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Wirtschaft: Der Fluch des Gewinnens

Online-Auktionshäuser gelten als Gelegenheit für Schnäppchen - häufig zu Unrecht

Düsseldorf – „Drei... zwei... eins... meins!“, wirbt das Internet-Auktionshaus Ebay. In Werbefilmen der Firma fallen sich Menschen nach einer gewonnenen Auktion um den Hals oder springen vor Freude in die Luft.

In Wahrheit jedoch haben Ebay-Nutzer, die den Zuschlag erhalten, nicht immer Grund zur Freude. Studien von Ökonomen zeigen: Im Eifer des Gefechts haben die Sieger mitunter zu viel Geld geboten und zahlen am Ende einen überhöhten Preis.

Auktionstheoretiker haben dafür einen feststehenden Ausdruck – sie sprechen vom „winner’s curse“, dem Fluch des Gewinnens. Dahinter steht die Erkenntnis: Wer am meisten geboten hat, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit einfach der, der sich am beim Wert des Objekts am stärksten nach oben verschätzt hat. Der Fluch lastet auf bis zu drei Vierteln aller Auktionsgewinnern, zeigt eine Studie eines Forscherteams der US-Unis Stanford und Berkeley.

An sich sind Online-Auktionen eine der beeindruckendsten Erfolgsgeschichten des Internet. So hat sich Ebay seit seiner Gründung im Jahr 1995 zu einem globalen Handelsriesen entwickelt. Allein in Deutschland summierte sich das Handelsvolumen 2005 auf 8,5 Milliarden Euro. Weltweit wechseln pro Sekunde Waren im Wert von über 1600 Dollar den Besitzer. Jeder fünfte Deutsche will bei Ebay in diesem Jahr einen Teil seiner Weihnachtseinkäufe erledigen.

Beliebt sind Online-Versteigerungen unter anderem, weil die Nutzer das Gefühl haben, dort besonders günstig einkaufen zu können. Das kann aber ein Trugschluss sein, warnen Auktionsspezialisten. „Das Gewinnen einer Auktion bedeutet, dass allen anderen Bietern das versteigerte Objekt weniger wert war“, sagt der Kölner Ökonom Axel Ockenfels. Seinen Studenten führt er das Dilemma mit einem Marmeladenglas vor Augen, das mit Cent-Stücken gefüllt ist und das er in seiner Vorlesung versteigert. „Im Mittel liegen die Gebote nah am wahren Wert des Glases“, erzählt der Professor. „Das höchste Gebot, das gewinnt, ist aber in aller Regel deutlich überzogen.“ Wie stark der Fluch des Gewinnens auf realen Ebay-Auktionen lastet, ist unter Wirtschaftswissenschaftlern allerdings umstritten. Ockenfels ist nach vielen Studien zu dem Schluss gekommen: „Im Allgemeinen – aber nicht immer – kann man bei Ebay-Auktionen gute Deals machen.“ Besonders hoch ist die Wahrscheinlichkeit, wenn einem das Objekt – zum Beispiel ein Sammlerstück – selbst tatsächlich mehr wert ist als anderen Bietern. Oder aber, man hat guten Grund zu der Annahme, dass es nur sehr wenige sachkundige Gegenbieter gibt, man selbst aber den wahren Wert des Produktes sicher einschätzen kann.

Wie leicht man in die Falle des Zu-Viel-Bieten tappen kann, weisen die US-Forscher Hanh Lee (Stanford) und Ulrike Malmendier (Berkeley) anhand eines Produkts nach, über dessen Wert bei Ebay-Nutzern eigentlich kein Zweifel herrschen dürfte: einem Gesellschaftsspiel namens „Cashflow 101“. Das Spiel, das beim Hersteller 195 Dollar kostet, haben zwei renommierte Händler im Untersuchungszeitraum bei Ebay.com zum Festpreis von 129 Dollar angeboten.

