zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der amerikanische Alptraum

Mit immer neuen Krediten finanzieren die US-Bürger ihren Wohlstand. Doch viele erdrückt die Zinslast

Es ist besser, ohne Abendbrot ins zu Bett zu gehen, als am Morgen mit Schulden aufzuwachen“, sagte Benjamin Franklin im Jahr 1757. Einer seiner neuzeitlichen Namensvetter hat die Mahnung in den Wind geschlagen. Benjamin Franklin Baggett aus Salt Lake City bekam seine erste Kreditkarte 1990 während seiner Flitterwochen und schöpfte prompt den 300-Dollar-Kreditrahmen aus. Mit den Karten leistete sich seine Familie später ein Lebensstandard weit über ihren Einkommensverhältnissen. Zweimal konnte er seine Hypothek aufstocken, um für die Kreditkartenschulden zu zahlen. Als die Rückstände 2003 dann erneut 30000 Dollar erreichten und auch die Hypothek ausgeschöpft war, blieb nur noch der Weg in die Insolvenz. „Ich hatte auf Kredite vertraut, als wären sie Teil meines Einkommens“, sagt Baggett, der inzwischen geschieden ist und sein Haus verkaufen musste.

Immer mehr Amerikaner leisten sich auf Pump einen Lebensstil, für den ihr Einkommen nicht ausreicht. Sie wollen üppiger leben als einst ihre Eltern und einen Wohlstand erreichen, der ihnen in Fernsehserien und in der Werbung für teure Autos und gigantische Fernsehgeräte als selbstverständlich vorgespielt wird. Die Finanzbranche hat aus dem Kreditgeschäft eine gewaltige Industrie gemacht, die dank besserer Technik die Kreditrisiken besser bewerten kann.

Ist das mittlere US-Haushaltseinkommen seit 1990 inflationsbereinigt um gerade einmal elf Prozent angestiegen, wuchsen die durchschnittlichen Haushaltsausgaben im gleichen Zeitraum um 30 Prozent. Und mit ihnen die Schulden: Um 80 Prozent kletterten die Verbindlichkeiten der US-Haushalte seit 1990.

Europas Wirtschaft leidet am umgekehrten Phänomen. Die Angst der Europäer vor Verschuldung wird durch die Sorgen um den Arbeitsplatz noch verstärkt. Folge: stagnierende Verbraucherausgaben und die Abhängigkeit von Exporten nach Übersee. Nach Ansicht vieler Experten würde es der amerikanischen und der europäischen Wirtschaft besser gehen, wenn sich die Amerikaner etwas vorsichtiger und die Europäer etwas hemmungsloser in Schulden stürzen würden.

Der US-Bundesstaat Utah ist ein Beispiel für die Auswirkungen allzu leicht verfügbarer Kredite. 2004 meldeten 28 von 1000 Haushalten Insolvenz an. Das waren doppelt so viele wie im US-Schnitt und dreimal mehr als vor zehn Jahren im Bundesstaat, ermittelte die Wirtschaftsberatung Economy.com. In Utah gibt es besonders viele junge Familien, die sich trotz bescheidener Einkommen den Traum vom großen Haus und teuren Auto erfüllen wollen. Allein die monatlichen Hypothekenraten entsprechen 45,3 Prozent eines durchschnittlichen Arbeitereinkommens, so die Utah Foundation, ein Beraterstab in Salt Lake City.

In dem konservativen, von Mormonen geprägten Staat, in dem bei der letzten Präsidentschaftswahl 72 Prozent für George W. Bush gestimmt haben, hat die Flut von Insolvenzen Kirchenführer auf den Plan gerufen. Auf einer Konferenz im April äußerte sich der zweithöchste Mormonenvertreter Thomas Monson besorgt über Werbekampagnen, die „uns verleiten, immer mehr Geld zu leihen“. Er verwies auf die Worte eines früheren Mormonen-Geistlichen, der zu Zeiten der großen Depression gewarnt hatte: „Zinsen schlafen nicht, werden nicht krank und sterben auch nicht. Wer sich verschuldet, für den sind sie sind ein ständiger Begleiter, jede Minute des Tages und der Nacht.“

Die Wirtschaftsforscher Fabrizio Perri von der New York University und Dirk Krüger von der Frankfurter Goethe-Universität machen die immer deutlichere Einkommensschere in den USA für das Ansteigen der Haushaltsschulden verantwortlich. Während die Einkommensunterschiede zwischen 1970 und 2000 kräftig wuchsen, fielen die Unterschiede bei den Ausgaben moderater aus, weil Geringverdiener verstärkt zu Krediten griffen.

Im frühen 20. Jahrhundert begannen Tankstellen und Kaufhäuser mit der Ausgabe von Kreditkarten. Richtig populär wurden sie Ende der sechziger Jahre, als die Banken in das Geschäft einstiegen. Inzwischen können durch „Innovation und Deregulierung alle Einkommensschichten mit Krediten versorgt werden“, so US-Notenbankchef Alan Greenspan.

Doch viele befürchten, dass die Amerikaner sich mit ihren Kreditkäufen übernehmen. Die Gesamtschulden amerikanischer Haushalte haben sich von 1992 bis 2004 auf mehr als zehn Billionen Dollar verdoppelt. Dank niedriger Zinsen wuchsen die Rückzahlungsverpflichtungen dagegen weitaus langsamer. Ökonomen streiten darüber, ob dies anhalten wird. Inzwischen steigen die Zinsen wieder. Und viele Verbraucher vertrauen zur Finanzierung ihrer Schulden auf steigende Grundstückspreise, deren Entwicklung sich jedoch nicht absehen lässt.

In Utah stößt die ungezügelte Schuldenaufnahme nun auf öffentliche Kritik. Ein Lokalblatt in Salt Lake City verurteilte jüngst Bürger, die „ihre Visa-Karten wie Schwerter schwingen und sich auf ihren Einkaufs-Kreuzzügen durch einen Dschungel der Gier schlagen“. Winford Wayman, ein 30-jähriger Bauarbeiter, lässt sich davon nicht abhalten. Als Kind lebte er mit zehn Geschwistern in einem winzigen Haus. Jetzt will er Freiheit. Inzwischen sind er und seine Frau mit den Raten für die Pickup-Trucks im Rückstand. Seit 1999 hat er vier gekauft und geleast. „Trucks sehen einfach Spitze aus. Und wenn ich einen tollen Truck sehe, muss ich ihn haben.“

Bob Davis

Zur Startseite