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Wirtschaft: Der Euro kann weitere Haushaltssünder nicht vertragen

Vor den Studenten der Oxford-Universität bemühte sich der Bundesbankpräsident am Freitag um Schadensbegrenzung: "Wir werden die Entwicklung sorgfältig analysieren", versprach Hans Tietmeyer den jungen Briten. Die Euro-Schwäche, gab der Notenbanker zu, sei keine gute Nachricht.

Vor den Studenten der Oxford-Universität bemühte sich der Bundesbankpräsident am Freitag um Schadensbegrenzung: "Wir werden die Entwicklung sorgfältig analysieren", versprach Hans Tietmeyer den jungen Briten. Die Euro-Schwäche, gab der Notenbanker zu, sei keine gute Nachricht. Gut oder schlecht - den Devisenhändlern sind derartige Kategorien fremd. Der Kurs ergibt sich aus Angebot und Nachfrage, Bewertungen sind fehl am Platze.

Ganz so einfach macht es sich der Rest der Welt nicht. Ursachenforschung ist angesagt. Was setzt den Euro unter Druck? Viele Gründe beeinflussen den Trend an den Devisenmärkten: die Konjunktur- und Preisdaten, die Wirtschafts- und Finanzpolitik, politische Entwicklungen und - natürlich - eine gehörige Portion Psychologie. Wie wäre es auch anders zu erklären? Nachdem Europas Finanz- und Wirtschaftsminister den Italienern zubilligten, mehr Schulden zu machen als ursprünglich vorgesehen, befindet sich der Euro nahezu im freien Fall. Der finanzpolitische Fehltritt der Italiener gilt als Sündenfall. Und längst geht die bange Frage um: Wer wird der nächste Haushaltssünder sein?

Wie nachhaltig das Mißtrauen gegenüber der Verläßlichkeit europäischer Finanzpolitik mittlerweile ist, dokumentieren die Kurse: Nicht einmal die Friedenshoffnungen für das Kosovo vermochten die europäische Einheitswährung am Wochenende dauerhaft zu stabilisieren. Dabei hatte noch im Januar Fred Bergsten, Direktor des angesehenen US-Instituts für internationale Wirtschaftspolitik, eine lawinenartige Umschichtung von Dollar in Euro prophezeit. Von einer Billion Dollar war die Rede. Auch Thomas Mayer, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, lieferte Argumentationshilfe. Das enorme Ungleichgewicht in den Leistungsbilanzen der Amerikaner und der elf Euro-Länder werde den Dollar zwangsläufig schwächer machen. Heute ist das Schnee von gestern.

Im Moment sieht es nämlich ganz so aus, als ob der Euro im Duell mit dem Dollar unterliegt. Seit dem starken Antritt Anfang des Jahres hält sich die Nachfrage nach Euro in Grenzen. Allenfalls als Schuldenwährung ist er beliebt. Wer kann, verschuldet sich zu Billigpreisen in Euro. Als Anlagewährung hingegen bewegen sich Euro-Papiere hoffnungslos im Schatten des Dollar. Schlimmer noch: Euro-Kredite für Dollar-Anlagen stehen zur Zeit gleichermaßen bei privaten wie institutionellen Investoren ganz hoch im Kurs. Die Sache gilt als sicher, der Gewinn scheint programmiert. Während Amerikas Wirtschaft international die Konjunkturlokomotive Nummer eins bleibt, dümpelt Euro-Land vor sich hin. Die relativ trüben Konjunkturaussichten, die vergleichsweise niedrigeren Zinsen und Wackelkandidaten wie Italien, die Mühe haben, Stabilitätskurs zu halten, belasten den Euro. Hinzu kommt, daß die Europäische Zentralbank im April die Leitzinsen unerwartet deutlich nach unten schraubte und so dem bereits schwachen Kurs einen weiteren Hieb versetzte. Womöglich haben sich die Notenbanker damit selber ohne Not in Zugzwang gebracht. Denn inzwischen ist sogar wieder von höheren Zinsen in Euroland die Rede. Nicht oft, aber immer öfter wird derweil ein Wechselkursverhältnis von eins zu eins zum Greenback nicht länger ausgeschlossen. Die Stimmung droht zu kippen. Dem Hinweis auf die währungsbedingten Exportvorteile der Unternehmen aus der Euro-Region und den damit verbundenen Hoffnungen auf neue Jobs halten Skeptiker entgegen, daß zugleich die Gefahr steigender Inflation wachse, wenn sich die Einfuhrwaren verteuern. Allerdings macht die Importquote aus Drittstaaten in Euro-Land nur rund zehn Prozent aus. Und auch die jüngsten Prognosen der OECD geben von kräftigen Preisschüben nur wenig zu erkennen. Nur für Irland und Portugal erwarten die Ökonomen eine Teuerung von drei Prozent, die Mehrheit der Euro-Länder soll unter der Zwei-Prozent-Marke bleiben.

Die wirklichen Gefahren lauern an anderer Stelle. Allein die Iren können mit Fug und Recht behaupten, daß die Konjunktur bei ihnen so richtig brummt. Nicht schlecht läuft es in Spanien und - mit Abstrichen - auch noch in Portugal. Doch in allen anderen Ecken der Währungsunion kommt die Wirtschaft in diesem Jahr nicht auf Touren. Die Folge: Dringend nötige Steuereinnahmen fehlen. Sollen die öffentlichen Haushalte aber nicht weiter aus dem Lot geraten, müssen die Regierungen noch strikter zum Rotstift greifen. Denn neue Steuern passen nicht in die Landschaft, und auch weitere Schulden sind tabu.

Doch Sparen ist leichter gesagt als getan. Und Erfahrungswerte zeigen, daß ein Prozent Wachstum weniger das Haushaltsdefizit beispielsweise in Deutschland um einen halben Prozentpunkt nach oben treiben kann. In Italien sind es immerhin noch 0,4 Prozent. Außer Iren, Finnen und Luxemburgern, die in Euro-Land einen Etatüberschuß verzeichnen, liegen die Prognosewerte für alle übrigen acht Mitgliedsstaaten der Währungsunion in Sachen Haushaltsdefizit im roten Bereich. Keiner von ihnen, glaubt Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil, wird seine Versprechen halten. Die Anfang des Jahres vorgelegten nationalen Stabilitätsprogramme seien Makulatur. Das gilt auch für die Deutschen.

Noch müht sich Bundesfinanzminister Hans Eichel, dem Widerstand der Lobbyisten zu trotzen und tatsächlich zu sparen. Er weiß: Was in Deutschland passiert, wird über die Zukunft der europäischen Währung entscheiden. Immerhin ist die deutsche Volkswirtschaft in der gemeinsamen Währung mit einem Drittel gewichtet. Klar, daß man da auf die deutsche Finanzpolitik schaut. Die entscheidende Frage freilich wird sein, wie lange der gute Wille der Finanzpolitiker in Euro-Land vorherrscht, durch strikte Konsolidierungspolitik der gemeinsamen Währung ein adäquates Stützkorsett einzuziehen. Analysten und Händler bleiben mißtrauisch: Wenn das Wachstum vor allem in Frankreich und Deutschland in den nächsten vier Quartalen hält, was es verspricht, werden womöglich die Franzosen die ersten sein, die mit einer Defizitquote von drei Prozent sogar die Spielregeln des sakrosankten Stabilitätspaktes brechen. Und dabei sind die unzähligen Bilanztricks und Schattenhaushalte noch gar nicht berücksichtigt.

MARTINA OHM

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