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Wirtschaft: „Der Globalisierung droht ein Rückschlag“

Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz über die Fehler der Industrieländer und den Abschwung in Amerika

Herr Stiglitz, Sie sagen, dass die Globalisierung nicht funktioniert. Beweist Deutschland nicht das genaue Gegenteil?

Wieso?

2006 sind wir zum vierten Mal in Folge Exportweltmeister geworden, die Ausfuhr ist die Stütze des deutschen Wachstums.

Schön für Sie. Aber Deutschland ist nicht allein auf der Welt. Und auch in der Bundesrepublik sind die negativen Folgen der Globalisierung bereits zu spüren. Wenn alles so weiterläuft wie bisher, wird dies auch Ihrem Land schaden.

Warum?

Überall wächst die Spaltung zwischen Arm und Reich. Dies geht im Kern zurück auf die Globalisierung. Die Verdienste der einfachen Arbeiter sind immer stärker unter Druck geraten. In den USA sind die Reallöhne in den letzten Jahren um 30 Prozent gesunken. Jedem zweiten Amerikaner geht es heute schlechter als zu Beginn des Jahrzehnts. Dieser Prozess wird weiter gehen, wenn nichts geschieht. Zugleich ist eine weitere Beschleunigung der Globalisierung schwierig geworden. Die armen Länder sind durch die letzte Welthandelsrunde und die ungerechten Handelsregeln noch ärmer geworden. In Märkten, die schwächer werden, kann auch der beste Exporteur nichts verkaufen. Und der Protektionismus in den Industrieländern nimmt zu. All das stellt auch Deutschland vor Probleme.

Was ist schief gelaufen?

Die Globalisierung ist schlecht organisiert. Die Hoffnungen der Menschen auf eine bessere Zukunft haben sich nicht erfüllt, weder in den Entwicklungs- noch in den Industrieländern.

Einigen einst armen Ländern geht es aber doch besser.

Ja, China und einige Länder in Ostasien haben die Veränderungen für sich genutzt. Das ist aber die Minderheit.

Manche sagen, langfristig nütze die Globalisierung allen Menschen.

Das können Sie den Leuten eine Zeit lang erzählen, aber irgendwann glauben sie Ihnen nicht mehr. Fakt ist: Heute gewinnen nur wenige Menschen und sehr viele verlieren. Das hat viele Ursachen. In Afrika sind es Handelsabkommen, die den Ländern keine Entwicklungschance lassen und nur dem Westen nützen. Lateinamerika leidet unter den falschen Politikrezepten des Internationalen Währungsfonds (IWF) für eine radikale Marktöffnung. Dadurch sind die Staaten anfällig geworden für Währungsschwankungen und Finanzkrisen. Durch die entgrenzten Kapitalmärkte fließt Geld aus armen in reiche Länder und bleibt nicht dort, wo es gebraucht wird. Der Markt, auf den viele setzen, produziert zu wenig wünschenswerte Dinge – Medikamente gegen Malaria etwa.

Wem geben Sie die Schuld dafür?

Die wirtschaftliche Globalisierung hat die politische überflügelt. Es fehlt der politische Wille, mit globalen Problemen gemeinsam fertig zu werden und soziale Gerechtigkeit herzustellen. Solidarität stoppt an der Grenze. Gleichzeitig ist die gegenseitige Abhängigkeit der Länder gestiegen. Es fehlen aber Institutionen, die die Probleme in die Hand nehmen könnten. Es gibt einen Mangel an Demokratie in der Globalisierung, deshalb konnten multinationale Konzerne aus der Pharma- oder der Finanzbranche die Agenda so beeinflussen. Nehmen Sie den IWF: Die USA haben als einziges Land ein Vetorecht, der Chef wird auf sehr intransparente Weise festgelegt. Die Menschen, die von der IWF-Politik direkt betroffen sind, haben keine starke Stimme.

Ist die Globalisierung noch zu retten?

Ja, mit einem neuen, globalen Gesellschaftsvertrag. Dazu gehört, dass die Industrieländer ihre Abschottung aufgeben. Handelsbeschränkungen wie Agrarsubventionen müssen weg – das würde den Entwicklungsländern helfen. Mit dem Geld, das die reichen Länder sparen, könnten sie die Verlierer dieses Subventionsabbaus in ihren Reihen entschädigen. Zudem müssen die Schulden der armen Länder gesenkt werden. Und es ist eine globale Wettbewerbsaufsicht nötig, die Preisabsprachen und globale Monopole verhindert. Es gibt eine ganze Reihe von Rezepten, man muss sie nur anwenden und andere Anreize setzen. Dann werden auch die Gewinne gerechter verteilt.

Was passiert, wenn die Industrieländer nichts tun?

