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Wirtschaft: Der Fluch des Öls

Warum das schwarze Gold in Nigeria die Korruption fördert – und wie die Regierung dagegen vorgeht

Nacht für Nacht zapfen bewaffnete Gangs Öl-Pipelines in den Sümpfen des Niger-Deltas an. Schätzungen zufolge stehlen Schmuggler zehn Prozent der jährlichen Ölförderung des Landes. Und das ist viel: Im vergangenen Jahr hat Nigeria Öl im Wert von 23 Milliarden Euro produziert. „Bunkering“, wie der Öl-Diebstahl in Nigeria genannt wird, ist einer der größten Schwarzmärkte der Welt. Trotzdem haben die Behörden lange weggesehen. Denn bis vor wenigen Jahren regierten Militärs die bevölkerungsreichste Nation Afrikas. Und die Machthaber zapften oft selbst die Ölreichtümer des Landes an.

Unter dem nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo, der der Korruption in seinem Staat ein Ende machen wollte, änderte sich das. Vor zwei Jahren richtete Obasanjo eine „Kommission zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität“ ein. Zum Leiter ernannte er einen leitenden Bundespolizisten, der sich mit seinem hartem Durchgreifen gegen Korruption bereits einen Namen gemacht hatte: Nuhu Ribadu. Der 44-Jährige ließ zunächst in ausländischen Erdölraffinerien heimlich Proben nehmen. Und die bestätigten einen alten Verdacht: Ein großer Teil des gestohlenen nigerianischen Öls wurde von professionellen Händlerringen in entfernte Regionen wie Elfenbeinküste, Kamerun und Brasilien geschafft.

Dann tat Nuhu Ribadu etwas, das für nigerianische Verhältnisse unerhört ist: Er ging gegen die Verdächtigen vor. Der frühere Straßenpolizist hat in den vergangenen zwei Jahren unzählige Öl-Gangster, Internet-Betrüger und korrupte Politiker vor Gericht gebracht. 185 Verfahren bearbeitet jetzt die Justiz – vor zwei Jahren gab es noch kein einziges. Das ist nicht alles: Ribadu, der von seinem Büro in der nigerianischen Hauptstadt Abuja aus auf ein freies Grundstück mit grasenden Ziegen blickt, hat 200 Schmuggler verhaftet und Vermögen im Wert von 700 Millionen Dollar beschlagnahmt. Ribadus Arbeit hat sich gelohnt: Die von der Royal Dutch/Shell Group gemeldeten Öl-Diebstähle haben sich seit Anfang des vergangenen Jahres fast halbiert.

Die Kommission machte auch vor korrupten Politikern nicht halt. Im Zuge der Ermittlungen mussten in den vergangenen Wochen zwei Bundesminister gehen und ein hohes Regierungsmitglied zurücktreten. Der frühere Bildungsminister und sechs Abgeordnete standen vergangenen Dienstag wegen Bestechlichkeit vor Gericht. Selbst seinen früheren Boss, den Ex-Polizeichef des Landes, brachte Ribadu vor Gericht.

Nicht nur für nigerianische Politiker, auch für die internationalen Ölmärkte und deren Akteure könnte Nigerias Korruptionsbekämpfung weit reichende Folgen haben. Der Ölklau bringt die Konzerne um Einnahmen und hält sie von Investitionen ab, durch die wiederum größere Mengen auf den Markt gebracht werden könnten. Denn derzeit können die großen Ölförderer der Welt mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten – und der Ölpreis steigt.

Für Nigeria selbst ist das große Aufräumen im heimischen Ölgeschäft von großer Bedeutung. Nur so ist ein Wandel möglich. Seit die Briten im Jahr 1960 das Land verlassen haben, kämpft Nigeria darum, eine stabile Demokratie zu werden. Erschwert wird das nicht zuletzt durch den Ölreichtum. Nigeria leidet unter dem „Fluch des Öls“: Die schnell verdienten Petrodollars förderten korrupte Eliten und verhinderten langfristiges wirtschaftliches Planen.

Doch wenn es nach Ribadu geht, wird sich das ändern. Er glaubt, dass sein Land zum Vorbild für Afrika und andere Entwicklungsländer wird, was den Kampf gegen Betrug und Korruption betrifft. „Nigeria hält den Schlüssel für den Wandel in ganz Afrika in der Hand”, sagt er. Doch der Kampf gegen die Ölschmuggler gestaltet sich trotz der Anfangserfolge schwer. Ribadus Kommission hat einen mageren Jahresetat von zehn Millionen Dollar. Die ineffizienten und korrupten Gerichte haben einige von Ribadus größten Fängen laufen lassen. Seine Mitarbeiter werden bei Razzien in den weitflächigen Delta-Sümpfen erschossen. „Wir führen einen Guerillakrieg“, sagt Ibrahim Lamorde, der das Kommissionsbüro in Lagos leitet. Todesdrohungen gegen Kommissionsmitglieder seien an der Tagesordnung. Ribadu fährt einen BMW mit dicken Panzerscheiben. Und wenn jemand an seine Bürotür klopft, blickt er instinktiv auf den Monitor auf seinem Schreibtisch – der zeigt die Bilder, die die Überwachungskameras auf den Fluren aufnehmen.

Ribadus Kampf gegen Korruption reicht bis in die 80er Jahre zurück. Nach dem Jurastudium begann er als Straßenpolizist in den Slums von Lagos zu arbeiten. Seine elitäre Familie war schockiert. Immerhin war sein Vater Minister gewesen, und ein Polizistenjob lag entschieden unter dem Niveau eines Ribadu, fand der Clan. Aber Nuhu Ribadu blieb kein einfacher Polizist. Er stieg in der Bundespolizei auf, bis er 1997 die Abteilung für strafrechtliche Verfolgung leitete. Er brachte die Kumpane des früheren Diktators Sani Abacha wegen Mordes und Finanzvergehen vor Gericht.

Ribadus Kampf gegen die Öl-Schmuggler ist mühselig. Als seine Männer etwa vor kurzem ein Dorf mitten im Niger-Delta einkreisten, konnten sie beobachten, wie bewaffnete Schmuggler mehrere Tanklaster mit Rohöl füllten. Eingreifen aber konnte Ribadus Truppe nicht: Denn sie war schlechter bewaffnet als die Kriminellen. Und auch die Patrouillen am nahe gelegenen Fluss konnten sie nicht zu Hilfe rufen, weil sie in einem Funkloch steckten. So mussten sich die Männer unverrichteter Dinge zurückziehen. Als sie dann versuchten, die Schmuggler beim Wegfahren festzunehmen, entkamen die über eine andere Straße.

Chip Cummins

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