war Präsident Clinton, der die Welthandels-Manager ermahnte, "die Protestierer und ihre Themen hinein in den Konferenzsaal zu lassen". Auch diesmal hat Clinton für die Anliegen der Demonstranten Verständnis geäußert. Schließlich stapfen da tausende Amerikaner durch die Straßen, die im November Al Gore und Hillary Clinton wählen sollen.

Die Solidaritätsadresse aus dem Weißen Haus, 300 Meter neben der Weltbank gelegen, ist aber zurückhaltender ausgefallen als in Seattle. Clinton hat andere Sorgen. Sein Kampf um dauerhafte normale Handelsbeziehungen mit China ("Permanent Normal Trade Relations") , Voraussetzung für den WTO-Beitritt Pekings, geht in die entscheidende Runde. In vier Wochen soll im Kongress abgestimmt werden. Das Abkommen steht auf Messers Schneide. Clinton und sein Kabinett leisten so harte Lobbyarbeit wie seit langem nicht mehr. Vor allem die beiden Ferienwochen Ende April sollen benutzt werden, um jedem Abgeordneten ein Ja zu China abzukaufen. Fernsehbilder aus Washington vom Massenkrawall gegen die Globalisierung wären da verheerend.

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