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Ein Strato-Mitarbeiter steht an einem Metallschrank voller Rechner und schraubt an ihnen herum.

© promo

Der Datenhunger der Cyber-Wirtschaft: Wenn das Internet umzieht

Der Dienstleister Strato betreibt in Berlin ein großes Rechenzentrum. Das muss ständig aufrüsten – bei laufendem Betrieb. Schuld ist womöglich auch die NSA

René Wienholtz macht kein Licht. Im Halbdunkel findet er den Effekt am schönsten. „Ich zeige das gern“, sagt der Technik-Vorstand der Berliner Strato AG. „Hier kann man das Internet leuchten sehen.“ Wienholtz geht durch einen schmalen Gang. Rechts und links von ihm stehen 2,60 Meter hohe Regale mit Servern. Hunderte kleine blaue Lämpchen blinken. „Ich kann anhand der Blinkmuster erkennen, was da gerade passiert“, sagt Wienholtz. An einer Stelle pulsieren die Leuchtdioden gleichmäßig. „Hier wird gespeichert und hier, wo die Leuchtdioden dauerhaft leuchten, da passiert gerade gar nichts.“ An anderer Stelle wiederum blinken die Leuchtdioden wild durcheinander. „Das sieht aus wie eine normale, produktive Nutzung durch unsere Kunden.“

Mehr als 10 000 Rechner stehen dicht gepackt in den Regalen auf der 850 Quadratmeter großen Etage. Über fünf Etagen erstreckt sich das Rechenzentrum insgesamt mit 55 000 Servern. Strato ist einer der größten Web-Hoster weltweit. Das Unternehmen beherbergt und betreibt Rechner, auf denen Firmen und Privatleute ihren Internetauftritt einrichten, ihre Daten speichern oder ihre elektronische Kommunikation abwickeln können – und verbindet sie mit dem Internet.

1997 in Berlin gegründet, gehört Strato mit seinen 500 Mitarbeitern seit 2009 zur Deutschen Telekom. In Karlsruhe hat Strato noch ein zweites Rechenzentrum. „Wir gehören zu den kritischen Infrastrukturen in Deutschland“, erklärt Wienholtz. Das heißt: Gingen die Lichter in einem der Rechenzentren aus, hätte dies schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft im ganzen Land.

Und deswegen ist das Vorhaben auch so riskant: Weil die Nachfrage nach Internetdiensten und Speicherplatz stark wächst, muss Strato sein Rechenzentrum erweitern. Das heißt: „Das Internet muss umziehen – und das bei laufendem Betrieb“, sagt Wienholtz. „Ich kenne keinen, der so einen Live-Umzug schon einmal gemacht hat.“ Dabei fehlt es nicht an Platz, denn auch Server werden immer kleiner und leistungsfähiger. „Aber die Kapazitäten der Stromversorgung und der Klimaanlage reichen einfach nicht mehr aus.“ Am Ende soll die Leistung der Server um 30 Prozent steigen, das heißt aber auch, dass die Strom- und Kühlungskapazität um 30 Prozent wachsen muss.

Der Aufwand ist enorm: Zuerst bauen die Techniker die Strom- und Klimaversorgung um und ersetzen alte Stromverteiler, Transformatoren, Leitungen und Klimageräte durch neue. Dann werden die Datenräume nacheinander leergeräumt, dann umgebaut und schließlich wieder mit den Servern bestückt. Ein erster Raum ist inzwischen fertig, 8730 Server mit den Daten von mehr als 300 000 Kunden sind bereits umgezogen. Alles in allem wird der Umbau fünf Jahre dauern. In dieser Zeit werden die Techniker 550 Kilometer Kabel verlegen und mehr als 45 000 Schrauben eindrehen.