Das können sich die reichen Staaten nicht leisten. Nicht nur aus moralischen Gründen. Denn sonst gibt es immer mehr Zuwanderung und immer weniger Stabilität. Und sie riskieren einen Rückschlag in der Globalisierung. Dieser Prozess ist ja kein Naturgesetz, vor dem Ersten Weltkrieg war sie um einiges intensiver als heute. Überall, wo es heute noch keine Regeln gibt, können neue Investitionsbeschränkungen und Handelsschranken hochgezogen werden. Das würde den reichen Ländern weh tun – die Konsumenten müssten mit steigenden Preisen rechnen. Anzeichen für mehr Protektionismus gibt es ja, vor allem bei grenzüberschreitenden Firmenkäufen. Die Nervosität nimmt zu.

Die USA dürften kaum ein Interesse daran haben, Macht abzugeben.

US-Präsident George W. Bush hat in seiner Amtszeit eine Menge Schaden angerichtet. Viele Amerikaner machen den Unilateralismus für sein Scheitern verantwortlich. Jetzt nähert sich das Land wieder dem Rest der Welt an – das zeigt sich etwa darin, dass viele amerikanische Bundesstaaten nun mehr für den Klimaschutz tun und das Kyoto-Abkommen beachten. Denn die globale Erwärmung macht den Amerikanern Sorge. Überhaupt wird die Angst vor der Klimaveränderung eine der stärksten politischen Antriebskräfte unserer Zeit werden. Eine Kohlendioxid-Steuer in jedem Land wäre das einfachste Gegenmittel. Diese Idee ist so simpel, dass sie sich durchsetzen wird.

Wie kann sich ein Land davor schützen, ein Verlierer der Globalisierung zu werden?

Der Druck auf die Löhne wird anhalten, vor allem für die gering Qualifizierten. Deshalb muss der Staat in Bildung investieren. Dann steigt die Produktivität, damit können die Unternehmen den Arbeitern höhere Löhne zahlen. Außerdem muss die Beschäftigung steigen. Je schwächer der Arbeitsmarkt, desto höher ist die Arbeitslosigkeit, und desto größer der Druck auf die Löhne. Angesichts der zunehmenden Ungleichheit sollte es auch progressivere Steuern geben. Mit den zusätzlichen Einnahmen könnte der Staat von den Gewinnen etwas an die Verlierer der Globalisierung verteilen. Eine leichte Erhöhung der Steuern würde auch die deutsche Wirtschaft verkraften.

Würde das nicht dem Standort schaden – eben wegen der Globalisierung?

Skandinavien hat am meisten von der Globalisierung profitiert und hat am erfolgreichsten neue Technologien entwickelt. Dort gibt es die höchsten Steuersätze. Steuern sind ein Punkt, auf den Unternehmen achten, aber nicht der wichtigste. Ein Staat muss Geld auch intelligent ausgeben. Wer hohe Steuern erhebt und die Einnahmen in Infrastruktur steckt, in Forschung und Technologie, macht sein Land attraktiver. Wenn niedrige Steuern nützlich wären, müsste Haiti ja ein Wirtschaftsparadies sein – ist es aber nicht.

Deutschland plant eine Senkung der Unternehmensteuern um fünf Milliarden Euro.

Ich glaube, dass der Höhe der Unternehmensteuern generell zu viel Gewicht beigemessen wird bei der Sensibilität der Investoren. Kapital kommt nicht in ein Land und flüchtet gleich wieder, nur weil sich die Steuersätze leicht ändern.

Was ist Ihr Eindruck von der Arbeit der großen Koalition?

Ich kenne Deutschland nicht gut genug. Aber ich habe die Sorge, dass die Regierung sich zu sehr um die Reduzierung des Staatsdefizits kümmert. Deshalb hat sie die Mehrwertsteuer erhöht – das könnte großen Schaden anrichten und das Wachstum abwürgen. Man würde sich besser fühlen, wenn man sehen könnte, dass der Aufschwung, der automatisch höhere Steuereinnahmen bringt, das Defizit senkt. Erst wenn man feststellt, dass die Erholung solide ist, sollte man daran gehen, das strukturelle Defizit zu senken.

Wie wird sich die US-Wirtschaft 2007 entwickeln? Viele fürchten, es könnte eine deutlichen Abschwächung geben.

Zu denen gehöre ich auch. Ich denke, die Zeit ist gekommen. Das Wachstum der USA hat sich lange gestützt auf den Konsum. Er wurde wiederum beflügelt von den steigenden Immobilienpreisen – die Leute belasteten ihre im Wert gestiegenen Häuser, um mehr Geld ausgeben zu können. Jetzt aber werden Immobilien billiger und die Zinsen steigen – das lässt nichts Gutes für den Konsum erwarten. Und die Unternehmen werden nicht investieren, wenn die Leute nicht einkaufen. Hätte die Regierung kein so großes Defizit angehäuft, könnte sie mit zusätzlichen Ausgaben diese Lücke füllen. Doch die Demokraten werden eher versuchen, das Defizit zu senken – es wird also einen negativen Impuls vom Staat geben.

Sie erwarten also eine harte Landung?

Zwei Prozent Wachstum in diesem Jahr oder sogar weniger. Es gibt eine signifikante Chance für eine harte Landung. Das ist ein globales Risiko.

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