Die Ökonomen haben ein halbes Jahr lang fast 700 Ebay-Transaktionen rund um „Cashflow 101“ beobachtet. Sie stellten fest: Klammert man die Versandkosten aus, lag der Endpreis bei 43 Prozent aller Auktionen über dem Sofortkauf-Preis. Wenn man die Versandkosten berücksichtigt, zahlten sogar 72 Prozent der Bieter zu viel.

Die überzogenen Gebote stammen nur von einer kleinen Minderheit von Ebay-Nutzern. Gerade einmal zwölf Prozent aller Bieter unterlaufen solche Fehler. Weil aber das höchste Gebot gewinnt, genügt eine kleine Gruppe, um das gesamte Preisniveau zu verzerren. „In Auktionen gewinnen systematisch die Bieter, die die stärkste Neigung zum Zuviel-Bezahlen haben“, schreiben Lee und Malemendier.

Vielen Käufern bereitet es offenbar auch Probleme, das Betrugsrisiko bei den Internet-Auktionen richtig einzuschätzen. Die Ökonomen Ginger Zhe Jin und Andrew Kato machten dies in einem Experiment am Beispiel von Autogrammkarten von Sportlern deutlich. In den USA haben diese Karten einen ähnlichen Status wie hier zu Lande Briefmarken und erzielen Preise bis zu 1500 Dollar.

Die Ökonomen ersteigerten für ihre Studie bei Ebay Baseball-Sammelkarten und ließen Echtheit und Qualität anschließend von unabhängigen Gutachtern beurteilen. Sie stellten fest:Bei Autogrammkarten, die der Verkäufer als besonders selten oder sehr gut erhalten anpries, war die Betrugswahrscheinlichkeit deutlich höher. Dennoch endeten solche Auktionen mit 33 bis 54 Prozent höheren Preisen als Versteigerungen, in denen die besondere Qualität der Karte nicht herausgestellt wurde. Das Ebay-Bewertungssystem schützt Käufer laut Studie nur unzureichend. Ein Problem, das Ebay erkannt hat – bis Mitte 2007 will das Unternehmen ein deutlich detaillierteres Bewertungsschema einführen. Bei der Entwicklung hat sich Ebay unter anderen von Ockenfels beraten lassen.

Bietern empfiehlt der Ökonom, die Gebote erst am Ende der Auktion abzugeben. Dann kauft man in der Regel billiger ein. An sich widerspricht dies den Erkenntnissen der Auktionstheorie – und auch den Empfehlungen von Ebay. Denn bezahlen muss man ohnehin nur die Summe, die leicht über dem zweithöchsten Gebot liegt. In der Realität, stellten Ockenfels und Alvin Roth aus Harvard fest, fahren so genannte Heckenschützen, die erst ganz am Schluss einsteigen, aber besser. Hauptgrund dafür sind unerfahrene Ebay-Nutzer, die ihre Gebote erhöhen, sobald sie überboten werden. Wer als Heckenschütze agiert, nimmt solchen „naiven“ Bietern die Chance, noch einmal nachzulegen. Allerdings läuft er Gefahr, dass sein Gebot nicht mehr zum Zuge kommt.

Verkäufer können die Preise für ihre Ware mit mehreren Tricks in die Höhe treiben. So lohnen sich längere Auktionslaufzeiten. Lee und Malmendier stellten fest: Mit jedem Tag, den ein „Cashflow 101“-Spiel länger online ist, steigt der Verkaufspreis im Schnitt um 1,20 Dollar. Noch wirksamer ist es, den höheren offiziellen Preis des Herstellers (195 Dollar) zu erwähnen. Lukrativ ist auch eine Strategie, die nach den Geschäftsbedingungen von Ebay verboten ist – sich aber kaum nachweisen lässt: So können Anbieter unter anderem Namen bei ihren eigenen Auktionen mitsteigern – oder Freunde bitten, dies zu tun. Bei sechs Prozent aller Versteigerungen kommt es zu solchen Lockvogel-Geboten, schätzen die Ökonomen Robert Kauffman und Charles Wood. (HB)

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