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Wirtschaft: Der Ausstieg ist machbar, aber nicht sofort

BERLIN .Wer sich die aktuelle Atomenergie-Debatte ansieht, fühlt sich in eine Löwengrube versetzt: Da wird gebissen, gezerrt und getreten.

BERLIN .Wer sich die aktuelle Atomenergie-Debatte ansieht, fühlt sich in eine Löwengrube versetzt: Da wird gebissen, gezerrt und getreten.Kein Wunder: Es geht um vieles.Nicht nur um technische Fragen, die wären noch vergleichsweise leicht zu beantworten.Aber es steht möglicherweise auch viel Geld auf dem Spiel - Schadensersatz für die Abschaltung relativ neuer Atomkraftwerke.Hinzu kommt, daß sich die Wirtschaftsforscher noch nicht einmal über das Wachstum in diesem Jahres einig sind - wer will da Prognosen über den Stromverbrauch in den nächsten 50 Jahren abgeben? Oder klammert man die Großverbraucher besser gleich aus, weil sie sich den billigen französischen Atomstrom ohnehin per Durchleitung heranholen? Dann könnte man sogar noch ein paar Kohlekraftwerke abschalten.

Die einzig noch halbwegs seriöse Weise, sich der in Bonn derzeit heftig diskutierten Frage zu nähern, ob und falls ja, wann man auf die Atomkraftwerke verzichten kann, muß auf der Basis gesicherter Zahlen geschehen.Und da steht - von keiner Seite bezweifelt - fest, daß 1997 in Deutschland insgesamt 472 Mrd.Kilowattstunden verbraucht wurden, von denen 36 Prozent in den 19 laufenden Atomkraftwerken produziert worden sind.

Wer diese eins zu eins ersetzen will, der muß etwa 40 besonders stabile Verbrennungskraftwerke errichten.Das geht innerhalb von fünf Jahren und kostet etwa 600 bis 800 Mill.DM das Stück.Billiglösungen verbieten sich von selbst, weil die neuen Anlagen fast das ganze Jahr über arbeiten müssen (7700 von 8760 möglichen Jahresstunden halten Atomkraftwerke durch).Moderne, gasbefeuerte Gas- und Dampf-Kombikraftwerke hätten auch den Vorteil, daß sie ihre Umgebung mit Heizung und Warmwasser versorgen könnten.

Aber wer Verbrennungskraftwerke baut, erhöht wieder den Ausstoß an Kohlendioxid.Können regenerative Energieformen helfen? Nur bedingt, da der Wind nicht gerade immer dann weht, wenn viel Strom gebraucht wird.Und die halbwegs zuverlässige Wasserkraft ist schon mit einem fünfprozentigen Anteil an der Stromproduktion beteiligt und kaum weiter auszubauen.Photovoltaische Anlagen bringen während ihrer Lebenszeit vielleicht gerade einmal so viel Strom, wie ihre Herstellung an Energie gefressen hat.

Bleibt das Thema "Sparen", vor allem im privaten Bereich.Doch die Haushaltsgeräte wurden schon in den vergangenen zwei Jahrzehnten so weit verbessert, daß kaum noch etwas herauszuholen ist.Nur Verhaltensänderungen könnten durchaus nennenswerte Einsparmengen (vermutlich um die zehn bis 20 Prozent des persönlichen Verbrauchs) bringen.Aber ohne Zwang gehen nur wenige Menschen mit Energie vorsichtig um.Hohe Stromtarife könnten das bewirken - doch die Liberalisierung der Märkte sollte ja zu Senkungen führen.

Und die Zahl der Arbeitsplätze? Die Stromwirtschaft behauptet, 38 000 Menschen lebten von den 19 Atomkraftwerken: 8000 als Betriebspersonal, 3000 bei Revisionen, 3600 als Fremdpersonal in den Anlagen, 16 000 in den Herstellerfirmen, 3000 in der nuklearen Brennstoffver- und -entsorgung, 3000 im Bereich der kerntechnischen Exporte und 1100 als Gutachter.

Aber: Nicht alle Arbeitsplätze gingen verloren, denn neue Kraftwerke laufen auch nicht von selbst.Und sicherlich fänden diese Menschen, auch einen anderen Arbeitsplatz, an anderer Stelle.Denn im Sinne einer Energiesparpolitik könnte vieles verbessert werden, von der Gebäudeisolierung bis zur Energie-Regeltechnik.Doch das kostet viel Geld, das erst beschafft werden müßte.Und damit sind wir wieder am Beginn dieses Textes angelangt.

GIDEON HEIMANN

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