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Wirtschaft: „Der Arbeitsmarkt verändert sich dramatisch“

Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, über Konjunktur und Arbeitsmarkt im nächsten Jahr

Herr Snower, seit einem Jahr erlebt die deutsche Wirtschaft einen Aufschwung, aber niemand spürt ihn so richtig. Wie kommt das?

Das Wachstum ist einfach nicht stark genug. Erst ab einer gewissen Grenze entstehen neue Beschäftigung und mehr Wohlstand für alle. Während der Krise, die Deutschland erlebt hat, haben die Unternehmen ihre Produktivität gesteigert. Um mehr Güter herzustellen, brauchen sie jetzt nicht zwangsläufig mehr Personal. Deshalb ist die Arbeitslosigkeit immer noch so hoch.

Wachstum ohne Jobs – müssen wir uns daran gewöhnen?

Nein, wenn die Produktion genügend steigt, stellen die Unternehmen irgendwann auch wieder neue Leute ein. Aber ob das 2005 der Fall sein wird, ist fraglich.

Sie stellen die Wachstumsprognose der Institute von 1,5 Prozent in Frage?

Niemand kann vorhersehen, wie die Weltpolitik die Konjunktur beeinflussen wird. Aber nicht zuletzt von der Weltpolitik hängt die Entwicklung des Euro- Wechselkurses und des Ölpreises ab. Und damit das Exportgeschäft.

Der Sachverständigenrat erwartet, dass 2005 die Binnenkonjunktur anspringt.

Solange die Konsumenten weiter verunsichert bleiben, werden sie nicht mehr Geld ausgeben. Investieren werden die Unternehmen dann nur noch, wenn zumindest die Exportnachfrage stimmt. Gibt es aber neue Turbulenzen bei Rohstoffen oder Währungen, könnte die Hoffnung schnell verfliegen.

Könnte es nicht auch einmal positive Überraschungen geben?

Ich fürchte, dass die Deutschen ihre Verunsicherung vorerst nicht ablegen werden. Auf dem Arbeitsmarkt stehen unbequeme Reformen an. Verunsicherung über die Richtung der Wirtschaftspolitik hemmt die Binnennachfrage. Erst stabile Verhältnisse und mehr Jobs werden den Leuten wieder Sicherheit geben.

Die USA sind mit Staatsausgaben in Milliardenhöhe aus der Krise gekommen. Ist das ein Vorbild für uns?

Nein. Man darf nicht mit der Fiskalpolitik Arbeitsmarktprobleme kaschieren.

Wird wenigstens die Hartz-Reform 2005 den Stellenmarkt ankurbeln?

Ja, ein wenig. Niedrig qualifizierte Arbeitslose bekommen einen höheren Anreiz, eine Stelle anzutreten. Nicht alle werden aber eine finden. Es ist außerdem nicht vermeidbar, dass durch die Ein-Euro-Jobs reguläre Stellen des ersten Arbeitsmarktes verdrängt werden. Die Hartz-Strategie ist nicht optimal.

Haben Sie eine bessere?

Wir brauchen für Arbeitslose Anreize für Nachfrage und Angebot zugleich. Außerdem darf der Staat nicht noch mehr Geld für ineffiziente Maßnahmen ausgeben. Setzt er es sinnvoll ein, kann man mit dem gesparten Betrag die Reformverlierer entschädigen. Hätte die Regierung danach gehandelt, wären die Proteste ausgeblieben.

Geht es konkreter?

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind Geldverschwendung. Stattdessen sollte der Staat Beschäftigungsgutscheine für langfristig Arbeitslose ausgeben, die von der Arbeitslosenunterstützung finanziert werden. Die Arbeitslosen würden mehr verdienen, die Unternehmer hätten geringere Kosten, würden mehr Leute einstellen, und der Staat bekäme mehr Steuern. Das ist besser als die Benachteiligung ganzer Schichten durch die Hartz-Reform.

Die Agenda 2010 gilt als Reaktion auf die Globalisierung. Zu Recht?

Die Agenda steht für einen flexibleren Arbeitsmarkt und für mehr Eigenverantwortung. Das ist ein erster Schritt, mehr nicht. Das Ziel sollte auf höhere Produktivität fokussiert sein, nicht auf weniger Lohn.

Lohnverzicht scheint aber das einzige Mittel gegen Job-Verlagerungen zu sein.

Das ist nicht der einzige Weg. Wenn wir es schaffen, die Produktivität zu steigern, gibt es eines Tages auch wieder mehr Beschäftigung – auch die Löhne können wieder steigen. Wir müssen wissen, mit wem wir konkurrieren. Deutsche verdienen sechsmal so viel wie Polen und siebzehn Mal so viel wie Rumänen. Diesen Wettlauf kann Deutschland nicht gewinnen. Deshalb müssen wir auf die Bildung setzen.

Auch hier holen die Konkurrenten auf.

Deutschland muss nicht ein Verlierer der Globalisierung sein. Die weltweite Arbeitsteilung wird effizienter und wir könnten alle reicher werden. Denn durch die Verlagerung von Teilen der Produktion könnte die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen steigen. Zur Gefahr wird die Globalisierung nur, wenn die Deutschen mit Protektionismus, abgeschotteten Arbeitsmärkten, mehr Kündigungsschutz und Flächentarifen reagieren.

In welchen Branchen werden wir in zehn, zwanzig Jahren noch stark sein?

Das ist eine typisch kommunistische Frage. Der Versuch, so etwas zu steuern, ist immer gescheitert. Sobald die Regierung festlegt, in welchen Branchen und Regionen Hoffnung zu bestehen habe, kommt es zum Scheitern.

Einen Arbeiter, der gerade seinen Job verloren hat, wird das kaum trösten.

Dem Arbeitsmarkt stehen Veränderungen bevor, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Auf den Gütermärkten hat das bereits nach dem Krieg eingesetzt, deshalb sind Millionen neuer Produkte entstanden. Mit den Innovationen auf dem Arbeitsmarkt kommen neue Herausforderungen auf die Menschen zu.

Da wird nicht jeder mitkommen.

Deshalb muss der Staat Ideen entwickeln, um das Humankapital und die Produktivität zu fördern. Es gibt zu wenige Möglichkeiten zur Weiterbildung. Eine Möglichkeit wäre, dass Aktionäre ihr Geld in die Ausbildung eines Menschen investieren, und ab einem gewissen späteren Einkommen bekommen sie eine Rendite von, sagen wir, einem Prozent seines Einkommens.

Wo bleiben die Gewerkschaften zwischen all der Innovation und Globalisierung?

Die Arbeitswelt wird heterogener und flexibler, die Fabriken der Zukunft werden weniger Standardprodukte für Massenmärkte herstellen. IG Metall oder Verdi müssen ihren Mitgliedern helfen, auf mehreren Feldern gute Leistungen zu bringen und ständig ihr Wissen zu erweitern.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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