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Nicht geeignet sei er für den Ruhestand, sagt Martin Kannegiesser über sich. Foto: dapd

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Wirtschaft: Der Konfliktlöser

Martin Kannegiesser, Präsident des mächtigen Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, wird 70. Oft klingt er wie ein Gewerkschafter

Auf die Frage, wie er sich die Zeit einteile zwischen Verbandsarbeit und Unternehmen, antwortete Martin Kannegiesser einmal so: 70 Prozent Betrieb, 70 Prozent Verband. Das passt – in mehrfacher Hinsicht. Er lebt und arbeitet für die eigene Firma und die Metallindustrie gleichermaßen. Und er ist immer gut für einen schlauen Spruch – ohne ein Sprücheklopfer zu sein. Kannegiesser ist schnell, präzise und originell. „Bad Bank – was ist denn das wieder?“, fragte er auf dem Höhepunkt der Lehman-Krise vor gut zwei Jahren und schloss ein treffendes Urteil über die Banken gleich an. „Die waren alle bad.“

Martin Kannegiesser, seit 2000 Präsident von Gesamtmetall, ist der wichtigste Arbeitgeberfunktionär hierzulande. Als Gegenspieler der IG Metall entscheidet er mit über Arbeitszeiten und Einkommen der Beschäftigten bei Daimler oder Siemens, bei Schiffbauern in Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie bei Weltmarktführern auf der Schwäbischen Alb. Die Metall- und Elektroindustrie bildet mit rund 3,5 Millionen Beschäftigten den Kern der deutschen Industrie. Und wegen deren Stärke hat die Bundesrepublik sowohl die Lehman- als auch die Griechenlandkrise bestens verkraftet. „Das verantwortungsvolle Verhalten unserer Industrie hat das soziale Klima in der Krise weitgehend geprägt“, sagt Kannegiesser. Tatsächlich gab es weder Massenentlassungen noch Massenproteste. Im Gegenteil: Belegschaften und Betriebsleitungen, Verband und Gewerkschaft bewältigten die Krise im „Schulterschluss“ (Kannegiesser).

Daran wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Donnerstag erinnern, wenn sie, ebenso wie IG-Metall- Chef Berthold Huber und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, Kannegiesser zum Geburtstag gratuliert. Sie alle ehren einen Funktionär, der oft klingt wie ein Gewerkschafter und doch bei den Arbeitgebern eine ausgezeichnete Figur macht. Kannegiesser spricht von der Solidarität als „Bindemittel unserer Gesellschaft“; für ihn „ist die Schaffung von Arbeitsplätzen wichtiger als Betriebswirtschaft“ und die gute Bezahlung von guter Arbeit eine Selbstverständlichkeit: „Beide Seiten müssen das Gefühl haben, dass es fair zugeht, ein fairer Ausgleich stattfindet.“

Kannegiesser wurde in Posen geboren. Er wuchs in Bad Oeynhausen, in der Nähe von Bielefeld auf. Hier übernahm er 1968 die Firma für Wäschereitechnik vom schwer erkrankten Vater. Der Sohn wollte eigentlich Journalist werden, doch nun kümmerte er sich um das Unternehmen in Vlotho – und machte es zum Weltmarktführer. Heute produziert Kannegiesser an fünf Standorten in Deutschland und in einem Werk in England mit rund 1300 Mitarbeitern Waschmaschinen, Trockner und Bügelautomaten. „Seine größte Schwäche ist das Unternehmen“, sagt Friedhard Fichtner, Betriebsratsvorsitzender der Herbert Kannegiesser GmbH, über den Chef. „Und das ist gut für uns.“

Fichtner ist seit 1966, als er Maschinenschlosser lernte, im Unternehmen. Er erinnert sich an die 70er Jahre, als alle Arbeitgeber Ausbeuter waren und die IG Metall auf Klassenkampf machte. Und Fichtner hat die böse Strukturkrise Anfang der 90er nicht vergessen, als Kannegiesser mehr als 300 Arbeitsplätze strich. „Wir mussten richtig durch den Dreck“, hat Kannegiesser einmal über jene Jahre gesagt. Damals kamen sich Betriebsrat und Eigentümer näher. „Das ist ein Mensch, der will das Gleiche wie wir“, hat Fichtner gemerkt und Schlussfolgerungen gezogen. „Meine Denkweise hat sich geändert. Unser tut für das Unternehmen und die Leute alles.“ „Unser“ – damit ist Kannegiesser gemeint. Wenn alle Arbeitgeber so wären wie der, „hätten wir nur halb so viele Arbeitslose in Deutschland“, meint Fichtner.

Tatsächlich ist die Wettbewerbsfähigkeit der Metallindustrie in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Die Tarifabschlüsse waren gar nicht schlecht, doch die Produktivität der Firmen stieg noch schneller als der Lohn. Doch mit Kannegiesser änderte sich auch das Zusammenspiel mit der IG Metall. „Man kann bei ihm lernen, wie man geräuschlos Konflikte löst“, heißt es in der Gesamtmetall-Zentrale. „Der denkt mit dem Gegner mit.“ Und kann sich in ihn hineinversetzen. Auch deshalb wird er geschätzt auf der anderen Seite. Kannegiesser hat das Vertrauen der IG Metall.

Dabei ist sein „Hang zum Einzelgängertum“ nicht immer unproblematisch. „Er pflegt keine Seilschaften“, sagt ein Mitarbeiter Kannegiessers. In der Lobbyistenwelt der Verbände ist das ungewöhnlich – und hat mit dazu beigetragen, dass er nicht Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände wurde. Aber so sehr Kannegiesser auch die Bühne schätzt: Das reine Repräsentieren an der Spitze der Bundesvereinigung wäre ihm wohl zu langweilig geworden. Kannegiesser will gestalten und nach langen Nächten Tarifkompromisse präsentieren.

Drei Dinge überstrahlen seine bisherige Amtszeit: Der Flächentarifvertrag wurde flexibler und passgenauer für die Betriebe und ist heute als Ordnungsrahmen viel attraktiver als in den 90er Jahren. Kannegiesser verständigte sich mit der IG Metall auf die sogenannte Metallrente als ein zusätzliches Standbein der Altersvorsorge. Und schließlich zog der Verband unter Kannegiesser von Köln nach Berlin.

Nun wird er also 70. Seine Mutter, die mit 93 Jahren noch immer den Gang der Geschäfte verfolgt, hat über ihren Sohn gesagt, er werde wohl irgendwann auf der Bahre aus dem Betrieb getragen. Betriebsratschef Fichtner will über eine Zeit nach Kannegiesser gar nicht nachdenken. „Ersetzen kann man ihn nicht.“ Er selbst hält sich für den Ruhestand „weder reif noch besonders geeignet“. Vom Vater, der 1948 eine Schlosserei mit vier Mitarbeitern eingerichtet hatte und Bügelmaschinen für die Hemdenindustrie produzierte, bekam er eine besondere Haltung mit auf den Weg: „Das Wichtigste ist, dass du die Menschen beschäftigst.“ Der Junge hat sich daran gehalten.

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