Wenn der Strom ausfällt, reicht der Diesel für vier Tage

Bis jetzt sei das Rechenzentrum noch nie ausgefallen, sagt Betriebsleiter Andrej Kaiser. Ein zentrales Element der Sicherheitsstrategie ist dabei die Stromversorgung, die übrigens zu 100 Prozent aus CO2-neutralem Strom der Natur-Energie AG gedeckt wird. Zwei voneinander unabhängige 10 000-Volt-Mittelspannungsleitungen kommen direkt vom Umspannwerk ins Haus. Überhaupt sieht es im Keller mit den sechs Transformatoren aus wie in einem Elektrizitätswerk. „Hier wird die Energie eingespeist, geschaltet und transformiert“, sagt Kaiser. Dann wird der Strom auch im Haus über zwei unabhängige Leitungssysteme verteilt. Fällt die blaue Leitung aus, übernimmt die orangene. Einen Raum weiter zeigt Kaiser eine der Sicherungen. Es sind fast 50 Zentimeter lange Röhren, fast fünf Kilo schwer. „Von denen ist noch nie eine durchgebrannt“, sagt der Betriebsleiter.

Am Eingang des nächsten Raumes muss man über eine Ölbarriere steigen, hier stehen zwei der sechs Dieselaggregate. Zusammen bilden sie ein Kraftwerk mit einer Leistung von acht Megawatt. Es springt ein, sobald das Berliner Netz keinen Strom mehr liefert. „Den Fall hatten wir schon einmal, da liefen die Dieselmotoren die ganze Nacht“, erzählt Kaiser. Der Ölvorrat hätte für vier Tage gereicht.

Bevor Wienholtz einen der Datenräume in den Stockwerken darüber betritt, streift er sich Schutzschuhe über. Er will keinen Staub in den Raum tragen, der von den Laserpartikelsensoren als Rauch interpretiert werden könnte und dann Brandalarm auslösen würde. Die Stromleitungen sind gut abgeschirmt in einem doppelten Boden im Fußboden untergebracht. In einer Ecke stehen die Batteriepakete, knapp 50 Tonnen schwer. Denn um eine absolut schwankungsfreie Stromversorgung zu haben, werden erst die Batterien aufgeladen, die versorgen dann die Rechner mit Energie. Mit der Stromeingangsleistung des Rechenzentrums von acht Megawatt könnte man auch 5000 Vierpersonenhaushalte versorgen.

Filtertüten im Plastiktüten-Format reinigen die Luft

Und je wärmer es draußen ist, desto höher ist der Energiebedarf. Denn Kühlung ist das zweite große Thema, wenn man ein Rechenzentrum mit 55 000 Servern betreibt. Wenn sich Wienholtz einer Serverwand von der Rückseite nähert, bläst ihm warme Luft wie aus einem Heizlüfter entgegen. Um den Energiebedarf zu senken, werden die Server in sogenannten Kaltgängen aufgestellt: Die Server stehen sich jeweils mit der Frontseite gegenüber. Kalte Luft wird von unten durch den Doppelboden eingeblasen, strömt nach oben, wird von den Servern angesogen und in den Warmgang abgegeben. Bei einer Temperatur zwischen 18 und 22 Grad arbeiten die Server optimal. Beim Umbau hat Strato eine neue Klimaanlage installiert, die erstmals auch mit Frischluft arbeitet. Um die Berliner Luft erst einmal grob zu reinigen, hängen Filtertüten groß wie Plastiktüten vor den Fensteröffnungen.

„Spätestens 2015, also noch bevor der jetzige Umbau fertig ist, müssen wir uns über die nächste Erweiterung Gedanken machen“, sagt Wienholtz. Denn bei dem erwarteten Wachstum werden die neu gewonnenen Kapazitäten bald wieder ausgelastet sein. „Wir können nicht sagen, ob die NSA-Affäre uns tatsächlich neue Kunden bringt“, sagt Wienholtz. „Klar ist aber, dass im Kundenzentrum viele Fragen danach kommen, wo wir unsere Daten speichern. Und natürlich ist es unser Vorteil, dass wir dem strengen deutschen Datenschutzgesetz unterliegen.“ Denn auch wenn Wienholtz die Blinkmuster interpretieren kann. „Reingucken in die Server können und dürfen wir nicht.“

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