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Mehr Wohlstand. Eine Frau in Ramallah kauft in einem Schmuckgeschäft ein. Foto: rtr

© REUTERS

Wirtschaft: Der Boom der Palästinenser

Die Daten sind gut. Trotzdem wäre ein eigener Staat ökonomisch kaum tragfähig

Sam Bahour hat im Nahen Osten gefunden, was er im Mittleren Westen vergeblich gesucht hat. Als Kind palästinensischer Einwanderer im US-Bundesstaat Ohio aufgewachsen, lebt der Unternehmer seit 1994 in Ramallah und bastelt an einer arabischen Variante des amerikanischen Traums. Er hat den Telekomkonzern Paltel mitgegründet, heute mit 2000 Mitarbeitern und Millionenumsätzen der größte private Arbeitgeber in den Palästinensergebieten. Er war beteiligt, als auf den Hügeln der Westbank die erste Shopping-Mall nach US-Vorbild öffnete. Er ist einer von denen, die angestoßen haben, was nach einer enormen Erfolgsgeschichte aussieht.

Denn die Wirtschaftsleistung der Westbank liegt mittlerweile 70 Prozent über dem Wert, den Bahour vor 17 Jahren in Ramallah vorfand. „Schauen Sie sich in der Stadt um, man braucht keine Statistiken zu studieren, um den Boom zu erahnen“, sagt er, „man sieht ihn an jeder Straßenecke.“ Und tatsächlich: Taxis kreisen um den Al-Manarah-Platz, junge Menschen vergnügen sich in Cafés und Boutiquen, in der Nähe haben sich im vergangenen Jahr ein Mercedes-Händler und ein Fünf-Sterne-Hotel angesiedelt.

Der Boom zeigt sich auch in offiziellen Zahlen: Trotz der Weltwirtschaftskrise wuchs die Westbank-Wirtschaft 2010 um neun Prozent. Die Arbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen vier Jahren auf 17 Prozent mehr als halbiert. Selbst den Internationalen Währungsfonds (IWF) lässt diese Bilanz schwärmen: Im April jubelte er, die Wirtschaft sei für die Staatsgründung bereit. Genau das strebt Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas an, der am Freitag den entsprechenden Antrag in die Uno-Vollversammlung einbringen will. Yuval Steinitz, Israels Finanzminister, lehnt den Alleingang von Abbas natürlich ab – und die Zahlen aus der Westbank überzeugen ihn auch nicht. „Was die Palästinenser uns anbieten, ist alles andere als die Aussicht auf Frieden, sondern eine Bedrohung der nationalen Sicherheit“, sagt er. Und überhaupt: „Die Wirtschaft in der Westbank ist weit davon entfernt, gesund zu sein.“

Die Einwände entspringen nicht nur politischem Kalkül, in Ramallah selbst ist ähnliches zu hören. „Was hier passiert, ist alles andere als ein Wirtschaftswunder“, sagt Unternehmer Bahour. Von einem dauerhaften Aufschwung könne nicht die Rede sein, stattdessen fackelten ausländische Spender ein Strohfeuer ab. Der IWF sieht es ähnlich. Die örtlichen Behörden unternähmen lobenswerte Reformen, seien aber weiterhin durch und durch abhängig von Fremdmitteln. „Das wird sich auf die schnelle nicht ändern“, warnt Udo Kock, IWF-Repräsentant in den Palästinensergebieten. Präsident Abbas schien das auszublenden, als er vor wenigen Wochen, berauscht vom Aufschwung der letzten Jahre, die internationale Staatengemeinschaft trotzig wissen ließ: Wenn man mit der Staatsgründung die Zahlung von Hilfsgeldern riskiere, müsse man das Risiko eben eingehen.

Ein Drittel des Jahresbudgets wird durch US- und EU-Zuschüsse gestemmt, mehr als eine halbe Milliarde Euro wurde allein in der ersten Jahreshälfte überwiesen – bilaterale Hilfsgelder nicht eingerechnet. Gereicht hat das freilich nicht: Im Juli standen die Palästinenserbehörden vor dem Bankrott. Präsident Abbas schob die Finanzkrise auf die mangelnde Zahlungsmoral der arabischen Brüder und flehte um zügige Überweisungen.

Das laufe seit Jahrzehnten nach dem gleichen Muster, sagt Unternehmer Bahour: „Versprochen wird viel, überwiesen wird wenig“. Gleichzeitig hat sich aber der Vertrauensbonus auch innerhalb der Westbank mittlerweile erschöpft: Die palästinensischen Banken trauen ihrer eigenen Regierung nicht mehr über den Weg und verweigerten jüngst jede weitere Kreditvergabe an die Abbas-Behörden. Schwierigkeiten bereitet den Palästinensern zudem hausgemachte Probleme: Korruption, Vetternwirtschaft und Schmuggel sind noch immer weit verbreitet, mahnt der IWF.

Der Frust unter den Palästinensern auf die eigene Regierung wächst daher. Murad Tabhoub ist einer von denen, die sich entnervt von der Politik abgewandt haben. Der IT-Unternehmer sagt, zu viele hätten sich in ihrem Leben auf Pump eingerichtet. Vor elf Jahren gründete er seine Firma Asaltech, die mittlerweile 80 Mitarbeiter beschäftigt und unter anderem für Großkonzerne wie Cisco und Intel arbeitet. Für Unternehmer wie ihn könnte der Alleingang von Präsident Abbas schmerzhaft werden, denn die USA und Israel drohen mit verschärften Sanktionen. Doch Murad Tabhoub bleibt zuversichtlich. „Strom und Telefon haben uns die Israelis nie abgestellt“, sagt er. „Mehr brauchen wir nicht.“

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